Die letzte aller Schlachten

United States of Jesus Rechte Christen in George Bushs Wahlkampagne

Sie sind noch auf keiner geopolitischen Karte zu finden - aber alle vier Jahre machen die "United States of Jesus" von sich reden. Immer dann, wenn im Wahlkampf das christliche Amerika seine Sehnsucht nach einer Theokratie zur Forderung erhebt und auch das säkulare Amerika nicht umhin kommt, seine Vorliebe für einen tiefreligiösen Präsidenten zu bekunden. Bibel, Gott und Gebet haben dann Hochkonjunktur.

Es gibt Anzeichen, dass es 2004 eine Neuauflage des Spektakels gibt. Auf der Website Religious Writers, die von der Religious Newswriters Association für Journalisten eingerichtet wurde, heißt es zum Beispiel, die anstehende Wahl werde mehr denn je verdeutlichen, welche Rolle der Religion im öffentlichen Leben Amerikas zukomme. Es wird eine ungewöhnlich reichhaltige Mixtur von Religion und Politik angekündigt, die vor allem mit den traumatischen Ereignissen der 9-11-Terroranschläge und ihren Folgen zusammenhängen soll. Einen Vorgeschmack geben die Radiosendungen der konservativen Talk-Masterin Sandy Rios. Ihre Show wird von der Organisation Concerned Women of America gesponsert, die landesweit 43.000 Gebets- und Aktionsgruppen ins Leben gerufen hat: "Während sich die Truppen der Koalitionsmächte im Land zwischen Tigris und Euphrat bewegen - der Wiege der Zivilisation, der Heimat Abrahams, des Vaters der Juden und Araber, im Kampf mit den Nachfolgern des alten Babylon - muss man sich fragen, ob diese Schlacht nicht unsere letzte sein könnte. Armageddon...", heißt es bei Sandy Rios.

Niemand engagiert sich feuriger für Washingtons Kreuzzug gegen "Terror und terroristischen Islam" als die Christliche Rechte, die inzwischen eine Bezeichnung vorzieht, die auf "religiöse Konservative" lautet. Mit 19 Millionen organisierten Mitgliedern ist diese Basis für George Bushs Wiederwahl unverzichtbar geworden. Deshalb genießt sie in der Republikanischen Partei quasi Narrenfreiheit. Aus ihren Reihen stammt paradoxerweise eine Phalanx frischgebackener christlicher Zionisten, die heute mehr Einfluss auf Washingtons Nahostpolitik als die jüdische Lobby zu haben scheinen, auch wenn es besagte Gruppierungen ernsthaft zu ihrem Motiv erklärt haben, nicht nur Muslime, sondern auch Juden zu bekehren.

George Bush mag da anderer Meinung sein, aber er übt Nachsicht mit den Missionaren. Mit einem derart wohlmeinenden Freund im Weißen Haus ist es Amerikas Fundamentalisten nahezu mühelos gelungen, ihre Minderheitenpositionen auf die nationale Schiene zu heben. Dass sie es geschafft haben, die politische Szene relativ unangefochten zu dominieren, darf besonders dem Einfluss neuer Galionsfiguren zugeschrieben werden. Christlichen Polit-Aktivisten, die sich von den schrillen Gründervätern der Bewegung wie Jerry Falwell und Pat Robertson vorsichtig distanzieren: Es sind Tom DeLay, der Führer der republikanischen Mehrheit im Kongress, Roberta Combs, die neue Präsidentin der Christian Coalition, und Tim LaHaye, bekannt als Endzeit-Prophet und Autor der in über 50 Millionen Exemplaren verkauften Apokalypse-Serie Left Behind.

Tom DeLay hat für die beschleunigte Integration der Christlichen Rechten im Kongress gesorgt. Der ehemalige Kammerjäger aus Texas genießt als Mehrheitsführer eine außergewöhnliche politische Macht und nutzt jede sich bietende Gelegenheit, die Gesamtpartei in Haudegenmanier auf die fundamentalistische Weltordnung einzuschwören. Nach dem Massaker an der Schule von Littleton (Colorado) fand er die Schuldigen im Ausbildungssystem der USA. Verantwortlich seien "Schulen, die lehren, dass Menschen nichts Besseres als Affen sind, die sich aus irgendeiner Urschleimsuppe entwickelt haben". Nach DeLays Auffassung besitzt einzig das Christentum die definitive Antwort auf die Fragen: "Woher bin ich gekommen?" - "Warum bin ich auf der Welt?" und: "Wohin gehe ich?".

Roberta Combs, die neue Präsidentin der 1989 gegründeten Christian Coalition, stammt im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Reverend Pat Robertson nicht aus dem geistlichen Flügel der Bewegung, sondern aus der Lokalpolitik von North Carolina. Als eifrige Parteigängerin einer ätzenden Kulturkampfrhetorik bereitet Combs dieser Tage die sogenannten "voter guides" vor - Wahlempfehlungen, die von der Christian Coalition in 400.000 Kirchen (!) verteilt werden.

Gäbe es Kulturkampf-Preisträger müssten Tim LaHaye und seine Frau Beverley gekürt werden, das populäre Power-Paar der Evangelikalen. Beverley hat vor Jahrzehnten den um Amerika besorgten christlichen Frauenclub Concerned Women of America gegründet. Außerdem hob Reverend LaHaye 1979 die Moral Majority mit aus der Taufe und organisierte das hinter verschlossenen Türen diskret operierende Council for National Policy, laut Fernsehkanal ABC der mächtigste Verbund der amerikanischen Konservativen. Zum Darling der Christlichen Rechte avancierte LaHaye allerdings wie erwähnt als Co-Autor der Super Bestseller-Serie Left Behind. Darin fahren die Gläubigen gen Himmel, während die Ungläubigen im Inferno des Weltendes zurückbleiben müssen. Armageddon - die letzte aller Schlachten - wird innerhalb Israels alter Grenzen ausgefochten, und der Antichrist ist in die Rolle des UN-Generalsekretär geschlüpft. Er haust in Babylon, Saddam Husseins Bagdad.

Eine phantasiereiche Unterhaltungslektüre? Vielleicht, aber nicht nur Tim LaHaye und Co-Autor Jenkins bestehen darauf, dass ihre Bücher keineswegs in die Kategorie Science Fiction fallen. Auf der Left Behind-Website schreiben sie, die Prä-Millennium-Theologie der Left Behind-Serie sei "die vorrangige Bibel-Interpretation evangelikaler Christen". Zu den "United States of Jesus" passt diese Lesart wie die Faust aufs Auge.


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