"Ist es wieder gesund?" Die junge Frau mit dem französischen Akzent kniet mit besorgtem Blick neben ihrem lila Klapprad und streichelt den Sattel. "Na ja, wir haben es durchgesehen", sagt Roland Jabs, zählt geduldig die Reparaturen auf, die er gemacht hat. Er erklärt, warum er das Schutzblech nicht befestigen konnte. "Die Schraube sticht sonst in den Reifen!" Das muss er mehrmals wiederholen, weil sich die Besitzerin nicht damit abfinden kann. Doch nicht gesund!
Die 15 Euro, die sie bezahlt, übersteigen den Wert des Rades. Das trifft wohl auf die meisten Räder zu, die Jabs zur Reparatur bekommt. Vor kurzem hatte sein Betrieb in Berlin-Friedrichshain 26-jähriges Jubiläum. In einem halben Jahr ist Jabs 65 Jahre alt und Rentner, aber sein Laden in der Boxhage
er Boxhagener Straße bleibt. "Nur der Druck wird weniger", sagt er, "ich muss dann nicht mehr, ich kann arbeiten." Die Konkurrenz ist groß. Im Umkreis von fünf Gehminuten gibt es zehn weitere Läden. Aber vor Jabs sind alle Räder gleich und damit hebt er sich von den anderen Geschäften ab. Eine Kundin erzählt: "In einem anderen Laden haben sie mein Rad so komisch angesehen, die meinten das lohnt sich nicht mehr."Dieses Geschäft ist nichts für Leute mit Platzangst, die Räder werden bei Bedarf in die Höhe gestapelt. Klein und wendig tanzt Jabs im schmalen Gang vor seinem Verkaufstresen um Räder und geduldig wartende Kunden. Er hat einen weißen Bürstenhaarschnitt und hinter der Goldrandbrille blicken rotumränderte Augen. Sich mit krummem Rücken über ein Rad zu beugen macht ihm nichts aus. "Das kann ich ab", sagt er, "nur im Winter brauche ich so eine Art Katzenfell für meine Nieren. Heizen ist teuer und immer steht die Tür offen."Er scheint mehrere Hände zu haben, die gleichzeitig eine gebrochene Speiche untersuchen, einen Fahrradknochen oder eine Luftpumpe reichen und noch ein weiteres Rad in den Laden zerren. Seine Stimme in Berliner Tonart schießt wie ein Pfeil durch den Laden auf den nächsten Kunden zu: "Und der Herr mit dem Rucksack, was kann ich für Sie tun?" Der Herr mit dem Rucksack ist ein Radprofi, braungebrannt, hautenge Kleidung, Ton in Ton bis zu den Schuhen. Draußen steht sein stromlinienförmiges, schwarzes Rad, das eine neue Vorderlampe braucht. Jabs wühlt durch seine Kisten und zeigt, was er zu bieten hat. Angewidert starrt der Kunde auf die silbernen Ungetüme, die doch eher an ein lila Klapprad passen würden. Jabs lässt ihn ein wenig zappeln. "Oder wollen sie eine Batterieleuchte?" Erleichterung. "Ja!" "Na, das hätten sie doch gleich sagen können!" Es folgen noch einige Belehrungen, der Mann schrumpft und geht mit einer Leuchte, die preislich zu seinem Rad passt."Herr Jabs, ich hätte da mal eine riesige Bitte!" ruft es durch die Ladentür, vor der sich Räder und junge Leute stauen. Ein Lenker ist zu breit. Die Flex kreischt eine Minute, fertig. Dann wird wieder die Luftpumpe gereicht, Ermahnungen wegen einer ungenügend gefetteten Kette ausgesprochen oder für fertige Räder abkassiert. Ist Jabs ein Menschenfreund? "Na ja, manchmal mag ich weder Kunden noch die Räder", sagt Jabs, "dann mache ich ein Schild an die Tür, Reparatur-Annahme erst wieder in drei Wochen, das schreckt ab und ich habe meine Ruhe.""Herr Jabs, kommen Sie mal!" Diesmal ist es kein Rad. Vor dem Laden steht ein stolzes Paar mit Baby, elf Tage alt. Auch sie bekommen zwei Minuten von Jabs´ Zeit. Später sagt er: "Die sind aus meiner Religionsgruppe, wir treffen uns einmal die Woche." Vom Thema Religion ist es nicht weit zu einer Frage nach den Montagsdemos von 1989, aber das ist Jabs zu aufdringlich. "Und gleich fragen Sie noch, ob ich die Mauer wieder will!" Nein, diese Frage bekommt Jabs nicht gestellt, er beantwortet sie trotzdem. "Die Mauer will ich nicht wieder, aber verändert hat sich hier viel, und nicht alles zum Guten."Jabs kam spät zum Fahrrad. Er sollte nach dem Willen seines Vaters Gärtner werden, daraus wurde dann Traktorist. Später lernte er KFZ-Schlosser. Seine Selbstständigkeit begann 1978 mit einem Geschäft für Klappfahrräder, Kinderfahrräder und Kinderwagen. Mit der Wende kamen auch die Erwachsenenräder in sein Geschäft.Es ist weit nach Ladenschluss, Jabs hat noch mal schnell Speichen für einen eiligen Kunden aufgezogen, da dringt wieder die Bitte nach der Luftpumpe durch die Tür. "Und noch einen Fahrradknochen, wenn Sie einen hätten", kommt es demütig von zwei Jungs. Sie drehen Schrauben in die falsche Richtung und nun ist die Vorderachse kaputt, Jabs macht sich knurrend ans Werk.