Dressing vom Feinsten, wa?

Prenzlauer Berg Der Dichter und Kneipier Bert Papenfuß schließt seine „Rumbalotte Continua“-Bände ab. Und eine Kneipe wurde nach ihnen benannt

Eine Mischung aus Anarchismus-Wundergläubigkeit, Ostblock-Sozialromantik, Kapitalismus-Haudegen und vulgärem Männervokabular könnte in Hochpotenz ziemlich nerven. Der Lyriker, Rockmusiker, Kneipenbetreiber, Redakteur und noch als Dramatiker zu entdeckende Bert Papenfuß erzeugt mit dieser Giftmischung solche Sprachlust und -bissigkeit, dass alle Widerstände runtergespült werden. Nörgler sind seit dem ersten schmalen Band der nun abgeschlossenen siebenteiligen Rumbalotte-Continua-Serie entwaffnet. Leitspruch: „(...) oder ich irre unsäglich vorwärts“.

Der überall angestimmte Latte-Macchiato-Abgesang auf den Berliner Prenzlauer Berg klingt bei Papenfuß, nach vorhergehender Hasstirade auf schnöselige Fahrradfahrer, zum Auswendiglernen garstig: „Und wenn die gerade im Internetcafé oder im Puff sind, stehen die greisen Mütter mit ihren protzigen Kinderwagen im Weg“. Später „karjolen“ sie dann durch Drogerien, was mit folgendem nostalgischen Geknirsche quittiert wird: „Früher wurden die Balgen vor der Kaufhalle angeleint und komischerweise nicht geklaut – wohl weil alle genug davon hatten.“ Fazit dank Adorno: „Es gibt kein blühendes Leben in einer falschen Gesellschaft.“

Lautpoetisches Geschmiede

Papenfuß wettert nicht nur gekonnt, er entwirft auch – eine Seltenheit – literarische Alternativen. Denn das obige Lamento ist nur Einleitung eines grundvergnüglichen Textes (im siebten Band), der eine Vision zur direktdemokratischen Befreiung der Mark Brandenburg und Gründung eines anarchischen „Unstaats“ entwickelt. Im wirklichen Leben hat Papenfuß, jahrelang Programmplaner im legendären Kaffee Burger, nun zudem als letzten Rückzugsraum in dem Berliner Biotop Jungverrentnerter eine eigene „Schankwirtschaft“ samt „Bordbuchhandlung“ und angeschlossener Bibliothek aufgemacht. Sie liegt in der Metzer Straße, also mitten im Latte-Macchiato-Distrikt, und heißt wie seine raue Poesie Rumbalotte Continua ­– ein lautpoetisches Geschmeide, das auf einen blöden Witz (zu googeln unter „Rumbalotte“) und den Namen der ehemaligen italienischen Linksgruppierung „Lotta Continua“ zu verweisen scheint.

Aber Italien stirbt; die Gegenöffentlichkeit geht bei Papenfuß weiter, zwar gemäßigt, aber unbestechlich. Früher wurde dem 1956 in Stavenhagen (Mecklenburg-Vorpommern) geborenen Dichter für sein Treiben allerdings von staatlicher Seite mehr Beachtung gezollt. Damals kümmerte sich der – womöglich nur mit Decknamen genannte – IM-Vorlauf „Jochen Funk“ ganz gut um ihn. Einer seiner Stasi-Akteneinträge wird für so brauchbar befunden, dass daraus in der Herbergssuche-Männerballade Ausjangspunkt Karl-Marx-Allee Ecke Pariser Kommune leicht modifiziert zitiert wird: „Papenfuß macht beim Sprechen grammatikalische Fehler. Auf ihm gestellte Fragen antwortet er nie logisch. Er sprach praktisch wie seine Gedichte geschrieben sind.“

Rotwelscher Fundus

Zu Zeiten der Original-Berichterstattung (1980) gab es in Papenfuß’ Lyrik noch Elemente konkreter Poesie und grammatikalische Kleinstparzellen, deren syntaktische Bezüge gewollt Kleintaktik waren. Diese Elemente sind selten geworden. Der proletarische Sprachgestus und die Pole des virtuosen intertextuellen Bezugsystems waren jedoch damals schon so zeitlos angelegt wie der Selbst-Zuprostspruch „im rechten augenblikk/ das linke zu tun“.

Ein selbst geschaffenes Referenzsystem, das jahrelang trägt, zeugt entweder für die Tragfähigkeit desselben oder für die Anspruchslosigkeit des Verwenders. Für Papenfuß gilt ersteres. In seine hoch rhythmischen Textkompositionen werden – so vereinnahmend wie polyphon – immer wieder dieselben Künstler, Denker, Revolutionäre und Piraten aus unterschiedlichsten Zeiten und Blickrichtungen integriert. Vorlieben gelten neben den literarischen Prenzlauer-Berg-Veteranen beispielsweise dem Seeräuber Klaus Störtebeker, der mittelalterlichen Dichterin Marie de France wie auch dem Universalisten und selbsternannten Biosophen Ernst Fuhrmann (1886-1956).

Die Text-Piraterie geht so weit, dass in den Rumbalotte-Continua-Bänden „Bert Papenfuß u. v. a. m.“ als Autoren genannt werden. Kenntlichmachen der fremden Textpassagen geschieht klassisch durch Fußnoten. Sie wirken hier ausnahmsweise nicht postmodernistisch nervtötend, sondern wecken Interesse und lassen sich gut lesen. Nur das unübersetzte Russisch darin ist unnötig. Man könnte schließlich auch nett zu Leuten sein, die lieber Altgriechisch im Abitur gesprochen haben.

Für plattdeutsche Passagen lohnt sich dagegen die Entzifferungstüftelei. Ausdrücke aus dem rotwelschen Fundus des passionierten Wortsammlers werden sogar übersetzt, wie das gern gebrauchte „Dunkelwüst“ für Nebel. Und genial geölt kommt die Ostberliner Schnauze der zunehmend im Dialekt verfassten Texte daher: „vonne Intensität, wie’t ehmd jeht “.

Diese Balladen und Mini-Epen auf versuchte Revolten, Rockmusik-Anekdoten, anarchistisch-poetische Manifeste, Schwänke, Schank- und Piratenlieder – sind einerseits schon während des Lesens hörbar. Andererseits will man sie hören. In ihnen liegt so viel Affekt und dramatische Situativität, dass einige der Rumbalotte-Continua-Bände wahrscheinlich mit die besten Stückvorlagen abgäben, die man zurzeit finden kann.

Wie alle gute Literatur verweist auch diese auf die Zeit, in der sie entstanden ist, ohne sich darin zu verhaken, mal anschaulich, mal satirisch, mal proletenhaft: „,Rock’n’Roll stars don’t dress for the weather‘ – det heißt aba ooch/ det de Klimakatastrophe total für’n Arsch is, wat det Dressing anbetrifft.“


Astrid Kaminski lebt als Journalistin in München und bedauert sehr, dass sie am 7. Januar nicht auf der Lesung von Papenfuß und Freunden im Rumbalotte Continua sein konnte

Rumbalotte Continua, Band 1,3,5,7 Bert Papenfuß Verlag Peter Engstler 2004-2010. Band 2,4,6 Verlag Karin Kramer 2005-2009. Je Band 40-50 S.,broschiert. Zwischen 8 und 11

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