In der Disziplin „Gastgeber sein“ gibt es verschiedene Schwierigkeitsgrade. Der Verband Berlin 21 hat sich für den härtesten entschieden und zu einem Kongress für junge Leute im Alter zwischen 16 und 27 eingeladen. Mit dem Titel „Zukunft lockt“.
Der Verband ist ein Regionalverband, der mehrere Interessengruppen zur Berliner Stadtentwicklung bündelt. Er hat für den Kongress einiges Geld aufgetrieben, bei der Kulturstiftung des Bundes, bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, auch bei der GASAG, dem Gasversorger Berlins. Das Ziel des Verbandes:„den Gedanken der Nachhaltigkeit in alle Bereiche der Gesellschaft zu tragen“. Klingt etwas nebulös. Aber engagiert. Das Motto des Kongresses: Visionen für eine Zukunft zu entwickeln. Und das sollen Jugendliche tun, die doch den Ruf genießen, hedonistisch und unpolitisch zu sein. 500 junge Leute sollen gekommen sein, wenn man dem Programmheft glaubt.
Man macht sich also skeptisch, aber neugierig auf den Weg zum Berliner Südgelände, ein ehemaliges S-Bahn-Areal mit einer Halle, in der früher Lokomotiven repariert wurden. Heute ist es ein Landschaftspark. Man verlässt an der Haltestelle Priesterweg die S-Bahn, passiert ein Gitter mit einem Tor und stößt auf eine „Kasse des Vertrauens“. Sie appeliert an die Moral und verlangt einen freiwilligen Euro für den Erhalt der Natur. Dahinter liegt der Park. Schotterwege. Birken, Blumen und Gräser, die auf Bahndämmen wachsen. Backsteingebäude. Eine seltsame Mischung aus Industrieruinencharme und ordentlicher Gartenanlage. Selbst die Graffiti auf den Mauern wirken irgendwie geputzt.
Das „persönliche Programmheft“, das der Gastgeber den Jugendlichen an die Hand gibt, rät gleich auf den ersten Seiten, auf den Wegen zu bleiben. Auch Vögel und Schafe möchte man bitte in Ruhe lassen. Das Handy darf man benutzen, aber bitte nicht zu viel. Gegen Bäume pinkeln ist verboten. Auf dem Titel sind Silhouetten von radschlagenden und skateboardfahrenden Jugendlichen abgebildet. Vor einem grüngelben Strahlenkranz, der vermutlich die Zukunft darstellt.
In der „Lokhalle“ beginnt der Programmpunkt „Ergebnischeck mit den jüngsten Politikern Berlins“. Sie ist leicht zu finden. Eine Backsteinhalle, die nicht mehr nach Öl und Metall riecht, die man sich sowohl als Supermarkt wie als Konzertsaal vorstellen kann. Das Designbüro „Dan Pearlman“ hat extra für den Kongress quadratische Raumteiler aus leichten Stoffen entworfen, die man beliebig von der Decke herablassen kann, um den Raum in Separees zu gliedern. Ein Labyrinth. Hier haben die Jugendlichen gestern und vorgestern geschwitzt. In 24 Workshops haben sie laut Programmheft Ideen zur nachhaltigen Stadtentwicklung Berlins entwickelt. Und werden sie jetzt der Politik nahe bringen.
Im Kaminzimmer sammelt sich der Kongress. Es sind 29 Menschen anwesend, davon ein Baby. Eine Bar mit vegetarischen Wraps, Suppen und Salaten. Schöne Blumen in großen Vasen. Aber nicht ganz das Ambiente, in dem man sich den Skateboardjugendlichen aus dem Programmheft vorstellt. Die Kongressorganisatorin beeilt sich, zu sagen, dass viele der jungen Leute schon abgereist seien. Dann räumt sie ein, dass – na, ja – auch nicht ganz so viele Jugendliche gekommen seien. Es sei eben Ferienzeit. Und weil das schlecht klingt, so als Fazit, sagt sie laut und nachdrücklich, in alle Richtungen nickend, dass es aber ganz toll gewesen sei. Vor allem das Jugendtheater und die Hip Hopper, die gestern aufgetreten seien. Man ist stolz auf seine Hip Hopper. Alle nicken, auch wenn sie ganz und gar nicht nach Hip Hop aussehen. Die auf den Lümmelsesseln gehören zu diesem Schlag von Jugendlichen, die noch nie einer Jugendkultur nahe gestanden haben. Die andere Passionen entwickeln – entweder, weil die Hipster sie nicht in ihre Cliquen gelassen haben oder weil es sie tatsächlich nicht interessiert. Es sind solche, die aus diesem Alter immer schon raus waren, ohne je drin gewesen zu sein. Einige am Tisch sind älter. Aber das macht nichts. Sie sind von dem Schlag der Älteren, die nie richtig alt werden. Die sich seit Jugendzeiten für eine gute Sache engagieren und mit ihren Hush Puppies an den Füßen in Frieden graue Schläfen kriegen. Sie sind fast alle in Gruppierungen wie BUND oder „Hub Berlin“ oder „Netzwerk slowmotion“ organisiert und wissen, dass hinter dem Geheimwort „nachhaltig“ so etwas ähnliches wie „ökologisch“ steckt. In manchen Fällen auch einfach nur „gut“.
Man muss es ganz offen sagen. Der Kongress ist erstens: kein Jugendkongress. Und er ist zweitens – als Massenevent – gescheitert. Gestern seien 200 Leute da gewesen. Von hundert Leuten reden andere. Der „Ergebnischeck“ wird, weil man sich sehr privat fühlt, zwanglos gehalten. Von den 24 Workshops wurden die Hälfte gestrichen und einige zusammengelegt. Die, die zustande gekommen seien, hätten umso besser gearbeitet, sagen alle. Niemand scheint Lust zu haben, zu erzählen, was sie herausgefunden haben. Es mag damit zusammenhängen, dass es niemanden gibt, dem man das „Kongressergebnis“ mitteilen müsste. Von den angekündigten „jüngsten Politikern Berlins“ sind nur eine Handvoll gekommen, die meisten scheinen mit den Kongressteilnehmern persönlich bekannt. Diese Runde hier hat das, was dieses Treffen für sie sinnvoll gemacht hat, hinter sich. Und will jetzt brunchen.
„Die Zeit der großen Kongresse ist vorbei“, sagt einer. „Man kann sich treffen, um sich über bestimmte Themen auszutauschen. Und Kontakte zu knüpfen. Das ergibt Sinn. Aber der Kongress als Massenereignis, als Happening – funktioniert nicht mehr. So Woodstock. So Tunix.“
Ein weises Wort. Aber nicht zu Ende gedacht. Denn niemand stellt die Frage, ob es sinnvoll war, für all das zu einen Jugendkongress einzuladen. Oder ob das nächstes Mal sinnvoll wäre.
Wer einlädt, sollte sich – sehr simpel – eine Minute lang überlegen, wen er einlädt. Und weshalb. Und wozu.
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