Am Tag, als der Regen kam

Film Klaus Sterns Dokumentarfilm "Henners Traum" handelt von einem größenwahnsinnigen hessischen Bürgermeister und ist nicht zuletzt auch ein Lehrstück über die Krise

Wenigstens regnet es. Aus Heinrich Manns Roman Der Untertan wissen wir, dass der letzte Rest Gerechtigkeit gegenüber Speichelleckern sich meteorologisch entlädt: Als Manns Parvenü Diederich Heßling zur Krönung seines Duckmäusertums das Kaiser-Wilhelm-Denkmal einweihen will, macht ihm das Wetter einen Strich durch Rechnung.

Und das tut es auch in Klaus Sterns Dokumentarfilm Henners Traum. Der handelt von einem hessischen Bürgermeister, der sich von einem suspekten Architekten den Floh ins Ohr hat setzen lassen, dass in Hofgeismar Europas größtes Tourismusprojekt entstehen wird. Dass es dazu, wie der vernunftbegabte Zuschauer hofft, vielleicht doch nicht kommt, dafür ist der Regen ein Zeichen: Ausgerechnet an dem Tag, als Bürgermeister Henner Sattler den Gästen inklusive Ministerpräsident Roland Koch die Luftschlösser vor Augen zaubern will, die auf dem verschlafenen Gelände der derzeitigen Staatsdomäne Beberbeck einmal erstrahlen sollen, regnet es.

Zu Beginn der Krise, die nun schon eine Weile dauert, war von den Fiktionen die Rede, die die Rhetorik einer entfesselten Ökonomie an die Flipcharts unseres Verstehens geworfen hat. In Henners Traum wird dieses Trugbild anschaulich: Klaus Stern examiniert an der Seite seines unverzagten Bürgermeisters durch, was es heute heißt, an seinen Traum zu glauben. Man mag als Zuschauer nicht für möglich halten, dass Figuren wie der überaus windige Architekt Tom Krause tatsächlich Erfolg haben: Figuren, die ihren Zynismus unverstellt zur Schau stellen, die „Ich“ sagen, wo andere „Wir“ denken würden, die aufbrausend reagieren, wenn sie in die Kritik geraten – und die doch immer wieder durchkommen damit. Henners Traum erzählt auch, wie diese Fiktionen möglich sind, wie der Zweifel, der nach dem Erschrecken „gesunder Menschenverstand“ heißt, abgetötet wird durch einen merkwürdig männlichen Fatalismus: „Da steh’ ich permanent an der Front“, ermannt sich der Bürgermeister selbst, wo er nur seiner Skepsis nachgeben müsste.

Klaus Stern hat Erfahrung damit, die Geschichten zu erzählen, die sich hinter Zeitungsmeldungen verstecken, in denen Börsenkurse, Wachstumsversprechen und Arbeitsplatzzahlen gute Nachrichten sind. In Weltmarktführer (2004) begrub er die Illusionen, die sich die New Economy von sich selbst gemacht hatte (Freitag 05/2005). In Henners Traum kann man sehen, wie wenig daraus gelernt wurde, auch wenn man sich an mancher Stelle einen um größere Klarheit bemühten Stil wünschen würde. Was Stern zeigt, indem er wie im Offenen Kanal hinter die knappe Akkuratesse der Fernsehbilder blickt, ist die Abgeschmacktheit der Politik: Roland Koch sieht hier nicht so gut aus wie im Heute-Journal. Mehrmals kommt er nach Hofgeismar, immer spürt man die Taktik, die ihn treibt: ein kurzes Händeschütteln, ein bestimmtes Raunen, und dann folgt das ­Lächeln für die Blitzlichter.

Henners Traum ist ein Lehrstück, dem der Boden entzogen scheint durch die Krise, die uns umgibt. Menschenfreundlich wirkt der Investor, der am Ende auf der Immobilienmesse den tapferen Bürgermeister fragt, in welchen Schritten das 420-Millionen-Euro-Projekt denn errichtet werden solle. Als der Bürgermeister antwortet, alles auf einmal, schaut der Investor ungläubig. Absurder ist keine Fiktion.

Henners Traum Regie: Klaus Stern, ab heute u.a. in Berlin, Köln, Kappeln, Kassel

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