Putins öliger Pragmatismus

Der Irak-Konflikt als Profilierungschance Russland will bei allen Differenzen mit den USA das bilaterale Verhältnis auf keinen Fall ernsthaft belasten

Die russische Regierung hat eine neue Irak-Resolution von Amerikanern und Briten im UN-Sicherheitsrat vorerst mit Ablehnung quittiert. Das muss nicht so bleiben, aber es fällt schon auf, dass sich Moskau - anstatt der einstigen Weltmachtrolle nachzutrauern - in der Irak-Frage gern als selbstbewusste Mittelmacht mit globalem Anspruch präsentiert, die in der Lage ist, ihre eigenen, eher geoökonomisch als geopolitisch gearteten Interessen zu verteidigen. Die Zerwürfnisse in den drei wichtigsten Foren internationaler Politik - dem UN-Sicherheitsrat, der NATO und der EU - bieten Präsident Putin attraktive Möglichkeiten, sein Land wieder ganz vorn in der Weltpolitik zu platzieren. Derzeit jedenfalls beschert der Irak einen nicht unbeträchtlichen politischen und ökonomischen Nutzen. Mehr als 200 russische Unternehmen sind an Geschäften mit Bagdad beteiligt - trotz des Sanktionsregimes. Eine gewisse Dankbarkeit Saddam Husseins zeigte sich nach 1990/91 nicht nur im Kauf von Waffen und von sonst auf dem Weltmarkt nicht sonderlich konkurrenzfähigen Erzeugnissen des russischen Maschinenbaus, sondern auch in der Gewährung großzügiger Bohrkonzessionen. Ölkonsortien unter Teilhabe der russischen Firmen Lukoil und Slawneft erhielten Schürfrechte auf den Ölfeldern von West Qurna und Subba. Auch im Rahmen des UN-Programms Oil of Food waren bisher Unternehmen aus Russland engagiert: 2002 lag ihr Anteil an diesem von der UNO kontrollierten Warenaustausch bei einer Milliarde Dollar. Saddam Hussein versprach überdies, offene Rechnungen für sowjetische Waffenlieferungen in Höhe von acht Milliarden Dollar zu begleichen und billigte einen Handelsvertrag mit Russland, dessen Laufzeit bei einem Volumen von 40 Milliarden Dollar bis 2010 reicht. Entscheidend bleibt aus Moskauer Sicht der Trend des Weltmarktpreises für Rohöl. Die jetzige Marge von bis zu 30 Dollar pro Barrel lässt die russische Ökonomie aufblühen wie schon lange nicht mehr. Aber die relative Prosperität einer Wirtschaftsstruktur, die darauf beruht, etwa zwei Drittel der Exporterlöse durch Rohstoffausfuhren zu erwirtschaften, kann sich schnell ändern. Präsident Bush hat bereits angekündigt, er wolle nach einem Sieg über Bagdad die Welt mit billigem irakischen Öl überschwemmen. Diese Abschöpfung der Kriegsrente zur Ankurbelung der Weltkonjunktur wäre für die russische Wirtschaft von erheblichem Nachteil. Nicht nur, dass ein Absinken des Ölpreises um bis zu zwei Drittel des jetzigen Wertes die Staatsfinanzen stark in Mitleidenschaft ziehen würde - im Budget für 2003 sind die aus dem Ölboom stammenden Einnahmen mit 23 Dollar pro Barrel fest eingeplant -, erschwerend käme hinzu, dass die unter arktischen Bedingungen in Sibirien geförderte Ölmenge dann entschieden zu teuer wäre. Zwar gibt es momentan unübersehbar Differenzen zwischen Washington und Moskau, aber verschlossen gibt sich Präsident Putin gegenüber den Amerikanern keineswegs. Während seines jüngsten Besuches bei Jacques Chirac betonte er voller Anerkennung, dass es ohne den militärischen Druck der USA nicht gelungen wäre, den Irak zur Zustimmung in der Inspektionsfrage zu bewegen und dass er George Bush weiterhin mit Vergnügen "seinen Freund" nennen würde. In der Tat fanden beide seit dem 11. September 2001 zu einer nie geahnten Nähe. Eine strategische Partnerschaft bei der "Terrorbekämpfung" brachte dem russischen Vorgehen in Tschetschenien von amerikanischer Seite soviel Verständnis wie noch nie. Auch wirtschaftlich taten sich plötzlich neue Perspektiven auf: Neben dem Versprechen gegenseitiger Handelserleichterungen wurde viel von der Kooperation russischer und amerikanischer Ölgiganten geredet, der direkten Lieferung von sibirischem Öl in die USA durch eine noch zu bauende Pipeline. Auch wenn vieles davon bis jetzt nur Option blieb, deutet einiges darauf hin, dass Russland wegen eines möglichen Irak-Krieges das gute Verhältnis zu den USA auf keinen Fall gefährden will. Vielmehr ist es versucht, seinen Einfluss auf die Nachkriegsordnung im Irak zu sichern. Die bisherige Weigerung, Bushs Vorgehen im Sicherheitsrat zu unterstützen, könnte eher dazu dienen, den Preis für ein späteres Einlenken hochzutreiben. Anfang Februar wurde der Vertrag mit Lukoil über die Ausbeutung der Ölfelder bei West Qurna von irakischer Seite gekündigt, nachdem interne russische Sondierungen mit dem oppositionellen Iraqi National Congress (INC) bekannt wurden. Prompt versprach Washington, Lukoil werde seine Konzession nach einem Krieg selbstverständlich zurückerhalten. Angesichts der im Dezember anstehenden Duma- und der 2004 fälligen Präsidentschaftswahlen gibt es auch innenpolitisch einige Faktoren, die Wladimir Putin nicht unbeachtet lassen darf. Das Vorrücken der Amerikaner in den zentralasiatischen Hinterhof Russlands wird von der nationalistischen und kommunistischen Opposition als Affront gesehen, den der Präsident hätte verhindern müssen. Insofern ist eine temporäre Hinwendung zu Paris und Berlin ein kluger Schachzug, um dem heimischen Publikum zu beweisen, dass der Kreml durchaus dazu fähig ist, die weltpolitische Geltung Russlands zu wahren.

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