Am Mittag fand eine Veranstaltung des Bündnisses „Campact – Demokratie in Aktion“ vor dem Kanzleramt statt, die sich demselben Anliegen verpflichtete. Unter den rund 100 Teilnehmern befanden sich überwiegend ältere Menschen. Die Demonstration wurde medienwirksam auf die Mittagsstunden gelegt, so dass immerhin RTL und Reuters das Geschehen dokumentierten. So befand sich unter den Rednern auch Hans-Christian Ströbele.
Selbiger war dann auch bei der Demonstration, die am frühen Abend stattfand. Anders als in seiner Rede zeigte er sich danach im persönlichen Gespräch eher zuversichtlich und verglich die von Snowden bewirkte „Zäsur“ mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983, wonach erst der zivil
;Zäsur“ mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983, wonach erst der zivilgesellschaftliche Druck das Gericht in seiner Entscheidung wesentlich beeinflusst hatte. Gleiches gälte daher auch hier und jetzt, man müsse nur „einen langen Atem haben und beharrlich drängen“.Wo war die kritische Masse?Zu der vom Chaos Computer Club Berlin, der Wau Holland Stiftung, der Piratenpartei und der Aktionsgruppe „Free Bradley Manning“ organisierten Protestaktion vor dem Brandenburger Tor und dem Bundeskanzleramt kamen zum größten Teil jüngere, vermutlich interentaffinere Menschen, viele von ihnen mit Manning- oder Snowdenmasken. Die wenigen älteren Teilnehmer der Demonstration waren über Vereine, Organisationen oder Initiativen wie Campact, Avaaz, attac oder Berliner Wassertisch über diese Veranstaltung informiert worden. Ansonsten setzten sich die Teilnehmer vor allem aus dem Umfeld der Organisatoren zusammen.Insgesamt aber fiel die Demonstration eher bescheiden aus. Ein 26-jähriger Architekturstudent zum Beispiel hatte sich seit der Aufdeckung des NSA-Skandals darüber gewundert, warum es bisher noch keine größeren Aktionen gegeben habe. Auf die gestrige Veranstaltung sei er nur zufällig in der Uni gestoßen. Ein weiterer 24-jähriger Mathematikstudent, der auch Mitglied bei den Piraten ist, erklärte sich diesen späten Demonstrationswillen in der Bevölkerung damit, dass man erst die Reaktion auf den Asylantrag Snowdens abwarten musste.Die Redner bewegten sich inhaltlich alle auf einer ähnlichen Linie: Neben dem Anprangern der US-Regierung wurde immer wieder ein Appell an die Bundesregierung formuliert, den Antrag des Whistleblowers Edward Snowden auf politisches Asyl oder politischen Schutz zu gewähren. Wie es schon vorab in einer Mitteilung der Veranstalter hieß, sei es für das wirtschaftlich stärkste Land in Europa leichter als für andere Länder, eventuellen Sanktionen der USA zu trotzen. Ganz in diesem Sinne war auf den Teilnehmerplakaten dann auch zu lesen: „Asyl für Snowden“, „Wer für unsere Freiheit kämpft, verdient unser Asyl“ oder von einer kleinen Gruppe Ecuadorianer „Todo somos EVO – Asilo para Snowden“. Es wird wohl bei dem frommen Wunsch bleiben – ohnehin bewilligt Deutschland nur 2% aller eingehenden Anträge auf Asyl wegen politischer Verfolgung.Komplizenschaft und OhnmachtInsgesamt handelte sich um eine sehr ruhige Demonstration, die keine großen Parolen oder Schlachtrufe skandierte. Es scheint, als sei allen Beteiligten eines klar: Dass angesichts der Ohnmacht gegenüber der totalitär anmutenden Überwachung (allein in Deutschland werden jeden Monat eine halbe Milliarde Mails, Chatbeiträge, Telefonate und SMS erfasst) an die eigene politische Wirkmächtigkeit ohnehin gar nicht geglaubt wird. Stattdessen: Snowden als Heilsbringer und Retter. So war auch auf verschiedenen Plakaten zu lesen “Snowden is my hero“ oder “Nobel Prize for Edward Snowden“. Aber was haben die Enthüllungen Snowdens wirklich neues zutage gefördert? Seit dem 11. September 2001 sollte es eigentlich niemanden mehr überraschen, dass es zur Verteidigungsstrategie der USA gehört, jegliche Gefahrenabwehr präventiv, möglichst allumfassend und ohne Augenmaß zu bewerkstelligen. So war bei der Demonstration zwischen den Zeilen auch herauszulesen, dass eine ressentimentgeladene Stimmung gegen Amerika wie ein Ventil fungiert, die eine einfache und klare Antwort auf das überaus komplexe Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit liefert. Die USA als das ausgemachte Böse und Merkel als willige Gefolgsfrau, die uns noch den letzten Rest persönlicher Freiheit rauben.Doch die Fronten verlaufen nicht so einfach. Anfang der Woche ist die Änderung des Telekommunikationsgesetzes, beschlossen von Sozialdemokraten, Union und FDP, in Kraft getreten; derweil führt unser Nachbar Frankreich das größte Abhörprogramm in Europa nach Tempora durch; selbst die EU, dessen Abgeordnete überwacht worden sind, möchte die anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetdaten durchsetzen; und die westlichen Staaten insgesamt etablieren Überwachung als eine grundsätzliche staatliche Praxis und bewegen sich zunehmend in Richtung eines Präventivstaates; schließlich erscheinen uns in diesem gesamten Zusammenhang sogar autoritär geführte Länder wie Russland und Ecuador, in denen sich Snowden in Sicherheit bringen wollte, als Heiland.Stimmen sichtbar machenIm Zuge des NSA-Skandals wird zum wiederholten Mal deutlich, wie überaus verwoben das Mitwirken verschiedener Staaten an den Überwachungspraktiken letztlich ist. Da kann sich wirklich verständlicherweise ein Ohnmachtsgefühl einstellen, welches daher umso stärker nach klar identifizierbaren Schuldigen und klar identifizierbaren Helden lechzt.Aber eines gilt es an der Protestaktion klar zu würdigen, wie es Jacob Applebaum vom Tor-Project formulierte: Dass es darauf ankomme, sich zu widersetzen. Und wenn man sich schon nicht mehr auf nationalen Rechtsschutz verlassen könne, man wenigstens seine Stimme sichtbar machen müsse.