»Grün schlägt Rot« - noch ist die politikwissenschaftlich gemeinte Literatur, die mit dieser Formel den Wandel der politischen Kultur in der Bundesrepublik epochal deuten wollte, im Angebot, da ist sie in der gesellschaftlichen Realität schon zur Makulatur geworden. Zwei Grundannahmen steckten darin: Erstens wurde unterstellt, innerhalb des politischen Lagers links von den Rechtskonservativen werde eine »grüne«, das heißt »postmaterialistische« Mentalität Vorrang gegenüber sozialdemokratischem Traditionalismus gewinnen; zweitens wurde eine langandauernde Mehrheitsfähigkeit linksliberaler, ökoliberaler und sozialliberaler Politik erwartet.
Von alledem kann spätestens seit der Hessenwahl keine Rede mehr sein. Noch
sein. Noch hält die Regierungskoalition in Bonn, aber an eine »rot-grüne Ära« in Kohlschen Zeitdimensionen glaubt so recht niemand mehr. »Rot« drischt nun auf »Grün« ein, was nicht gerade für Fairness spricht; dem immer kleiner werdenden Partner geht es ohnehin dreckig genug. Koalitionsintern sind die Bündnisgrünen durch ihre Verluste in Hessen weiter in die Enge getrieben. Daß rot-grüne Gesetzesvorhaben im Bundesrat (vorerst und möglicherweise auch auf längere Sicht) nicht mehr auf die notwendige Mehrheit rechnen können, ist eine durchaus dramatische Veränderung der Konstellation. Gerhard Schröder wird das Debakel der Bündnisgrünen nicht ohne Schadenfreude betrachten, und es spricht vieles dafür, daß er eine Große Koalition dem jetzigen Regierungsbündnis vorgezogen hätte - aber unter günstigen, von ihm selbst gesetzten Bedingungen, nicht als Notbehelf nach einem rot-grünen Mißerfolg. Eine informelle, über Bundesratsentscheidungen arrangierte Große Koalition vermag dem sozialdemokratischen Kanzler keinen Glanz zu verschaffen. Zudem ist zu vermuten, daß die Unionsparteien, von Edmund Stoiber dirigiert, Geschmack an mobilisierenden Kampagnen gefunden haben. Die brauchen Polarisierung, heimliche Partnerschaften mit der SPD wären da nur hinderlich, vor allem deshalb, weil CDU und CSU offensichtlich die Absicht haben, ins thematische Terrain der Sozialdemokratie einzubrechen, sich der »sozialen Frage« auf ihre Weise anzunehmen.Der Abwärtstrend bei den Bündnisgrünen war kein hessisches Spezifikum, und er hat auch nicht viel mit dem unbeholfenen Politmarketing zu tun, das diese Partei sich nun selbst nachsagt. Die von Joschka Fischer eingeforderte »grundlegende organisatorische und personelle Erneuerung« wird ihnen, selbst wenn sie zustandekommt, aus der strukturell bedingten Schwäche nicht heraushelfen. Auch Empfehlungen, die Bündnisgrünen müßten die »neue Mitte« umwerben, zielen ins Leere, denn ein Phantom ist zwar gut für Schlagzeilen, aber es verschafft keine Stimmen bei Wahlen.In der veröffentlichten Meinung wird ihnen zur Zeit abwechselnd vorgeworfen, sie seien nicht kompromißbereit, jedenfalls nicht genug - oder: sie hätten sich zu sehr auf die Anbiederung an die SPD eingelassen. Der Generalsekretär der FDP hat vor einigen Tagen kurioserweise diese beiden, einander widersprechenden Vorwürfe als Doppelargument in ein und dasselbe Interview hineingepackt. Guido Westerwelle wörtlich (im Gespräch mit der Main-Post): »Koalitionen der Vernunft sind immer Mehrheiten ohne Grüne, denn die sind nicht pragmatisch, sondern fundamentalistisch verbohrt (...). Die Grünen werden weiter eine Kröte nach der anderen schlucken, sie sind so verliebt in die Macht, daß ihnen gar nicht auffällt, wie sie ihre Identität verlieren.«Im Verzicht auf Logik kommen panische Gefühle zum Ausdruck. Auch für die FDP war die Hessenwahl, was die Gefolgschaft angeht, eine Niederlage. Da kommt der Gedanke auf, daß für die Rolle der kleinen Mehrheitsbeschaffungspartei auf Dauer zwei Besetzungen nicht nötig sind, die Grünen aber den Freien Demokraten auf gefährliche Weise ähnlich werden könnten. Als bündnis-grüne Vorstandssprecherin hat Gunda Röstel solchen FDP-Ängsten neue Nahrung gegeben. Sie will ihrer Partei ein »neues Image« geben, vor allem »im Osten«, indem »Interessen von kleinen und mittelständischen Unternehmern« ökoliberal angesprochen werden.Daß eine solche Rechnung aufgeht, ist sehr unwahrscheinlich. Eine FDP im parteipolitischen Markt reicht vermutlich hin. In den Neuen Bundesländern wird die Nachfrage für den Liberalismus wohl kaum in die Höhe schnellen, und in der Alt-Bundesrepublik dürfte die Bereitschaft zum Markenwechsel in der Politik bei der typischen FDP-Klientel gering sein. Was wird dann aus den Bündnisgrünen? Von den Hinterlassenschaften ihrer Geschichte werden sie sich nicht durch ein neues Politdesign lösen können. Sie sind entstanden als neue politische Ausdrucksform in einer Generation, die von »1968« beeindruckt war; ihre StammwählerInnen sind heute nicht mehr die Jüngsten. Ihr sozialer Ort waren (und sind immer noch) die »neuen Mittelschichten«, vorzugsweise Menschen, die mit personengebundenen Dienstleistungen beschäftigt sind. Ihr Mentalitätskontext ist »westdeutsch«, eindeutiger noch als bei der SPD und der CDU. »Schonungsloser Realismus«, wie er nun von bündnisgrünen Strategen empfohlen wird, müßte bedeuten: diese Herkünfte nicht zu leugnen, sondern zu prüfen, was in einer veränderten politischen Umwelt daraus zu machen ist, und auch: wo die eigene Geschichte den Gesichtskreis zu sehr eingeengt hat. Mit den Herkünften der Bündnisgrünen verbinden sich noch zwei weitere Elemente: Die Kritik an kapitalistischen »Gesetzen« gesellschaftlichen Wachstums, die sich als »technische« Sachzwänge ausgeben. (Wobei grünes Unbehagen nur zu oft diese Verkehrung übernahm und sich »technikfeindlich« äußerte.) Und der Anspruch, politische Partizipation, auch parteilich organisierte, solle sich »basisdemokratisch« vollziehen. Vielleicht sind diese beiden Ideen - anders als manche bündnis-grüne Repräsentanten es zur Zeit meinen - keineswegs verbraucht. Modisch heißt noch nicht politisch - dies läßt sich von Edmund Stoiber lernen.Zum Thema siehe auch: IM GESPRÄCH
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