Der Menschenfreund

FLÜCHTLINGS-SCHMUGGEL Für Geld bringt Rudi jeden raus. Er ist ein kleiner Fisch beim Milliardengeschäft mit dem Elend - und fühlt sich gut

Eingerahmt von zwei hübschen Mädchen aus Siam und Burma fühlt sich Rudi* auf seinem Anwesen bei Jakarta sichtlich wohl. In der Ecke des geräumigen Wohnzimmers mit den weiten Glastüren zur Veranda blinkt eine blitzsaubere Harley-Davidson. "Ich liebe den Sound", schwingt er sich auf die Maschine und lässt den Motor minutenlang im Leerlauf röhren, bis sich die Mädchen kichernd die Ohren zuhalten. "Das ist ein Gin-Collins", setzt er sich wieder zu seinen Gespielinnen und nippt an einem hohen Glas, in dem Eiswürfel leise klingeln. "Wissen Sie, Tonic ist zu süß, also mixe ich ein Drittel Gin und ein Drittel Limonensaft mit einem Drittel Sodawasser. Wollen Sie auch einen", klatscht er in die Hände, worauf ein Boy erscheint.

"Die beiden habe ich vor dem Puff in Tokio gerettet", zieht er die kaum 18jährigen jungen Frauen näher heran. "Das ist das schmutzigste Geschäft", erklärt er, "der Mädchenhandel." Rudi hat seine Ehre. Er schmuggelt zwar auch Menschen, aber "nur Flüchtlinge", betont er. "So verhelfe ich wenigstens einigen zu einem besseren Leben." Gern erzählt Rudi von seinen Abenteuern mit korrupten Beamten, verschüchterten Flüchtlingen und geldgierigen Zwischenhändlern.

Die meisten seiner Klienten kommen aus Zentral- und Südasien oder dem Nahen Osten - Afghanen, Irakis, Iraner, Tamilen. In der Regel wollen sie nach Australien. "Immer noch eines der billigsten Länder", erklärt er. Kanada sei früher ein beliebter Zielort gewesen, weil die Grenzen relativ offen waren. Doch als vor zwei Jahren innerhalb nur weniger Wochen gleich vier Schiffe mit rund 600 illegalen Einwanderern aus China in British Columbia anlandeten und ein weiteres vor Vancouver strandete, änderte Ottawa die Einwanderungsgesetze. Darum verursache der Trip dorthin heute Kosten von "bis zu 10.000 Dollar. Europa kostet 5.000 bis 6.000, Australien 3.000 bis 4.000."

Rudi hat sich auf den Lufttransport seiner Kunden spezialisiert. Dies birgt den Vorteil, keine große Organisation zu brauchen. Er arbeitet nur mit einem halben Dutzend Mitarbeitern zusammen, einem weiteren Deutschen, einer Amerikanerin, einem Franzosen, einem Iraner sowie zwei Asiaten. Seine Geschäftsverbindungen reichen bis nach Malaysia, Australien, Sri Lanka, Indien, Iran oder in die Türkei.

Der Trick mit Pass und Bordkarte sowie einer traurigen Geschichte

Die Flüchtlinge werden mit Pässen, Flugscheinen und einer Geschichte ausgestattet, die sie den Behörden zu erzählen haben. Pässe seien das geringste Problem, meint Rudi. Die Prostituierten besorgten sie zu Dutzenden von Touristen, die mit K.O.-Tropfen für einige Stunden außer Gefecht gesetzt würden. Doch gehe es dabei hauptsächlich um die Kreditkarten und Traveller-Schecks in den Taschen der Kunden, mit denen man eine Einkaufstour machen könne. Nach wenigen Stunden, wenn der Tourist den Verlust gemeldet habe, seien die Karten oder Schecks gesperrt, also sei auch der Pass wertlos. "Dann fühlen sich die Frauen gut bedient, noch zehn Dollar dafür zu bekommen. So habe ich immer eine Reihe von Pässen der verschiedensten Länder in meinem Diplomatenkoffer und reise natürlich selbst nie mit meinem regulären Pass."

Auch Visa stellen kein nennenswertes Hindernis dar. Viele Länder kleben einen Sticker in den Pass, auf dem die Nummer des Visums und dessen Typ sowie die zugestandene Aufenthaltsdauer vermerkt sind. "In Europa benutzen sie meist Aufkleber. Die sind leicht zu drucken." Zudem hat Rudi eine ganze Reihe von Botschaftsstempeln, die Experten nach den echten Vorlagen in Pässen nachgeschnitten haben.

Der schwierigste Teil der ganzen Operation "ist immer der Check-in", erklärt Rudi. Die Angestellten der Luftfahrtgesellschaften passten genau auf, weil ihre Firma den Rücktransport bezahlen müssten, wenn ein Passagier von den Grenzbehörden im Zielland abgewiesen werde. Doch auch hier gäbe es einen Dreh: "Ein Afghane mit einem europäischen Pass fällt auf. Einem Weißen aber stellen die Airline-Angestellten hier nie dumme Fragen." Also checkt Rudi mit einem Pass, in den kurz zuvor sein Photo eingeklebt wurde, für den Flüchtling ein. Anschließend geht er auf die Toilette und tauscht sein Bild gegen ein Photo des Flüchtlings aus. Beides - Pass wie Bordkarte - übergibt er dann dem wirklichen Fluggast mit der Anweisung zum Schalter eines bestimmten Grenzbeamten zu gehen, mit dem bereits alles arrangiert ist. "Für 500 Dollar schaut hier jeder weg."

Einmal in der Luft vernichtet der Passagier seinen Pass und hält sich, am Zielort angekommen, "drei, vier Stunden in den Transiträumen auf", so dass nicht mehr rekonstruiert werden kann, mit welchem Flug er eingetroffen ist. Dann meldet er sich bei den Einwanderungsbehörden und verweigert jede Auskunft über seine Herkunft. "Wohin also sollen ihn die Behörden ausweisen? So reichen sie ihn an das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) weiter."

Dort erzählen sie eine traurige Geschichte, die ihnen Rudi eingebläut hat und die das Mitleid der UN-Flüchtlingskommissare wecken soll. Derzeit hätten es etwa Iraner oder Afghanen besonders leicht. Ein Verweis auf die gnadenlosen Regimes in Teheran oder Kabul reichte als Bestätigung für die Wahrheit erzählter Lebensgeschichten. Rudis iranischer Mitarbeiter Aresh, der sich im Team der Menschenschmuggler um Flüchtlinge kümmert, die nach Australien wollen, kann wahre Kriminalromane erzählen. Erst neulich habe er über "Mitarbeiter in Malaysia" einen Afghanen namens Sayed Mehti nach Indonesien gebracht, "einen Paschtunen, der uns eine der unglaubwürdigsten Geschichten auftischte, die ich je zu hören bekam."

Die meisten Flüchtlinge aus Afghanistan seien schiitische Hazara, erklärt Aresh, die von den sunnitischen Taliban verfolgt oder in den Militärdienst gezwungen und oft als Kanonenfutter in die vorderste Linie geschickt würden. Im Fall von Sayed Mehti nun sei der Bruder, der einst unter dem Najibullah-Regime gedient haben soll, vor einem Jahr von den Taliban verhaftet und verschleppt worden. Da Sayed Mehti befürchten musste, ebenfalls auf deren schwarzer Liste zu stehen, habe er sich zur Flucht entschlossen und mit dem Erlös aus dem Verkauf von Land seine Reise finanziert. Zunächst hätten ihn dann afghanischen Helfer per Bus von Kabul in den Süden des Landes nach Kandahar geschickt. Von dort sei er per Bus, zu Fuß und per Boot ins Dreiländereck von Pakistan, Afghanistan und Iran gereist, wo er eines Nachts die Grenze nach Beluchistan überquerte. In Teheran habe er bei seiner Botschaft, die immer noch mit Beamten des 1992 gestürzten und ermordeten kommunistischen Regierungschefs Mohammad Najibullah besetzt sei, "für 104 Dollar" einen Pass erhalten, bevor gegen 1.000 Dollar ein Flug nach Malaysia arrangiert wurde. "Und in Kuala Lumpur erwarteten ihn unsere Mitarbeiter Haji Bager und Abu Haydar", setzt Aresh die Geschichte fort. Diese beiden sorgten für den Weitertransport per Boot zunächst auf eine kleine Insel vor der malaysischen Küste, von wo aus Sayed Mehti mit einem halben Dutzend weiterer Flüchtlinge über eine Kette von winzigen Eilanden auf die bereits zu Indonesien gehörende Insel Bintan und schließlich in ein Lager bei Tanjungpinang gebracht wurde, in dem schon über 200 Illegale aus Afghanistan, Irak und Iran warteten.

"Die wollten alle nach Australien", erinnert sich Aresh. Also kaufte er von einem indonesischen Fischer "für 40.000 Dollar" ein Schiff, das die meisten - über 160 - nach Australien bringen sollte. Doch schon bei einem Zwischenaufenthalt in Irian Jaya wurden sie von der indonesischen Polizei gefasst, die alle ungebetenen Besucher umgehend dem UNHCR übergab.

Zehn Milliarden Dollar für die Schmuggler-Syndikate

Rudis und Areshs joint venture ist verglichen mit den großen professionellen "Fleisch-Kartellen", wie Grenzbehörden die mafiaähnlich organisierten Menschenschmuggler nennen, ein kleines Familienunternehmen. 50 große internationale Syndikate, so schätzt die Genfer International Organization for Migration (IOM), bringen jährlich rund 400. 000 illegale Einwanderer allein nach Europa. In Deutschland halten sich heute schätzungsweise 800.000 Illegale auf - und jedes Jahr kommen 100.000 neue hinzu. Weltweit zählte die IOM 150 Millionen illegale Einwanderer. Zehn Milliarden Dollar setzen die Menschenschmuggler inzwischen pro Jahr in Zusammenarbeit mit der Mafia und chinesischen Triaden um. Die Tentakel dieser multinationalen Strukturen reichen in beinahe jeden Winkel der Erde, nach Nord- und Südamerika, Afrika, Zentralasien, Fernost oder Europa.

Eine beliebte Reiseroute durchquert die einstige Sowjetunion. Über eine Privatorganisation in Moskau und gegen Bezahlung von 200 Dollar erhält ein Auswanderer, der oft nicht einmal lesen kann, eine Einladung zum Studium in Moskau. Diese präsentiert er der russischen Botschaft in seiner Hauptstadt, die ihm ein Studentenvisum ausstellt. Nach dem Flug mit Aeroflot bringt ihn der Agent von Moskau in eine geheime Unterkunft in der Ukraine. Sobald die Weiterreise arrangiert ist - und das kann zwei, drei Monate dauern - geht die Fahrt, zumeist versteckt zwischen regulärem Exportgut in einem Lastwagencontainer, über Polen, Tschechien oder die Slowakei nach Europa. Dort, so versprechen die Ausbeuter menschlichen Elends ihren Opfern, erwarte sie ein besseres Leben, ein Leben in Sicherheit. Doch die Wahrheit ist überall zu beobachten, in den Seitenstraßen um Frankfurts, Hamburgs oder Mailands Bahnhöfe, wo junge Frauen aus Nigeria, Ghana oder Osteuropa ihre Körper feilbieten, in den Sweatshops europäischer Hauptstädte, wo Tamilen, Iraner oder Afrikaner unter prekären Bedingungen für Minimallöhne ausgebeutet werden.

Die einzige Antwort auf die Flut an den Toren der Industriestaaten scheint die Suche "nach immer effizienteren Kontrollmaßnahmen" zu sein. Auf einem Sondergipfel 1998 in Moskau beschlossen die G-8-Staaten, "die Schattenseite der Globalisierung, die transnationale Kriminalität, die unsere Gesellschaften und Wirtschaften zu zerstören droht, auf das Schärfste zu bekämpfen."

Ziel der Polizeioperationen sollen nicht die Illegalen sein, die "selbst Opfer" sind, wie ein Grenzbeamter in Dover erklärt, "wir haben pakistanische, indische, türkische, iranische und irakische Schmugglerringe verfolgt. Wir haben Organisationen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden zerschlagen, aber wir können nichts gegen die Hintermänner in den Ursprungsländern unternehmen." Im Gegensatz zu Singapur, Malaysia oder Hongkong, die Sondereinheiten gegen Menschenschmuggler einsetzen, reichen die Beziehungen der Paten in Indien, Bangladesh, Pakistan oder Afghanistan bis weit in Regierungskreise. Er könne nicht gegen sie vorgehen, gestand ein hoher Beamter der indischen Einwanderungsbehörde der Londoner Sunday Times: "Das kann ich nicht riskieren."

* Name von der Redaktion geändert

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden