Eine Frau ist schwanger. Wo wird sie ihr Kind zur Welt bringen – im Kreißsaal eines Krankenhauses, in einem Geburtshaus oder zu Hause? Ob diese Möglichkeiten auch künftig zur Verfügung stehen, hängt von der Bundesregierung ab. Denn für Hebammen könnte es bald zu teuer werden, sich auf das Risiko Geburt einzulassen: die Haftpflichtprämie, die für jede selbstständige Geburtshelferin Pflicht ist, soll zum 1. Juli 2010 eklatant erhöht werden. Wenn sich Hebammen Geburten nicht mehr leisten können, wirkt sich das auf Geburtshäuser und kleine Kliniken aus, die häufig freiberufliche Geburtshelferinnen beschäftigen – und es betrifft auch Frauen, die sich für eine Hausgeburt entschieden haben.
Mithelfen, wenn ein Kind zur Welt kommt – das geht schon seit knapp 20 Jahren nicht mehr ohne Absicherung: Seit den Neunzigern muss jede freiberufliche Hebamme eine Haftpflichtversicherung abschließen. Die kostet derzeit 2.370 Euro pro Jahr. Ab Juli 2010 soll der Jahresbeitrag auf 3.689 Euro steigen. Man sollte meinen, dass eine Hebamme dann am meisten verdient, wenn sie bei einer Geburt dabei ist. Mitnichten: Krankenkassen zahlen für die Betreuung einer Geburt im Krankenhaus brutto 224,40 Euro; im Geburtshaus werden 367,20 Euro vergütet, bei einer Hausgeburt 448,80 Euro. „Bei einer Hausgeburt bin ich insgesamt mindestens 13 Stunden im Einsatz“, sagt die Hebamme Nitya Runte im Spiegel, „oft dauert es aber noch länger. Mit der Vergütung der Krankenkassen für meine Leistungen vom Beratungsgespräch über Schwangerenvorsorge und Geburt bis hin zur Wochenbettbetreuung komme ich nach Abzug aller Kosten auf einen Stundenlohn von 7,50 Euro.“
Prämie verzehnfacht
Das bedeutet: Bei den angekündigten Erhöhungen müsste eine freiberufliche Hebamme bei rund zehn Entbindungen dabei sein, allein um die Versicherung zu bezahlen. Was erklärt, warum heute nur noch jede vierte der rund 15.000 freiberuflichen Hebammen in Deutschland zu Hausgeburten bzw. in Geburtshäuser oder Belegkrankenhäuser kommt – die Haftpflichtprämie wurde seit den Neunzigern verzehnfacht; gleichzeitig sank der Anteil der Hebammen, die Geburtshilfe machen. Die meisten geben heute Kurse für Geburtsvorbereitung oder betreuen Frauen im Wochenbett.
Der Deutsche Hebammenverband sorgt sich zu Recht, fürchtet das drohende Ende des Berufsstandes der Geburtshelferin, wenn sich immer mehr Hebammen aus finanziellen Gründen gegen die Geburtshilfe entscheiden. Dass die Erhöhung des Beitrags für die Berufshaftpflichtversicherung so immens ist, hat nur indirekt damit zu tun, dass mehr Fehler bei der Geburtshilfe gemacht werden. Es liegt eher daran, dass die Fehler immer teurer werden.
1998 glich eine Versicherung den Fehler eines Gynäkologen, der während der Geburt einen Sauerstoffmangel des Babys übersehen hatte und so für die Behinderung eines Kindes mitverantwortlich war, mit 340.000 Euro aus. Zehn Jahre später kosten vergleichbare Fälle die Versicherungen fast drei Millionen Euro. Patricia Gruber, eine unabhängige Sachverständige im Hebammenwesen, die bei Geburtsschäden prüft, ob die Hebamme richtig gearbeitet hat, dazu in einem Fernsehinterview: „Die Klagefreudigkeit hat zugenommen, die medizinische und pflegerische Betreuung ist besser geworden – das kostet mehr.“ Und die höheren Kosten für das Risiko Geburt wollen die Krankenkassen nun auf die Hebammen abwälzen – im gleichen Zug aber nicht die Vergütung für Geburtshilfe erhöhen.
Kann man das durchreichen?
„Die Hebammen wollen die Haftpflichtsumme refinanziert haben“, sagt der Sprecher des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherungen, Florian Lanz. „Die Frage ist aber doch: Kann man das durchreichen?“ Eine Schiedsstelle sollte eine für beide Seiten tragbare Lösung erarbeiten. Die Verhandlungen wurden Ende März für gescheitert erklärt. Der Grund, so Martina Klenk, Präsidentin des Hebammenverbandes, „sind die Spitzenverbände der Krankenkassen, die nicht bereit sind, die Vergütung für Hebammenleistungen auf ein Niveau anzuheben, das der hohen Verantwortung des Hebammenberufes gerecht wird und die massiv gestiegenen Versicherungsprämien kompensieren könnte.“
Neben der Vielfalt des Berufs der Hebamme ist auch das Recht der Frauen in Gefahr, die keine Geburt „von der Stange“ möchten. Neben zahlreichen Protestveranstaltungen gibt es auch einen deutlichen Appell an die Bundesregierung. „Wir brauchen eine politische Lösung“, meint Lisa von Reiche von der Initiative von Hebammen für Deutschland. Gemeinsam mit Frauen, die sich für die Wahlfreiheit des Geburtsortes stark machen, haben mehrere Hebammen eine e-Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht, um für ihre Zukunft zu kämpfen. Ihre Forderung: „Der Bundestag möge Sofortmaßnahmen beschließen, um eine wohnortnahe Versorgung von Frauen mit Hebammenhilfe und die freie Wahl des Geburtsortes auch nach dem 1. Juli 2010 sicher zu stellen.“
Wie reagiert nun die Politik auf die Proteste der Hebammen? Bislang sind knapp 85.000 Stimmen für die e-Petition eingegangen – mehr als ausreichend, um die Petition dem Bundestag vorzulegen. Für den 26. Mai ist nach Angaben des Hebammenverbands ein Gespräch mit FDP-Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler geplant. Kürzlich hatte Rösler betont, dass er die Attraktivität des Hausarztbesuchs steigern möchte. Da wäre es nahe liegend, dass er auch Hausbesuche von Hebammen fördert: Gibt es freiberufliche Geburtshelferinnen vor Ort, können Frauen sich gegen lange Fahrtzeiten und unnötig lange Klinikzeiten entscheiden.
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