Der Chinese Yianyun Zhan, 38, kann die Bedingungen seiner aktuellen persönlichen Wirtschaftslage schnell erklären: "Guck´ mal: Ölpreis teuer, Container teuer, China teuer." Vor diesem Hintergrund ist es, klar, verdammt schwer, gute Geschäfte zu machen. Doch Zhan, durch und durch Optimist, denkt ans Expandieren. Er weiß, dass er Erfolg haben kann. In den letzten sechs Jahren hat er es immer wieder geschafft. Alles, was er braucht, ist das richtige Produkt. Etwas, das alle haben wollen. Wie zum Beispiel diesen Toilettendeckel.
Zhan ist Großhändler, seine Waren stammen aus dem Reich der Mitte. Die Zhan GmbH "STAR-GERMANY" widmet sich laut seiner Visitenkarte dem "Derikt import". Das Basislager des Chinesen befindet sich in einer heruntergerumpelten Halle in Berlin-Marzahn - auf rund Hundert mit Regips-Platten eher provisorisch abgetrennten Flächen versuchen hier asiatische Händler Produkte aus ihren Heimatländern unters Volk zu bringen. In dem "Großhandelszentrum" (Eigenwerbung) findet man alles, was der Mensch braucht oder auch nur theoretisch brauchen könnte: Kleidung, Schuhe, Teppiche, Lebensmittel. Oder drei Meter hohe Plastikpalmen.
Man vergisst schnell, dass sich die Halle auf deutschem Boden befindet: Es gibt ein vietnamesisches Restaurant mit Karaoke-Bühne, einen Zeitungshändler mit ausschließlich asiatischen Blättern, in einem Kabuff geht ein Herren-Schneider wie in Saigon oder Hongkong seinem Handwerk nach. Draußen auf dem vermüllten Parkplatz kurvt die Fahrschule "Viet-Duc" herum, und im Imbiss lässt ein Sopransaxofon asiatischen Weltschmerz in Moll auf die Gäste herabrieseln. Vom Hallen-Management aufgehängte Hinweiszettel auf Deutsch entfalten wenig Wirkung: "Diese Tür immer geschlossen halten" hat zur Folge, dass sie sperrangelweit offen steht. Unter einem anderen Zettel mit dem Hinweis, dass Werbung an dieser Stelle mit 500 Euro Bußgeld bestraft wird, hängt Werbung.
Zhan hat den Raum G7 angemietet. Er hat sich auf Haushaltswaren und Geschenkartikel spezialisiert. In seinen Regalen parken Flugzeugträger im Maßstab eins zu mehrerentausend, die sich als Feuerzeug entpuppen. Er verkauft monströse Fantasy-Schwerter ("nicht scharf, dann gegen Gesetz") und Plastikblumen, Billig-Parfüms und Puzzles für 1,50 Euro, Handtaschen, den Eifelturm, Reißverschlüsse, Handtücher, Nagelpflege-Sets, Kopfhörer und Mobilees, an denen Plastik-Delphine hängen. Außerdem Schirmmützen, Porzellanelefanten, Korkenzieher, Mini-Massage-Geräte, viele, viele unglaublich bunte Wecker und "Crazy Dog", der "open my rob" auf der Packung fordert - ein singender Plastikhund mit Sonnenbrille und einem schwarzen Umhang, der einen steifen Hundepenis verbirgt.
Zwei echte Höhepunkte hat das Sammelsurium: die strikt unpädagogische Kinderspielzeugecke mit dem bombenabwurfbereiten Air Force Fighter Plane, dem "Country House" samt dazugehöriger Plastikpuppenfamilie, mit vielen futuristischen Plastikwaffen, natürlich "battery operated", und mit Gigi, der Augenklimperpuppe mit Plastikgitarre. Noch beeindruckender allerdings: das vielfältige Angebot an Feuerzeugen, die Zhan in Form von Cowboystiefeln, Pinguinen, Feuerlöschern, Schrotflinten, U-Booten, Sandalen, Kartenspielen, Totenköpfen, Handgranaten, Weihnachtsmännern, Würfeln, Tennisschlägern, Dinosauriern, Katzen, Nähmaschinen, Toiletten, Raketen, Rollschuhen, Maschinengewehren und Raging-Bull-Pistolen, Billiard-Kugeln, Strechlimousinen, Vogelkäfigen, Segelschiffen und Atombomben anbietet.
Ein Blick in Zhans Regale, und eines ist sofort klar: Völlig unmöglich, dass sich chinesische Produktmanager ernsthaft darüber Gedanken machen, ob dies Dinge sind, auf die die Welt gewartet hat. Völlig unmöglich, dass der Glaube eines chinesischen Fabrikdirektors daran, dass sich der Globalisierungskitsch auch irgendwo auf der Welt verkauft, auf Marktstudien oder ähnlichem beruht. Globalisierung heißt offenbar auch, dass alles, was denkbar ist und nicht viel kostet, erst einmal hergestellt wird, und wenn es sich nicht verkauft, wird eben irgendetwas anderes hergestellt, vielleicht verkauft sich das dann besser. Ein demokratisches Verfahren: Wenn die Leute Geld für Gitarren-Gigi auf den Tisch legen, will die Welt Gigi haben. Wenn nicht, dann eben nicht.
Zhans Kunden sind vor allem Einzelhändler. Sie kommen aus ganz Deutschland, manchmal sogar aus Polen, und verkloppen den bei Zhan erbeuteten Kitsch vor allem auf Wochenend-Märkten weiter. Die Händler aus Rostock beispielsweise kaufen bei Zhan Modellschiffe aus Holz. "Handarbeit!" sagt Zhan stolz. Er gibt die "Chesapeake 1794" und die "Endeavour 1768" für zehn Euro ab. Die Touristen aus den USA bezahlen dann in Rostock das Vierfache, berichtet Zhan - klar, im Angesicht der Ostsee, ein großes, schönes Segelschiff aus Holz, und dann auch noch echte Handarbeit. Wertarbeit sozusagen. Bloß keine deutsche. Dass das Schiff aus China kommt, dürfte bei der Kommunikation zwischen Verkäufer und Käufer in Rostock weniger im Vordergrund stehen - diese Information würde wahrscheinlich das gute Gefühl auf beiden Seiten schlagartig trüben. Zhan steht vor dem Regal mit den Segelschiffen und lächelt breit. Er freut sich über die prima Gewinnspanne von 300 Prozent - auch wenn es nicht seine eigene ist.
Um seine Kundschaft immer wieder mit Neuem zu beglücken, hat Zhan zwei Mitarbeiter in China, die permanent auf der Suche nach potentiell populären Produkten sind und ihm Vorschläge mit Fotos per E-mail schicken. Bei seinen Einkaufs-Entscheidungen muss Zhan dann versuchen, den deutschen Geschmack zu treffen. Viele Fehler habe er anfangs gemacht, räumt er ein: Weiße Porzellanvasen gingen zum Beispiel gar nicht, dabei hatte er doch darauf geschworen, dass die laufen, in China ist das weiße Porzellan unglaublich beliebt! Auch diese bunten chinesischen Vasen hat er nicht absetzen können, weiß der Henker warum. Zhan, sonst um schnelle Antworten nicht verlegen, stockt, hebt ein wenig hilflos die Hände: So richtig sicher fühlt er sich noch nicht, was den deutschen Geschmack betrifft. Eines ist ihm aber inzwischen klar: Die Deutschen gucken immer darauf, ob die Ware auch tatsächlich und wirklich und ohne jeden Zweifel ihren Preis wert ist. Chinesen seien da lockerer.
Die Feuerzeuge und all die anderen Dinge holt Zhan per Schiffs-Container von Shanghai nach Hamburg und von dort per LKW nach Berlin. Im Moment sind es ein bis zwei Container im Monat, Fassungsvermögen jeweils 68 Kubikmeter, die Zhan mit neuen Waren erreichen. Er träumt davon, dass es mehr werden. Dass er ganze Container, vollgestopft mit einem einzigen Produkt, auf einmal verkaufen kann. Große Stückzahlen, kleinere Gewinnspannen, aber trotzdem mehr Gewinn. Vielleicht sogar das große Geld. Zhan wünscht sich, dass jedes seiner rund 600 Produkte so läuft wie diese Klobrillen samt Deckel, aus durchsichtigem bläulichen oder grünlichen Kunststoff, mit eingearbeiteten Muscheln, Farnen, Fischen oder kleinen Delphinen (Der Delphin ist offenbar das Leittier des Produktdesigns, Delphine an Mobilees, vergoldete Delphine, die sich links und rechts an Uhren emporstrecken und auf den Köpfen ein Segelschiff tragen, Toilettendeckeldelphine).
Zhan war früh dran an den Toilettendeckeln, so erzählt er die Geschichte - seine Mitarbeiter in China hatten sie bei einem Hersteller in der Provinz Kanton gefunden. Zhan verkaufte sie sofort in größeren Stückzahlen, 20, 30, 40 hier, 50 da. Rund 2.000 Stück ist er in den letzten zwei Jahren losgeworden, er verrät seinen Gewinn, den er gemacht hat und der ganz ordentlich war, aber keineswegs so hoch, wie man spontan denken würde. Zhan bittet darum, die Zahl nicht aufzuschreiben, natürlich, der Wettbewerb.
Die Deckel gehen immer noch gut, aber inzwischen gebe es vergleichbare Deckel im Baumarkt, in den Kaufhäusern, "und jede Familie in Deutschland hat jetzt Deckel", ist Zhan überzeugt. Der Markt ist seiner Ansicht nach fast gesättigt. Deswegen muss der nächste Mega-Seller her. Die ewige Suche nach Verkaufschlagern ist Zhans Hauptproblem und Antrieb zugleich. Jede neue E-mail seiner Mitarbeiter aus China, jeder Besuch Zhans in der alten Heimat, jede Messe dort und jeder chinesische Spielzeug- oder Sonstwas-Katalog bergen für ihn ein Versprechen: das auf Gewinn. Doch die Sache kann auch daneben gehen, die Ware im Lager verotten. Was soll er mit den verdammten Vasen machen?
Seine Händlerkarriere hat Zhan mit einem kleinen Laden in Berlin-Tempelhof begonnen, doch den gibt´s nicht mehr, denn auch die Deutschen können jetzt billig. Überall sind inzwischen diese Ein-Euro-Läden, klagt Zhan, die langsam zu 50-Cent-Läden werden. Die haben ihm das Geschäft in Tempelhof vermiest, und in China steigen obendrein ständig die Preise, für Material und Energie, und damit auch die Einkaufspreise der Produkte. "Jede Bestellung fast teurer", stöhnt Zhan: "sehr schlimm". Zu allem Überfluss muss er auch noch deutsche Besonderheiten wie die LKW-Maut schmerzhaft zur Kenntnis nehmen: Der Transport vom Hamburger Hafen nach Berlin kostet ihn pro Container inwischen rund 700 Euro. "Nicht lange her, waren es 600", beschwert sich Zhan.
Zhan kam vor sechs Jahren nach Deutschland. Eigentlich ist er Arzt. Als letzter aus seiner Familie verließ er China. Seine Schwester und die Eltern leben schon länger in Österreich, seine beiden Brüder sind Schuh-Händler in Paris. Zhan hat mehrere Jahre in China im Krankenhaus gearbeitet. Weil er keinen deutschen Universitäts-Abschluss hat, ist sein Wissen über traditionelle chinesische Medizin hier jedoch nichts wert. Er sagt, er habe das gewusst, als er auswanderte. Seine Hoffnung auf Wohlstand war stärker als das Gefühl, Heimat und Berufung zu verlieren. Zhan denkt pragmatisch. Gewinne auf der einen, Verluste auf der anderen Seite.
Inzwischen beschäftigt Zhan zwei chinesische Mitarbeiter. Er hat einen deutschen Steuerberater. Er will expandieren, trotz der Ein-Euro-Läden, des deutschen Steuerrechts, den explodierenden Preisen in China. Deshalb denkt er jetzt darüber nach, jemanden einzustellen, der wirklich etwas von Betriebswirtschaft versteht. Möglichst jemanden, der deutsche Wurzeln hat und auch die hiesigen Vorlieben und Konsumgewohnheiten genau kennt. Der einfach noch mehr weiß über die Deutschen als das, was Zhan durch sein Versuch-und-Irrtum-Verfahren herausgefunden hat: "Viel Feiertage, schön Geschenk dann, ein bisschen schöne Verpackung."
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