"Beratungsresistenz" attestiert Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung dem Familienministerium. "Die Projekte des ausgelaufenen Civitas-Progamms gegen Rechtsextremismus wurden nach allen Regeln der wissenschaftlichen Kunst vier Jahre lang gründlich und kritisch ausgewertet und eine dauerhafte Verankerung empfohlen. Aber die Politik interessiert das nicht. Statt sich die Arbeit der Evaluation zu machen, hätten die Kollegen genauso gut Micky-Maus-Hefte lesen können", kommentiert er lakonisch die neuesten Pläne des Ministeriums von der Leyen.
Es geht um die Zukunft der Mobilen Beratungsteams und Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt. Nach zähem Ringen und unter dem Eindruck der NPD-Wahlerfolge im Herbst sagte das Ministerium schließlich fünf Millionen Euro und die Erarbeitung eines Konzeptes für die dauerhafte Finanzierung der Projekte zu. Das Konzept liegt nun vor und versetzt so gut wie alle Praxiserfahrenen in diesem Bereich, gelinde gesagt, in Erstaunen. Statt der Finanzierung kontinuierlicher Beratungsarbeit soll ein "Kriseninterventionsteam" aufgebaut werden, eine Art Task-Force gegen rechte Umtriebe und Gewalt, die "anlassbezogen, kurzfristig" und "begrenzt auf zwei bis drei Monate" aktiv wird. Die bisherigen Beratungsteams werden in dem Papier zwar erwähnt, sie sollen Teil dieser Einsatztruppe sein, ihrer dauerhaften Finanzierung widmet sich das Konzept aber nicht. Die steht nach wie vor in den Sternen. Stattdessen sollen "Landeskoordinationsstellen für die mobile Krisenintervention" eingerichtet werden und eine bundesweite Zentralstelle. Die "Krisen" müssen bei den Sozialministerien angezeigt werden. Diese entscheiden, ob sie in Abstimmung mit der Zentralstelle den hoch bürokratischen Apparat in Gang setzen.
Schon der Ansatz lässt Fachleuten die Haare zu Berge stehen. "Das Phänomen Rechtsextremismus ist nicht die Summe einzelner Krisen, die man abarbeiten kann", meint Kay Bolick von der Opferberatungsstelle LOBBI in Rostock, "sondern ein strukturelles Problem". Für Gewaltopfer sei dieses Interventionskonzept außerdem völlig ungeeignet. Die Mehrzahl gehört Gruppen an, die wenig gesellschaftliche Unterstützung bekommen: Punks, Asylbewerber, Obdachlose, Minderheiten. Ihre Erfahrungen mit Behörden sind oft schlecht, sie erstatten selten Anzeige und brauchen niedrigschwellige Angebote mit vertraulicher Beratung, oft über lange Zeiträume.
Viel Kritik gibt es auch am neu aufgelegten Bundesprogramm "Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus", mit dem lokale Initiativen und Projekte unterstützt werden sollen. Bisher konnten sie die Mittel direkt bei der Servicestelle in Berlin beantragen. Neuerdings sind sie abhängig von den Kommunen und einem bürokratischen Apparat, den es sich anzuschauen lohnt. Zunächst müssen sich interessierte Kommunen für Projektgelder bei der Landesregierung bewerben. Die leitet ihre Auswahl an die Bundesservicestelle weiter, die dann entscheidet. Die Kommunen, die den Zuschlag bekommen, verteilen dann das Geld. Wo Kommunen kein Interesse bekunden, wird in Zukunft auch keine Initiative mehr vom Bund unterstützt.
"Kommunen sind in der Regel nicht die besten Partner im Kampf gegen Rechtsextremismus", meint Heinz-Joachim Lohmann, Vorstand des Brandenburger Aktionsbündnisses, die meisten müsse man zum Jagen tragen. Die Liste schlechter Erfahrungen ist lang. Vom Beschwichtigen und Vertuschen aus Angst vor Rufschädigung, über Gleichgültigkeit oder fehlende Solidarität mit den Opfergruppen, bis hin zu den Kommunen, in denen die NPD und artverwandte Parteien das Klima beeinflussen. So sind Behörden und kommunale Funktionsträger oft Teil des Problems.
Stärker als bisher misstrauen Leute, die sich bislang gegen Rechtsextremismus eingesetzt haben, dem Einsatz der Mittel. Lohmann bezeichnet das Programm als "versteckte Gemeindefinanzierung nach Regeln, die kein Mensch versteht". Tatsächlich lädt es verarmte, strukturschwache Kommunen dazu ein, Jugendarbeit und soziale Angebote, für die kein Geld da ist, als Präventionsmaßnahme gegen Rechtsextremismus zu deklarieren. Die Gefahr, dass aus dem Programm die normale Arbeit finanziert wird, ist groß. Im sächsischen Muldentalkreis zum Beispiel sollen die Jugendhilfeträger die Mittel aus dem Bundesprogramm verwalten. Die erste Antragshürde ist schon geschafft. Die Frage, ob einer der Träger Erfahrung mit der Arbeit gegen Rechtsextremismus habe, weist der zuständige Sozialdezernent energisch zurück. Die Frage sei falsch, es sei ja schließlich auch ein Programm für Toleranz und Demokratie, und damit hätten grundsätzlich alle Erfahrung. Nicht einmal die Kompetenz der bislang im Civitas-Programm geförderten Netzwerkstelle wurde in die Planung mit einbezogen.
Andere Kommunen wie Märkisch-Oderland bemühen sich um einen offenen Prozess, in dem alle lokalen Kräfte aktiviert werden sollen. Das grundlegende Problem aber bleibt: Behördliches Handeln ist auf kontrollierte, reibungslose Abläufe ausgerichtet, die durch zivilgesellschaftlichen Eigenwillen gestört werden. Nicht nur Rosi Geyer, Vorstand des Bundes deutscher Landjugend, befürchtet, dass unbequeme Initiativen in diesem Programm gar keine Unterstützung mehr bekommen.
"Es wird ein gewaltiger Paradigmenwechsel vollzogen", erläutert Matthias Müller, Projektkoordinator der Mobilen Beratung Thüringen, "weg von der Förderung der Zivilgesellschaft, hin zu einem Programm von oben." Gerade in den autoritär geprägten ostdeutschen Bundesländern sei es aber nach wie vor wichtig, zivilgesellschaftlichen Initiativen und NGOs die Chance zu geben, groß zu werden. Bürokratisierung, Verstaatlichung der Arbeit und ein reduziertes, punktuelles Verständnis des Phänomens Rechtsextremismus sind Kritikpunkte an allen Teilen des Programms.
Die Braunschweiger Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt arbeitet seit 1994 in den Bereichen Bildung, Jugendarbeit und kommunale Beratung und hat im neuen Programm Gelder für ein Modellprojekt beantragt. "Man muss sich dabei auf einen Gebietstyp beschränken, ländlich oder städtisch. Wenn ich in Hannover aktiv werde, darf ich es im Umland nicht und umgekehrt", kritisiert Reinhard Koch. Auch müssten sich Projekte auf einen Themenbereich beschränken. "Das sind Fesseln", meint der erfahrene Projektleiter, "die eine strukturelle Arbeit verhindern. Sie scheint nicht gewollt zu sein."
Das Ministerium beruft sich bei allem auf wissenschaftliche Empfehlungen. Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Bielefelder Instituts, das die Evaluation des Civitas-Programms leistete, erklärte schon im Herbst gegenüber dem Spiegel: "Auf uns kann sich das Ministerium nicht berufen." Zwar hätten sie auf die Wichtigkeit der Vernetzung von Projekten in den Gemeinden hingewiesen, aber eine Vergabe der Mittel durch die Kommunen sei für zivilgesellschaftliche Prozesse völlig untauglich.
Bei soviel Ignoranz liegt der Verdacht nahe, dass unabhängige Projekte unerwünscht sind. Das verwundert nicht, sind sie es doch, die Öffentlichkeit schaffen und Fälle dokumentieren, die in keiner Polizeistatistik auftauchen.
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