Wie alle seine Vorgänger muss sich auch Dmitri Medwedjew mit einem wenig geschätzten Erbe aus der Ära des Zarentums beschäftigen. Bereits zu Zeiten des monarchischen Reiches galt der Nordkaukasus stets als „politisch illoyal“ und ein kaum je einzuhegender, geschweige denn zu befriedender Hort der Unruhe. Nun also lässt der russische Präsident die mehrheitlich muslimischen, autonomen Republiken Dagestan, Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien, Inguschetien und Tschetschenien, außerdem das christlich geprägte Nordossetien und das Gebiet Stawropol aus dem „Südlichen Föderalen Bezirk“ ausgliedern und in einem neu geschaffenen „Nordkaukasischen Föderalen Bezirk“ vereinen. Pjatigorsk, ein ber
#252;hmter Kurort in Stawropol, soll das politische Zentrum dieser Fusion sein. Es würde wenig überraschen, sollten Südossetien und Abchasien über diesen neuen Bezirk informell mitverwaltet werden. Die beiden abtrünnigen Teilrepubliken Georgiens hatten im August 2008 nach dem russisch-georgischen Konflikt ihre Unabhängigkeit erklärt.Zum Bevollmächtigten Vertreter des Präsidenten im nordkaukasischen Verbund wurde Alexander Chloponin ernannt, zuvor Gouverneur des Gebietes Krasnojarsk und wohl situierter Geschäftsmann, der dank seiner anstehenden Mission gleichsam zum russischen Vizepremier avanciert. Die entstandene Schnittstelle zwischen Region und Zentralstaat verkürze die Dienstwege zwischen lokaler Administration und föderaler Macht, so die Begründung in Moskau. Inoffiziell wird eingeräumt, als stellvertretender Regierungschef unter Wladimir Putin müsse Chloponin „den Diener zweier Herren“ geben, doch nur so könne der Kreml eben einen direkten Zugriff auf den Nordkaukasus behaupten. Die Personalie Chloponin mag auch ein Indiz dafür sein, dass die Balance zwischen dem Präsidenten und seinem Premier – den beiden „Vätern“ Russlands in der Kaukasus-Politik – künftig keinen Schaden nimmt und funktioniert.Diener zweier HerrenDmitri Medwedjew fehlt es zuweilen an letzter reformerischer Passion, so verheißt denn auch sein nordkaukasischer Bund keinen Durchbruch, sondern verspricht lediglich etwas mehr Regierbarkeit für eine mit viel zentrifugaler Wucht aufgeladene Region. Im Nordkaukasus pflegen Bürgerkriege über Nacht aufzuflammen, eine überdurchschnittlich hohe Erwerbslosigkeit sowie bittere Armut bilden den Humus für extremistische Bewegungen aller Art. Ob damit das Ziel dieser Gebietsreform hinreichend beschrieben ist, darf bezweifelt werden. Seit langem sind nicht nur aus den Moskauer Oppositionsparteien Stimmen zu hören, die den Nordkaukasus als für Russland „endgültig verloren“ und zu einem früher oder später verzichtbaren „Ballast“ erklären. Genau genommen hat der präsidiale Ratschluss den Nordkaukasus verwaltungspolitisch als „Ballast“ stigmatisiert und von russischem Kernland geschieden – auch wenn Medwedjew und Putin den harten Schnitt noch scheuen, solange die Beziehungen zum georgischen Staatschef Saakaschwili so gespannt bleiben, und Abchasien wie Südossetien ohne russische Protektion als staatsähnliche Gebilde kaum überleben dürftenGeister der VergangenheitAus einem während der Sowjetzeit zwischen Russland und Georgien existierenden Puffer autonomer Republiken, wurde nach dem Zusammenbruch der Union 1991 eine schwer durchschaubare Kleinstaaterei, geprägt durch ein Geflecht lokaler Clans, denen der Sinn danach steht, Staatsmacht zu privatisieren und als Tarnung für Schattenwirtschaft, Korruption, organisiertes Verbrechen und Radikalismus zu missbrauchen. Dieser kaukasische Aggregatzustand erweist sich als veränderungsresistent und maßlos im Wunsch nach hohen Subventionen aus Moskau. Nationalistisch gesinnte Gruppen, wie es sie nicht zuletzt auch in der KP der Russischen Föderation gibt, verlangen seit langem, man solle die sechs Teilrepubliken komplett auflösen und russischem Kerngebieten einverleiben, welchen Sprengsatz man damit auch immer zünden möge. Solch vornehmlich rhetorischer Radikalität können selbstredend die Machteliten wie auch Titularvölker Dagestans, Kabardino-Balkariens, Karatschajewo-Tscherkessiens, Inguschetiens und vor allem Tschetscheniens mit ihrem Nationalismus nichts abgewinnen. Überdies mahnen die Geister der Vergangenheit zur Vorsicht – Tschetschenen, Inguschen und Balkaren verloren wie einige andere vormals sowjetische Völker schon einmal ihre Autonomie, als sie während des Zweiten Weltkrieges „der Kollaboration mit dem Feind“ verdächtigt und nach Zentralasien deportiert wurden.Ohnehin fehlen sowohl der politische Wille im Kreml als auch das Interesse der Bevölkerung, den Nordkaukasus so zu behandeln, dass nicht nur eine neue Verwaltungseinheit entsteht, sondern dieser Raum ökonomisch stabilisiert wird. Stattdessen bleiben die Ärmsten der Armen unter sich. Keine Teilrepublik aus dem wirtschaftlich viel besser situierten „Südlichen Föderalen Bezirks“ muss sich dem neuen Verbund zugesellen. In dessen Bestand sind alle autonomen Republiken mit Ausnahme von Stawropol Kostgänger des gesamtrussischen Finanzausgleichs, sie müssen alimentiert werden, um zu überleben (s. Übersicht). Erscheint der Nordkaukasus aus Moskauer Sicht politisch höchst unattraktiv – eine wirtschaftliche Bürde ist er obendrein. Daher sind die Macht- und Wirtschaftseliten herzlich wenig daran interessiert, dort etwas für bessere soziale Standards zu tun, was sich unter anderem darin zeigt, dass der Regierung Putin jede einschlägige Kaukasus-Expertise fehlt. Anfang der sechziger Jahre schon wurden die Kaukasus-Studien an russischen Hochschulen abgewickelt, bis heute werden die Sprachen des Kaukasus nicht gelehrt und dessen Kulturen ausgeblendet. In den meisten Moskauer „Denkfabriken“ gibt es keinen einzigen Experten, der auch nur eine Sprache aus dieser Region beherrscht. Vielleicht ist diese Gleichgültigkeit auch eine Erklärung dafür, dass Zuwendungen von vielen Millionen Rubel aus dem zentralen Etat restlos in den Privatkassen lokaler Clans sowie ihrer „Paten“ in Moskau verschwinden und selten jemand etwas dagegen unternimmt.Es bleibt als Fazit, auch wenn sich Moskau des Nordkaukasus entledigen will – wie diese Altlast ohne nennenswerten Macht- und Prestigeverlust entsorgt werden kann, bleibt eine offene Frage. Vorerst gilt die Devise, Alexander Chloponin sollte eine Person des Übergangs sein, die den Weg für den tschetschenischen Staatschef Ramsan Kadyrow ebnet, den „starken Mann“ des Nordkaukasus und Protegé Putins. Wann es soweit sein wird, bleibt ungeklärt oder unausgesprochen.Kadyrow, der nichts dagegen hätte, den Ton im gesamten Nordkaukasus anzugeben, könnte für innere Ruhe und Ordnung nach „tschetschenischen Mustern“ sorgen, ohne Moskau besonders hohe Transaktionskosten zu bescheren. Insofern erscheinen der neue Bezirk und die erhoffte Stabilisierung à la Kadyrow im Blick auf die Olympischen Winterspiele 2014 wie ein Prestigeprojekt Wladimir Putins. Der Austragungsort Sotschi liegt schließlich nur 30 Kilometer von der Grenze zwischen Russland und Abchasien entfernt.