Lara Croft, die Heldin des weltweit meistverkauften Computerspiels Tomb Raider, bietet eine positive weibliche Identifikationsfigur. Mädchen und Frauen können gar, so Randi Gunzenhäuser im Magazin LaraCroftism, »Lara als Ermächtigungsfantasie persönlicher nehmen als Männer«. Eine Redakteurin von Emma behauptet, dass das Geschenk einer weiblichen Heldin in unserer visuellen Wachstumswelt so groß sei, dass man Laras überdimensionierte weibliche Attribute »als Tribut an die Männerwelt eben in Kauf nehmen« müsse. Nur: Der Tribut ist sehr viel größer als beispielsweise der überdimensionierte Busen der Spielfigur. Denn mit dem Geschenk einer weiblichen Heldin a la Lara Croft geht der Rückgriff auf die alte
Lara Crofts Heilversprechen
DAS VIRTUELLE GESCHLECHT UND SEINE METAPHYSISCHEN TÜCKEN Lara Croft als virtuelle Propaganda-Ikone der Mediengesellschaft ist weiblich und behauptet gleichzeitig das Verschwinden der sexuellen Differenz
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#252;ckgriff auf die alte heterosexuelle Geschlechtermetaphysik einher. Diese etabliert sich auf einer höheren Ebene und sekundiert als stützender Gegenpart einen fortlaufenden Prozess, der als »Entgeschlechtlichung« beziehungsweise »Medialisierung« der Körper beschrieben werden kann. Hier stellt sich die Frage nach der Bedeutungsverschiebung des Begriffs des Geschlechtlichen selbst. Lara Croft vereint beides: sie ist Traumfrau und weibliche Heldin, sexy Render- beziehungsweise Werbefigur und selbstbewusstes Girl in einem. Sie befriedigt Männer wie Frauen, sie erfüllt beider Ermächtigungsfantasien, denselben Wunsch nach überirdischer Leichtigkeit. Doch der Preis dafür ist hoch. Denn Lara Croft bedient nicht nur männliche und weibliche Ermächtigungsfantasien, sie verwandelt im gleichen Zug Spieler wie Spielerinnen in User, BenutzerInnen, deren Geschlecht gleichgültig ist. Das universale Zirkulationsmedium Lara Croft, das nicht zufällig weiblich ist, löscht jeden qualitativen Unterschied - und macht auch vor jenem der sexuellen Differenz nicht Halt. Der mit der Virtualisierung der Realität beziehungsweise der Realwerdung der Virtualität einhergehende Prozess der Entgeschlechtlichung trifft, wie die Theoretikerin Allucquere Rosanne Stone bemerkt, nicht nur »Frauen«, sondern alle User. Zudem ist er, was sie ebenfalls deutlich macht, nicht begrüssenswert. In ihren Überlegungen zur Frage, was mit den Körpern durch die globale Vernetzung der Fantasieräume im Internet geschieht, weist sie darauf hin, dass in vielen Arbeiten über den Cyberspace der menschliche Körper als »Fleisch« gedacht wird - Fleisch im Sinne von Wurst oder kaltem Braten. Allerdings bleibe damit der Körper als ein Stück Fleisch ausgeschlossen von der Realität des Cyberspace, getrennt von den Wünschen, der intellektuellen Fantasie, ja selbst von seinem Begehren. Allucquere betont demgegenüber, dass auch die virtuelle Gemeinschaft als sehr verletzlichen Ursprung den individuellen Körper brauche. Tatsächlich ist auch eine Gesellschaft, in der die Medien universale Bedeutung erlangen, auf die Existenz des Körpers angewiesen - und sei es nur zum Zweck, dass die Körper die Medien bedienen und am Laufen halten. Warum ist Lara Croft eine Frau? Die medialen Ursprünge des Phänomens Lara Croft sind nur sehr schwer von sexuellen Gründen zu trennen. Das hängt damit zusammen, dass die Faszination der Kunstfrau auf einer ihre Produktion zuallererst ermöglichenden und zugleich freisetzenden Bindung des Begehrens an das Medium beziehungsweise das Bild beruht. Wieso eignete sich eine weibliche Figur besser als eine männliche Figur, um die Botschaft der neuen Medien, eben deren Zusammenschluss zur Mediengesellschaft, zu verkünden? Das hängt mit der besonderen Universalität zusammen, die ein universales Medium erfordert: zugleich alles und nichts zu repräsentieren. Dies lässt sich anhand von Teresa de Lauretis' Deutung einer Passage aus Italo Calvinos Roman Unsichtbare Städte zeigen. Sie erklärt, warum nur eine weibliche Figur die Funktion einer »kulturellen Ikone« der Mediengesellschaft übernehmen konnte. Lauretis zitiert den Gründungsmythos der Stadt Zobeide, den Calvino im dritten Kapitel unter dem Titel Die Städte und der Wunsch erzählt. Dort verdankt die Stadt ihre Entstehung einem wunderbaren Traum, den viele Männer in verschiedenen Ländern zur gleichen Zeit träumten: Sie sahen eine nackte Frau durch eine unbekannte Stadt rennen; sie sahen sie nur von hinten, mit langen Haaren, und sie träumten, dass sie ihr folgten - die Ähnlichkeit mit dem Spiel-Erlebnis von Tomb Raider ist schlagend. Als die Männer aufwachten, machten sie sich auf die Suche nach der Frau und nach der Stadt. Sie fanden nie die Frau, aber auf dieser Suche fanden sie zu einer Gemeinschaft, die beschloss, eine Stadt zu bauen, die jener im Traum entspräche. Die Stadt ist, wie Lauretis deutlich macht, die Repräsentation der Traumfrau, während die Traumfrau im gleichen Zug den Grund dieser Repräsentation darstellt. Sie hebt sich aus der Vielheit aller zählbaren Einzelnen - also aus der Masse - hervor, weil sie einzig ist, statt einzeln und unvergleichlich. Sie ist eine Spekulation, die, wie der Gründungsmythos von Zobeide deutlich macht, nicht von dieser Welt ist und gerade deswegen die Zukunft als »Realität« begründet. »Reale« Frauen sind dagegen viele, einzelne, unterschiedliche Frauen. Um der Differenz zwischen diesen vielen, einzelnen, unterschiedlichen, realen und sterblichen Frauen und der imaginierten Traumfrau sprachlich zu entsprechen, unterscheidet Lauretis zwischen »woman« (im Singular) und »women« (im Plural). Diese Unterscheidung ermöglicht die Verwandlung von »Repräsentation« in eine »Performance« mit der Absicht, den kulturellen Text, also die imaginäre Gestalt der Traumfrau, durch eine Praxis zu parieren und ihren Bann zu brechen. Jenseitsversprechen von Laras Körper Das Verhältnis zwischen der Frau und den einzelnen Frauen ist komplex: Die Frau ist unsterblich, ideal und universal. Sie steht jenseits der Realität und zieht gerade deswegen das Begehren auf sich. Das funktioniert doch nur - und es ist genauso paradox, wie es klingt -, wenn sie und weil sie eine Realität jenseits der Realität verspricht. Die jenseitige Realität zeichnet sich dadurch aus, dass sie der quälenden Mängel der realen Realität entbehrt. Dies hat zur Folge, dass zwischen der »realen« Realität und der »idealen« Realität eine Konkurrenz entsteht. Diese beunruhigende Konkurrenz um die »wahre Realität« wiederholt sich im Verhältnis von Lara Croft zu ihren Models. Allerdings erscheint sie hier auf einem neuen Niveau oder, um in der Terminologie der Spiele zu bleiben, auf einem neuen Level. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass in Lara Croft die »als Text produzierte« Frau drei-, beziehungsweise vierdimensionale Gestalt angenommen hat, so dass sie, um einen Ausdruck von Donna Haraway aufzunehmen, zu einem an der Schnittstelle von Automation und Autonomie entstandenen Cyborg geworden ist. Fleischwerdung des Versprechens Nachdem Lara Croft zugleich als Spielfigur auf Computer- und Fernsehschirmen und als Werbefigur auf Plakaten, Werbeinseraten und Titelseiten von Magazinen erschienen war, dauerte es nicht lange, bis die Werbemanager des Spiele-Herstellers Eidos auf die Idee kamen, die künstliche, aus idealisierten Bildern von verschiedenen Frauenkörpern zusammengesetzte Lara in realen Frauen zu inkarnieren. »Wer verkörpert Lara Croft am besten?« Diese Frage ruft nicht nur junge Frauen dazu auf, sich in einem Wettbewerb als Modell für Lara Croft zu bewerben, sie ermuntert zugleich die Fans, ihre Stimme für jene Frau abzugeben, deren im Netz veröffentlichte Fotos sie am meisten an Lara Croft erinnern. Die 22-jährige Rhona Mithra, das offizielle Lara-Croft-Model des Jahres 1997, hat sich ihre Brüste von ihrem Vater, einem Chirurgen, auf die Maße von Lara Croft erweitern lassen, um sich dem Vorbild anzugleichen. Sie sagte in einem Interview: »Ich verstehe die Leute, die sich vor einem derart perfekten, lebendig gewordenen Charakter fürchten. Aber ich weiss, dass ich Lara bin. Und es ist wunderbar.« Zum Zeitpunkt des Interviews war ihre Zeit aber bereits abgelaufen. Eidos und Core erkoren zwei andere Frauen als echte Lara-Models, denn die Manager von Eidos achten bewusst darauf, dass immer mehrere, unterschiedliche Frauen dem Idol Teile ihres Körpers - Stimme, Maße, Fotos von Körperpartien - leihen und dass die Models, die schließlich als offiziell abgesegnete Lara auftreten, spätestens nach einem Jahr von einer anderen Frau ersetzt werden. Damit wird sichergestellt, dass die wahre Lara nicht unerwünschte Konkurrenz von ihren Verkörperungen erhält. Die Absicht von Eidos ist klar: Es gilt, der imaginären Lara Croft über die von den jungen Frauen geliehenen Körper eine Referenz, eine »erfüllte Realität« des Ideals zu verschaffen. Die Frauen müssen nicht nur im originalen Lara-Croft-Anzug auftreten, sondern auch die Zähne genauso fletschen, wie es das Vorbild in Tomb Raider II tut. (Das Zähnefletschen wurde als eine der wichtigsten technischen Innovationen gegenüber Tomb Raider I gefeiert, in dem Lara noch keine Miene verziehen konnte.) Das Verhältnis von Lara Croft und ihren Models lässt sich auf die Formel bringen, dass die imaginäre Lara sich in umgekehrt proportionaler Entfernung zur Exaktheit, in der sie von den Models als Spielfigur kopiert wird, von ihrem eigenen Original entfernen kann, um so als unsterbliche Lara erkennbar zu bleiben. Daher ist es nur konsequent, wenn die Interaktion mit Lara Croft nicht über die Schauspielerinnen vermittelt wird, sondern unmittelbar mit der virtuellen Gestalt selbst stattfindet. Das universale Medium Lara Croft nivelliert somit die sexuelle Differenz, um die Bedeutung der Geschlechterdifferenz, auf einem höheren Level zu zementieren. Tatsächlich funktioniert die Logik der »imaginären Illusion« über den Rekurs auf die bekannten Geschlechterdualismen. Die Entgeschlechtlichung der User, eine unmittelbare Folge des von Slavoi Zizek diagnostizierten »Verlustes der Oberfläche«, steht nicht im Gegensatz dazu. Sie bildet vielmehr den Gegenpol zu jener Rekonstitutierung der Geschlechtermetaphysik auf höherer Ebene. Es ist deshalb kein Zufall, dass die »kulturelle Ikone« für die Propaganda der Mediengesellschaft weiblich ist. Und genau dies ist die Botschaft der überdimensionierten weiblichen Attribute Lara Crofts: Das Geschlecht der User ist vollkommen gleichgültig, wichtig ist allein, dass sie die Medien am Laufen halten. Der Mensch wird, wie McLuhan es beschrieben hat, »sozusagen zum Geschlechtsteil der Maschinenwelt, wie es die Bienen für die Pflanzenwelt sind, die es ihr möglich machen, sich zu befruchten und immer neue Formen zu entfalten«. Wie könnte auf diese Bedeutungsverschiebung des Geschlechtlichen reagiert werden? Ich plädiere mit Judith Butler dafür, die sexuelle Differenz von ihrer Bindung an die Ermächtigungsfantasien bedienende, identitätsfixierte Heterosexualität zu lösen. So kann sie als jene irritierende Frage wahrgenommen werden, die, wie Judith Butler betont, nicht auf Tatsachen und Strukturen beruht, sondern als etwas erscheint, »das uns erstaunen und Fragen stellen lässt und nicht zur Gänze geklärt werden kann«. Die Anwesenheit dieser Frage öffnet nicht nur den Fantasieraum der »symbolischen Fiktion« mit ihrer Versuchung einer Naturalisierung der Virtualität. Sie bildet auch eine Alternative zur »imaginären Illusion« und weist den Weg zur Wahrnehmung der vielen, einzelnen und unterschiedlichen Individuen und damit zu ihren so ähnlichen Wünschen und Träumen. Die New Yorker Künstlerin Jenny Althoff gibt dafür mit ihrem Projekt »Lara Croft« ein Beispiel: Sie hat hunderte privater Bilder gesammelt, welche die Fans von Lara gezeichnet und zum Teil ins Netz gesetzt haben. Die Künstlerin hat diese auf Video übertragen, um sie, im Zusammenklang mit Stimmen und Kommentaren von Fans, eines nach dem anderen ablaufen und eine andere Geschichte von Lara Croft erzählen zu lassen. Damit schafft sie nicht nur den Raum für die Erfahrungen, die sich hinter den Ermächtigungsfantasien beiderlei Geschlechts verbergen, sondern sie eröffnet Umgangswege mit virtuellen Gestalten à la Lara Croft, die die Falle der imaginären Schließung zu vermeiden helfen und stattdessen den Fantasieraum zum Experimentieren freimachen. Das universale Medium Lara Croft nivelliert die sexuelle Differenz, um die Geschlechterdifferenz auf höherem Level zu zementieren. »Cross Female« heißt eine Ausstellung, die bis 29. Oktober im Kunsthaus Bethanien Berlin die »Metaphern des Weiblichen in der Kunst der 90er Jahre« beleuchtet.
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