Mit der neuen Koalition erobert das Neusprech die Energiepolitik: „Atomkraft“ war gestern, heute heißt diese Form der Energiegewinnung verheißungsvoll „Brückentechnologie“. Hin zum reinen Ufer der Erneuerbaren Energien soll es gehen, das beschwört der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag. Genauer müsste es heißen: Die bis 2021 reichende Übergangszeit bis zum Abschalten aller deutschen AKWs, die der rot-grüne „Atomkonsens“ ohnehin vorsieht, soll gestreckt, die Brücke verlängert werden. Nur so könne die drohende Energielücke vermieden werden, nur so blieben die Strompreise in Deutschland stabil, beteuern die Koalitionäre.
Frank Asbeck sieht das anders. Der Chef des führenden Herstellers für Solarmodule, dem Bonner Unternehmen Solarworld ist sich sicher: „Wir brauchen keine Brücke ans andere Ufer, weil es dazwischen keinen Fluss gibt. Wir können sofort und mit einem Schritt ins solare Zeitalter!“, so Asbeck. Die Energielücke ist für ihn eine Erfindung von PR-Strategen.
Obwohl die Laufzeitverlängerung für die deutschen AKWs eines der wenigen heiß umstrittenen Wahlkampfthemen war, herrscht seit dem schwarz-gelben Sieg vorsichtiges Schweigen. Die Linie des gesamten Koalitionsvertrages – die strittigen Themen vertagen und erst einmal losregieren – bestätigt sich auch in der Energiepolitik: Aus Nordrhein-Westfalen mahnt Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zu mehr Gemach mit dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Zunächst einmal will er die Wahl im kommenden Mai gewinnen, dann erst soll das heiße Eisen angepackt und ein umfassendes „Energiekonzept“ erarbeitet werden.
Ob und wie FDP und Union Deutschlands Energieversorgung verändern werden, ist noch keineswegs ausgemacht. Nur die Laufzeitverlängerungen und Eingriffe in das Erneuerbare-Energien-Gesetz scheinen sicher.
Laufzeiten von 60 Jahren
Für den grünen Anstrich dieser Projekte sorgt der Plan, über die Hälfte der zusätzlichen Gewinne aus dem Weiterbetrieb der AKWs in den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu stecken. Experten der Landesbank Baden-Württemberg rechnen vor: Bis zu 24 Milliarden Euro würden so in den Umbau der Energieversorgung fließen – je nachdem, wie viel länger deutsche Atommeiler Strom liefern dürften. Voraussetzung dafür: Laufzeiten von 40 bis 60 Jahren und eine 65-prozentige Abschöpfung der Gewinne aus dem Kernenergieverkauf.
Ob sich die CDU und besonders die Freidemokraten auf diesen staatssozialistischen Eingriff einigen und ob die Einnahmen tatsächlich so hoch ausfallen, bezweifelt Thomas Breuer, Atomexperte bei Greenpeace: „Schließlich werden von den Gewinnen der AKW-Betreiber zunächst auch Modernisierungsmaßnahmen bezahlt, Einnahmeausfälle durch Stillstände für diese Arbeiten würden eingerechnet werden und am Ende fließt erst dann Geld in den Fonds, wenn ein Kraftwerk länger läuft als nach der bisherigen Regelung vorgesehen“. Fraglich sei zudem, so Breuer, ob die zusätzlichen Einnahmen tatsächlich den Erneuerbaren Energien zugute kämen, und wer über die Mittel verfügen dürfe: Bauen die großen vier Energieversorger RWE, Eon, EnBW und Vattenfall damit ihre Windparks in Nord – und Ostsee aus, werden damit Forschungsprojekte finanziert oder am Ende nur Schuldenlöcher gestopft?
Nicht nur die Atomkraftwerke sollen länger am Netz bleiben, auch die Förderung für Solaranlagen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) soll schneller sinken als bisher vorgesehen. Schuld daran ist der Erfolg der solaren Stromerzeugung: die Module sind mittlerweile viel günstiger und leistungsfähiger, als es die rot-grüne Regierung bei der Verabschiedung des EEG im März 2000 vorausgesagt hat. Sogar Frank Asbeck von Solarworld fordert deshalb niedrigere Fördersätze. So könne, sagt Asbeck, der Innovationsdruck hierzulande erhöht, der Stromkunde entlastet und eine Marktbereinigung erreicht werden. Asbeck ist sich sicher: Seine Firma würde diesen Prozess überleben.
Bestehende Strukturen zementiert
Macht die Koalition ernst mit diesen beiden Korrekturen – Änderung des EEG und Laufzeitverlängerung –, wird sich der Umbau der deutschen Energieversorgung verzögern. Das betonen nicht nur Grüne und SPD, auch Greenpeace und der Präsident der deutschen Sektion des Club of Rome, Max Schön, warnen vor solchen Korrekturen: Der Unternehmer Schön und seine Mitstreiter treiben das so genannte Desertec-Projekt voran, das Strom aus der afrikanischen Wüste in die Region und nach Europa bringen will: „Alle Berechnungen des Projekts gehen vom Auslaufen der Kernenergie aus. Und diese träge Energieerzeugung können wir nicht mehr brauchen. Was wir brauchen sind flexible, schnell einsatzfähige Gaskraftwerke, die auf ein schwankendes Wind – und Sonnenenergieangebot reagieren können!“ Schön schüttelt den Kopf über die angekündigten Energieideen von Schwarz-Gelb. Denn die hemmen Innovationen und zementieren die bestehenden Strukturen, erklärte Schön unlängst auf einer Konferenz.
Dass diese Strukturen keine Zukunft mehr haben, machten nahezu alle Vertreter dieses Stuttgarter Energie-Treffens klar, zu dem Mitte November Experten vor allem aus Wissenschaft, Unternehmen und Verbänden zusammenkamen. Debattiert wurde nicht, ob, sondern wann und wie schnell der Umbau der deutschen Energieerzeugung vonstatten gehen sollte: Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit ist demnach der Ausbau bestehender Netze, die Schaffung ganz neuer, intelligenter Stromleitungen – der so genannten Smart Grids – die Dezentralisierung der Energieproduktion und die Neuschaffung ganzer Industriezweige.
Behindert wird diese Entwicklung durch das Festhalten an der Kernenergie: Die vier Energieversorger werden, so die Prognose des Greenpeace-Experten Thomas Breuer, nicht in Erneuerbare Energien investieren – viel leichter lässt sich mit abgeschriebenen Atommeilern Geld verdienen. Zudem verstopfe, so Breuer, der Atomstrom die Netze und blockiere damit das Einspeisen für Energie aus regenerativen Quellen.
Martkmacht der Atomstromer
Wie das Energiekonzept von CDU und FDP ausfallen wird, zeigt sich erst Mitte 2010. Vielleicht vollbringt die Koalition dann ein wahres Kunststück: die beiden wirtschafts- bis neoliberalen Partner könnten – im Namen der grünen Energierevolution – Gewinne der vier größten Energieversorger abschöpfen. Hätten SPD, Grüne und gar die Linke derartige Pläne vorgelegt, der Aufschrei der Marktliberalen wäre schrill und laut ausgefallen. Und gleichzeitig wird die Laufzeitverlängerung die Marktmacht der großen vier Atomstromer stützen, so den stets gepriesenen Wettbewerb behindern und einer längst etablierten Ökostrom-Industrie am Ende genau den Vorsprung rauben, der ihren Produktionsstätten in Deutschland die Zukunft sichert.
„Noch liegen wir vorn“, schwärmt Solarworld-Chef Frank Asbeck: „Noch haben wir 18 Monate Vorsprung vor der Konkurrenz aus Asien.“ Die neue Regierung muss sich entscheiden: Wenn sie den konsequenten Umbau der deutschen Energieversorgung will, der Arbeitsplätze schafft und der deutschen Exportwirtschaft neue Märkte sichert, müsste sie ihre einseitige fantasielose Klientelpolitik aufgeben, die nur einer Hand voll Unternehmen nutzen wird und das Geschäft mit den Innovationen anderen überlässt.
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