Man kann sich fragen, woher der Erfolg des jungen deutschen Filmemachers Robert Thalheim rührt. Vor zwei Jahren debütierte er als Student mit Netto bei der Berlinale, einem Film, der eigentlich als Kameraübung gedacht war. Nun kommt sein zweiter Film in die Kinos, Am Ende kommen Touristen, der im Programm von Cannes zu sehen war.
Eine Erklärung wäre die Geschichte des jungen Himmelsstürmers, die sich über diese rasante Karriere erzählen lässt. Eine andere, dass Thalheim ein ausgeprägtes Gespür für Themen hat. Netto war eine Komödie über einen arbeitslosen Vater (Milan Peschel), der sowohl bei der Arbeitssuche als auch beim Vatersein versagt. Der Film lief in einer Zeit, in der Hartz-IV zum Synonym geworden war des misslingenden Lebens in einem Land, das sich mit zutiefst depressiven Kampagnen ("Du bist Deutschland") aus seiner wirtschaftlichen Misere zu ziehen versuchte. Das Bedrückende, Verzweifelte an Hartz-IV kam in Netto zwar nicht vor, weil alles Sorgenvolle im grandiosen Klamauk Milan Peschels verschwand. Aber so akkurat will es der Zeitgeist ja nicht wissen, wenn er seine Moden auf den Laufsteg schickt.
Am Ende kommen Touristen verdient sich Beachtung nun allein durch den Umstand, dass ein junger deutscher Filmemacher sich einem Ort zuwendet, der dem jungen deutschen Filmemachen weit entlegen scheint: Auschwitz. Angeregt von seinen eigenen Erfahrungen als Zivildienstleistender der Aktion Sühnezeichen in dem ehemaligen Vernichtungslager erzählt Thalheim die Geschichte eines Berliner Zivildienstleistenden in Oswiecim. Man muss den Film loben dafür, dass er seinen Schauplatz polnisch und nicht deutsch ausspricht. Thalheim nähert sich der Vergangenheit nicht mit den Bildern, die das kollektive Bewusstsein von ihr hat, sondern vermittelt, was gewesen ist durch das Präsens der Alltäglichkeit. Oswiecim ist nicht nur Auschwitz, es ist auch ein Ort, an dem Menschen aufwachsen, zu Rockkonzerten gehen und an den See fahren. Die Kamera (Yoliswa Gärtig) zeigt eine Normalität, wie sie um das Bild vom Lagertor herum sich abspielt. Postkartenständer, Touristenbusse, Neubaubalkone, Kneipen, kurz: das Unspektakuläre, Gewöhnliche, das den Aufnahmen eine eigenartige Schönheit verleiht. Wo in Netto die Räume eng waren, regiert in Am Ende kommen Touristen die Weite der Einstellungen. Zumindest ansatzweise. Denn Thalheim ist ein ungeduldiger Regisseur, der nicht so weit in Distanz zum Schauplatz geht, dass dieser in das Bild und die Zeit des Films eindringen könnte. Stil wäre keine hinreichende Erklärung für Thalheims Erfolg.
Auf der anderen Seite ist er ein beredter Erzähler (Drehbuch mit Bernd Lange und Hans-Christian Schmid). Dem knurrigen KZ-Überlebenden Krzeminski (Ryszard Ronczewski) trinkt der Zivildienstleistende Sven (Alexander Fehling) gleich nach der Ankunft die Milch weg, und der dynamischen Ania (Barbara Wysocka) schaut er unvermittelt auf das Namensschild, das sie als Gedenkstättenführerin ausweist. Dem Zuschauer entgeht bei solch inszenatorischer Überdeutlichkeit nicht, wie die Grenzlinien verlaufen, die den Entwicklungsroman des jungen Deutschen in Auschwitz befestigen. Den Alten wird er zu achten lernen und das Mädchen zu lieben; dazwischen justiert er sein Verhältnis zur deutschen Geschichte, die ihn bislang nicht interessierte.
Vielleicht muss man sich die pessimistischste Sicht auf den Stand der Geschichtsvermittlung an die Jugend von heute zu Eigen machen, um den Film als Chance zu begreifen, Heranwachsende für ein ernstes Thema zu interessieren. Thalheims Sven taugt als Identifikationsfigur nämlich nur dann, wenn man den gut aussehenden Alexander Fehling in die Zuckerwatte der Teenieschwärmerei packt. Die fehlende Sympathie für den Hauptdarsteller verdankt sich dabei nicht der Ignoranz, mit der ein Berliner Szene-Bubi, der eigentlich auf eine Stelle in Amsterdam gehofft hatte, nach Auschwitz verschlagen wird. Vielmehr erschreckt die Art und Weise, wie Sven allmählich sich zum letzten guten Deutschen mausert. Sein Reifen zum Bengel der Geschichte erkauft Am Ende kommen Touristen mit der Denunziation aller anderen (deutschen) Figuren: gelangweilte Azubis, die sich an tätowierten KZ-Häftlingsnummern aufgeilen; desinteressierte Kulturvermittlerinnen, die wegen Regens Krzeminski in der Erzählung seines Schicksals abwürgen; trottelige Lehrer, die mit abstrakten Erklärungen über die Judenvernichtung nerven.
Am Ende kommen Touristen beobachtet auf diese Weise gerade nicht, wie die Vergangenheit in die Gegenwart eingesickert ist, sondern propagiert bisweilen hämisch die Trumpfkarte der richtigen Auschwitz-Einfühlung, die nur Sven spielen kann. Das führt dahin, dass Ania ihr plötzlich auftauchendes, wenn auch unbezahltes EU-Stipendium in Brüssel aus Mitleid erhält, weil sie "daher" kommt (obwohl, wie sie oft, offen bleibt, ob daher nun Os´wie¸cim meint oder Polen als Ganzes). Und endet in Svens Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Krzeminski, ihm zu restaurierende Koffer zu klauen, weil der knurrige Kofferkonservator nach all den Jahren plötzlich pfuscht ("er hat ja nie studiert") und ihm deshalb keine Arbeit mehr anvertraut werden sollen. Als der Schwindel auffliegt, entschuldigt sich Sven bei Krzeminski und der gleich darauf ihn: im Lager habe er trotz besseren Wissens den Häftlingen auch erzählt, dass sie ihre Koffer wiederbekämen. Lüge ist Lüge, und so verdampft das Peinigende der survivor guilt in der Hybris eines Zivildienstleistenden.
Man könnte es auch so sagen: Den leicht-melancholischen, offenen Ton seines Titels (der von einem Gedichtband Björn Kuhligks entlehnt ist) konterkariert Am Ende kommen Touristen durch den inszenatorischen und moralischen Übereifer seines Regisseurs. Mit Adorno: Der Titel ist das Mahnmal einer Niederlage im permanenten Prozess zwischen Gebilde und Autor.
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