Weit weg von Berlin

Fährmann Karsten Grunow ist Fährmann auf der Havel. Jeden Tag bringt er die Menschen von einem Ufer zum anderen - und spricht mit ihnen über Politik. Was denkt er über die Wahl?

„Ob ick zur Wahl jeh? Ick denk mir mal schon“, sagt der Fährmann zögernd und lenkt währenddessen die Seilfähre über die Havel, die hier 80 Meter breit ist. Seine Skepsis kann Karsten Grunow nicht verbergen:„Die da oben erzählen immer viel und halten es dann doch nich.“ In Brandenburg ist am Sonntag nicht nur Bundestagswahl, gleichzeitig wird auch ein neuer Landtag gewählt.

Von denen da oben ist nichts Gutes zu erwarten, so seine Erfahrung. Und als erstes fällt ihm die Bürokratie ein, die ihn berührt. So wie die neuesten Bestimmungen zum Arbeitsschutz. Weil sein Fährbetrieb keinen Brandschutzbeauftragten hat, musste er in eine Vereinigung eintreten, die ihm vor allem Informationen schickt. „Die landen sowieso in der nächsten Mülltonne. Und dafür bezahl ich dann € 200 im Jahr.“

Er musste sich einen Radarschirm kaufen

Oder die Bestimmung aus dem Jahr 2003, gegen die er sich noch immer wehrt: Seine kleine Fähre sollte einen Radarschirm bekommen. Der steht nun auf dem Dach der Kabine. Unangeschlossen. „Ick vertrau lieber dem, was ick direkt sehe.“

Sein Blick geht über den See. Grüne Bäume, Fischreusen, ein Reiher steht auf einem Pfosten, ein Ruderboot wartet ab, bis die Fähre gekreuzt hat. Die Fähre tuckert beschaulich übers Wasser. Sie verbindet die beiden Schwielowseer Gemeinden Caputh und Geltow, knapp 50 Kilometer von Berlin-Mitte entfernt – aber das Regierungsviertel mit all seinen wichtigen Politikern und Referenten könnte nicht weiter entfernt sein von Karsten Grunow und seiner Fähre.

Es wirkt wie ein Urlaubsidyll, doch die Autofähre wird auch von vielen Einheimischen genutzt, die nicht den Umweg um den ganzen See nehmen wollen: Ein Schnelleinsatz für einen Notarztwagen, dann ein Müllauto und ein Handwerker, der seine Dauerkarte aus dem Auto reicht. Grunow knipst die Karte ab. Während der Fährfahrt wird häufig über Politik gesprochen. Um Landes- oder Bundespolitik geht es da selten, eher um die lokale Probleme. „Es geht um den Netto, der im Ortskern gebaut werden soll, um die Bürgermeisterin und um die vielen Umleitungen.“

Dann erzählt Grunow, dass die Handwerker, die die Fähre nehmen, ihre Handwerksrechnungen häufig nicht bezahlt bekommen. Sie müssten in Vorkasse gehen und stünden dann ohne Geld da. Gleichzeitig müssten sie selbst die Rechnungen für die laufenden Kosten bezahlen. Der Fährmann ist froh, dass bei ihm alle bar bezahlen. Bei so was würde er nachts nicht schlafen können.

Aus seinem grauen Sweater holt er die Tickets heraus. Kleine, weiße Zettel, die zusammengetackert sind. Die Münzen, die er dagegen eintauscht, steckt er in die linke Tasche seines Sweaters. Geld klimpert. Nach der Wende, erzählt er, hat er zunächst im Fährbetrieb seiner Mutter angefangen. Die Fähre ist seit fünf Generationen im Familienbesitz. Heute ist er der Chef. Er hat drei Angestellte und einen Steuerberater. Da muss man schon wirtschaften. So wie die in der großen Politik das machen, ginge das nicht. „Wenn ich so mein Unternehmen führen würde, würde es nicht mehr laufen. Die Wahlversprechen werden nicht eingehalten. Am Ende machen die, wat ihnen gefällt, wat ihnen in Kram passt. Denen gehört das ja nich“, sagt Grunow. Er trägt seine Cap tief ins Gesicht gezogen.

Der Fährmann macht selbst Politik

Dann verändert sich sein Tonfall. Die Leute seien oft sauer, auf die Politiker, sagt er, weil alles so lange dauere. Das kennt er aus der Kommunalpolitik. Die Bürger seien ungeduldig, weil ihnen das Hintergrundwissen fehle. Er weiß das aus eigener Erfahrung. Der Fährmann sitzt selbst seit sechs Jahren im Gemeinderat. Gehe es in der großen Politik so wie in der kleinen? Da schüttelt er den Kopf: „Bei der großen Politik da oben, seh’ ick das eher so, dass sie die Großen laufen lassen und die kleinen werden geschröpft.“ Als Beispiel führt er Opel an. „Der ganze Zirkus da mit Amerika und so – das hilft dem kleinen Mann nich. Wenn Opel pleite gegangen wäre, wär halt ’ne andere Autofirma was geworden.“

In der Gemeindevertretung sitzt er, um sich für die Bürger einzusetzen. Bei der letzten Wahl hat er die meisten Stimmen bekommen. Jeder kennt ihn, viele duzen ihn, er ist Karsten, der Fährmann. Kandidiert hat er für das Bürgerbündnis. Bürgernähe ist ihm wichtig. Er möchte sich für die Bürger vor Ort einsetzen, möchte schauen, wie man dem Einzelnen helfen kann. „Ich bin der, der noch auf’m Teppich bleibt, der so ist, wie er ist.“

Die Parteien sind in der Gemeinde nicht so wichtig

Sein Ziel ist, dass die Gemeinde zusammenhält und dass auch mal die kleinen Probleme der Bürger gehört werden. „Vom Prinzip her ist in der Kommunalpolitik die Partei egal, wir versuchen alle an einem Strick zu ziehen.“ In der Gemeinderatssitzung gehört er zu den Stillen, hört lieber zu. Er ist mehr derjenige, der die Meinungen sammelt. Und bei manchem politischen Problem hat er die Erfahrung gemacht, dass erst alles ganz klar erschien – und eine andere Meinung wieder alles in Frage stellte.

Doch zu dem neuen Nettomarkt hat er seine Meinung: Die Bürger hätten alle ein kleines Portemonnaie und wollten so wenig wie möglich ausgeben. Der Markt verspricht Konkurrenz im Ort und damit kleinere Preise. Wie das Ganze am Ende optisch aussehe, wäre für den Bürger zweitrangig, sagt der Fährmann. Dann nimmt Grunow seine Zange wieder aus der Tasche und knipst die nächste Karte ab. "Ich bin Caputher", sagt er nicht ohne stolz und fügt etwas verhaltener hinzu: "Oder Schwielowseer". Brandenburger ist er erst an dritter Stelle.

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