Projekte auf dem Prüfstand

Initiativen für Toleranz und Demokratie Die Union will Programmen gegen Rechtsextremismus die Mittel kürzen, die SPD hingegen die volle Finanzierung fortführen

"Unsere Überraschung über rassistische Angriffe hält sich in Grenzen," schreibt die Potsdamer Initiative für Begegnung in einer Presseerklärung. Das Medieninteresse ist groß seit dem Angriff auf Ermyas M., der am 16. April in Potsdam lebensgefährlich verletzt wurde. Ein Fall von Rassismus unter vielen, schreibt die Initiative, die seit Jahren in Potsdam gegen die Ausgrenzung von Flüchtlingen arbeitet. Die Fakten geben ihr Recht. Während in der Öffentlichkeit noch der Charakter des Überfalls auf Ermyas M. erörtert wird, schlagen drei Männer im mecklenburgischen Wismar einen Togolesen zu Boden und treten auf ihn ein. Im brandenburgischen Neuruppin wird ein Asylbewerber bespuckt, und im nahegelegenen Rheinsberg reißt die Kette rechtsextremer Gewalt nicht ab. Nach dem vierten fremdenfeindlichen Brandanschlag auf einen Imbiss im vergangenen Jahr wurden im März vier Geschäfte von Einwanderern beschädigt. In Berlin stehen derweil drei Neonazis vor Gericht, denen vorgeworfen wird, im April 2003 Migranten durch den Stadtteil Rudow gejagt zu haben. Ein türkischstämmiger Jugendlicher wurde dabei lebensgefährlich verletzt. Auch als er am Boden lag, traten die Täter weiter auf ihn ein.

Die Liste der Vorfälle ist lang, mit steigender Tendenz. Nach den neuesten Zahlen des Bundeskriminalamtes sind die rechtsextrem motivierten Gewaltdelikte bundesweit um 24 Prozent gestiegen, von 776 im Vorjahr auf 958. In 816 Fällen handelte es sich um Körperverletzungen. Die Dunkelziffer ist aufgrund des Anzeigeverhaltens und der Art der offiziellen Erfassung sehr hoch. Die Beratungsstelle "Opferperspektive" in Brandenburg schätzt die Grauzone nicht angezeigter gewalttätiger Angriffe auf 50 bis 75 Prozent.

Dass Rechtsextremismus ein gesellschaftliches Problem ist, bestreitet derzeit niemand. Aber die Reaktionen auf die Gewalt gegen Ermyas M. offenbaren die Schwierigkeit der Unionsparteien mit dem Kampf gegen den Rechts. Der Versuch, sich zu Rechtsextremismus taktisch zu verhalten, wird in Brandenburg inzwischen zur Posse. Um einen Imageschaden abzuwenden, waren es vorneweg Innenminister Schönbohm und die CDU, die die Tat scharf verurteilten und sich distanzierten. Seitdem sie durch die mediale Inszenierung eines streitlustigen Opfers die Möglichkeit sehen, der Tat einen rechtsextremen Hintergrund abzusprechen, distanziert sich die CDU von ihrer eigenen ersten Reaktion. Nach den Vorwürfen Schönbohms gegen Bundesanwalt Nehm, er habe die Ermittlungen zu unrecht an sich gezogen und der Stadt damit geschadet, der relativierenden Aussage von Bundesinnenminister Schäuble, auch blauäugige und blonde Menschen würden Opfer von Gewalt, weigert sich nun die CDU Potsdam, einen Brief der Stadtverordnetenversammlung an die Familie des Opfers zu unterschreiben, in dem die Tat als "von Rassismus geprägt" bezeichnet wird. Die Tat sei ausschließlich als Gewalttat zu verurteilen, aber die Motivation sei noch unklar, so die Begründung von CDU-Fraktionschef Bretz.

Ähnlich gelagert ist die Position der CDU/CSU zur Zukunft des Bundesprogramms gegen Rechtsextremismus. Auch hier geht es um die Umdeutung der Problemlage. Das 2001 von der rot-grünen Bundesregierung aufgelegte "Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" mit den Teilprogrammen Civitas und Entimon, läuft Ende des Jahres regulär aus. 19 Millionen Euro wurden in diesem Rahmen vom Bund jährlich zur Verfügung gestellt. Im Februar teilte das CDU-geführte Familien- und Jugendministerium mit, das Programm werde fortgeführt, allerdings ausgedehnt auf die Bereiche Linksextremismus und Islamismus. Konfrontiert mit der geringen Bedeutung dieser Bereiche, die auch der Verfassungsschutz feststellt, hieß es, der Linksextremismus solle im Rahmen des Programms erforscht werden, um das Gefahrenpotenzial auszuloten.

Da der Etat nicht aufgestockt werden soll, werden Mittel gegen Rechtsextremismus umgewidmet und dadurch zwangsläufig reduziert. Das scheint gewollt zu ein. "Der Etat sollte nicht erhöht werden", zitiert die FAZ-online den CSU-Abgeordneten Stephan Mayer am 22. April. "Daher ist es ratsam, an den Programmen gegen Rechtsextremismus zu kürzen und diese Gelder für neue Initiativen gegen Linksextremismus und radikalen Islamismus einzusetzen." In Hinblick auf die neue Zielrichtung des Programms sollen alle Projekte auf den Prüfstand. In den letzten Jahren sei teilweise ein rot-grünes Netzwerk mit staatlichen Geldern bedacht worden, so der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Hans-Peter Uhl. Schon im Dezember 2004 hatte die CDU/CSU-Fraktion in einer großen Anfrage an den Bundestag den Verdacht des Missbrauchs der Mittel für "linksextremistisch beeinflusste Initiative" geäußert. Insbesondere Antifa-Initiativen, die traditionell aus der Linken kommen, waren konservative Kreisen immer schon ein Dorn im Auge.

Die SPD sieht in den aktuellen Plänen des Familienministeriums eine Verletzung des Koalitionsvertrags, in dem die Verstetigung der Mittel gegen Rechtsextremismus vereinbart wurde. "Wir werden keinerlei Kürzung der Mittel mittragen," heißt es in einer Pressemitteilung der höchsten Parteigremien vom 24. April. "Die Programme müssen in vollem Umfang weitergeführt werden. Insbesondere die Strukturprojekte Mobiles Beratungsteam, Opferberatung und Netzwerkstellen müssen erhalten bleiben." Statt eines neuen Bundesprogramms für neue Modellprojekte favorisiert die SPD eine dauerhafte, regierungsunabhängige Finanzierung zum Beispiel durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft". Gabriele Fograscher, Sprecherin der Arbeitsgruppe Rechtsextremismus der SPD-Fraktion, gibt sich auf Nachfrage optimistisch. Das Ergebnis der anstehenden Verhandlungen sei noch offen. Man darf also gespannt sein.


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