Anatal und digilog

Medientagebuch Das Misstrauen gegen die Computer lebt neu auf - sie träumen

Den Siegeszug der Nullen und Einsen haben wir baff genug bestaunt. Eine parallele Welt mit unendlich vielen Knoten, Computern, die das Rückgrat des Internet bilden: dieses backbone, wie man in bewusster Analogie zu unserem Körper sagt, meint auch nur eine Analogie. Nicht etwa als eine Digitalie. Denn weder unsere Sprache noch unser Körper sind digital geordnet, sondern, wie jüngst als Sensation gemeldet, genetisch, chemisch, analog strukturiert. Dagegen sollen Musik, Sprache, Schrift und Bild, beinahe die gesamte menschliche Kulturleistung, ihr Dasein nun in digitalen Speichermedien fristen, die unvergleichbar sind mit sämtlichen in der Natur vorkommenden biologisch gegründeten Speicher-, Sende- und Empfängermedien.

Was für eine Entfremdung. Das Misstrauen gegen die Computer lebt neu auf. Computer arbeiten als so frappierend logische Instrumente, dass man sie »kalt« nennt, sogar unmenschlich (weil menschliche Kommunikation ja so voller liebevoller Wärme ist).

Das Analoge bei den analogen Medien basiert meist auf chemischer Reaktion. Die Filmentwicklung etwa führt auf Grund dessen ein - zwar nachvollziehbares - mangelhaftes Eigenleben: Perfekte Ergebnisse sind Zufallsprodukte. Die Digitalisierung der Bildbearbeitung hat Schluss gemacht mit dem in einem falschen Verhältnis angesetzten Fixierbad. Analoger Schrott.

Schon fiel der Startschuss für Nostalgiker, die diese analogen Minox' und Leicas mit Spinn-ich-Preisen für »Liebhaber« auszeichneten, als letzte Woche die Eidgenössiche Technische Hochschule Zürich folgende Nachricht herausgab: Es sei gelungen, die Vorteile digitaler Technologie mit den Vorteilen des Analogen zu verknüpfen. Urheber ist das Institut für Neuroinformatik. Es fragte nach den tatsächlichen Vorteilen des Digitalen und Analogen und sah, wie umstandslos analoge Fotoapparate etwa Helligkeit wahrnehmen, und was für eine umständliche Rechenleistung bei einer Digitalkamera für den selben Vorgang notwendig ist. Das Digitale nimmt jede Information gleichwert und verteilt sie gleichwert; das Analoge dagegen hält unmittelbar aufs Licht und blendet alles andere aus. Und was machen wir? Dasselbe. Wird's zu hell, schließen wir die Augen.

Wir sind chemische Subjekte, bis wir viele verschiedene Informationen auf einmal erhalten. Wie in der Disco: Musik, den Zuruf unseres Freundes, »Bier« oder »Wein«, und plötzlich taucht eine alte Bekannte auf, deren Namen wir vergessen haben, während Strobolicht uns blendet? Jetzt scheint das Digitale besser dran; das Analoge übersteuert, das Digitale aber rechnet und rechnet. Die analoge Übersteuerung selektiert die stärksten Signale. Wir aber, keine Mimosen, forschen trotz Übersteuerung über tausend Assoziationsreihen, quasi digital nach dem entfallenen Namen der Bekannten, entscheiden uns für Wein und wippen mit den Hüften zur Musik; reagieren also auf starke Impulse entsprechend verstärkt, ohne komplexere Fragen außer acht zu lassen. Wir reagieren »anatal« oder »digilog«. Der Neurochip, der da in Zürich auf sein Patent harrt, nimmt diese neuronale Verknüpfung sehr ernst. Das Zürcher Modell simuliert die Zellverbünde in unserem Großhirn durch 16 ringförmig angeordnet Siliziumzellen. Reizt man sie, passiert folgendes: Erhöht man den Signalpegel, reagieren die »Zellen« brav wie bei einem analogen Medium: Sie schalten sich in Reihe, weisen sich aber dann, sobald die Signalpegel unterschiedliche Informationen erhalten, untereinander digitale »Sonderaufgaben« zu. So sind sie in der Lage, zu ähnlich unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen, wie unsere eigene Hirnrinde, die mal »Barbara«, mal »Babette« für den wahrscheinlicheren Namen der vor uns tanzenden Bekannten hält. Das Ziel des Neurochips ist zwar kriminalistischer Natur. Da er nicht ein Ergebnis zum Ziel hat, sondern bis zu 16 unterschiedliche Ergebnisse ausspuckt, ist er perfekt für Gesichter- und Schrifterkennung, ein Rasterfahndungsinstrument.

Aber für einen Moment darf man noch träumen und sich vorstellen, dass ein Neurochip in einer Kamera in der Lage wäre, genau das Bild zu sehen, dass wir durch den Sucher entdecken. Denn just das Foto zu erhalten, das man zu sehen meint (und darum gesehen hat), ist weder digital noch analog, sondern beruht auf einer Frequenz, die aus beiden Quellen stammt, des Blicks und der Hirninterpretation. Damit ist nun noch etwas passiert: In Zürich verliert das Bild erstmals seine reale Objektivität. Ein Bild wird, wie in unserer Erinnerung, eine Ablagerung, ein bereits interpretiertes Etwas, das gleichwert Babette und Barbara heißen kann. Für den Computer, der ein Bild nicht mehr einfach, sondern vielfach interpretiert, geschieht also etwas durchaus Analoges: Der Computer erkennt Bilder nicht mehr. Er träumt sie.

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