Gerüchte

Bolivien Ist ein Putsch gegen Evo Morales denkbar?

Der Oberschicht ist das eigene Land nicht mehr geheuer. Keiner, der an nordamerikanischen und westeuropäischen Universitäten studiert hat, um später ein hoch dotierter Senator, Richter oder Sachverständiger zu werden, steht heute an der Spitze des Staates. Ein "schmutziger Indio" aus der Unterschicht führt seit einem Jahr das Land - Evo Morales Ayma.

Also sucht die abgewählte Elite Zuflucht bei spektakulären Protestformen und steht im Hungerstreik gegen die Regierung. Der Jurist Idón Chivi Vargas kommentiert: "Ein Hungerstreik all derer, die nie Hunger leiden mussten. All derer, die nie in den Müllresten der Gemüse- und Obstmärkte wühlen mussten. All derer, die nie ihre frustrierte Seele mit Alkohol betäuben mussten, um die Scham zu ertragen, ohne Arbeit nach Hause zurückzukehren." Bei manchen weckt die Art des Rumors dunkle Erinnerungen; auch Chiles Oberschicht hat zu Zeiten des sozialistischen Präsidenten Allende wutentbrannt auf Kochtöpfen herum getrommelt und sich als Opfer präsentiert. Der Politikwissenschaftler Eduardo Andrade Bone meint gar, in Bolivien gäbe es Symptome, dass ein Staatsstreich vorbereitet werde: "Künstlich Konflikte zu erzeugen, den regierenden Movimiento al Socialismo (MAS) und Morales zu verteufeln; die Wirtschaft zu sabotieren und die Gesellschaft zu spalten sowie ethnischen Zwist heraufzubeschwören", all das deute auf putschistische Strategien hin, wie man sie aus dem Chile der frühen siebziger Jahre kenne.

Mit ihren destruktiven Inszenierungen bemüht sich die Opposition, die Reformen der Regierung Morales zu blockieren. Sie läuft Sturm gegen den Abstimmungsmodus in der Verfassunggebenden Versammlung (s. Freitag 28/06). Würde es nach ihr gehen, müsste jeder Artikel einer künftigen Magna Charta gesondert mit Zwei-Drittel-Mehrheit angenommen werden - was nur möglich ist, wenn auch das Anti-Morales-Lager in Teilen zustimmt. Die vom MAS geführte Regierung hält hingegen die einfache Mehrheit für ausreichend und will einzig den Abschlussentwurf an eine Zwei-Drittel-Mehrheit binden. Die Opposition reagiert mit dem Vorwurf, eine solche Praxis laufe auf eine totalitäre Herrschaft hinaus, wie sie nur ein "Feind der Demokratie" anstreben könne. Kein Zweifel, jede weitere Woche, die ohne Konsens in dieser Kernfrage verstreicht, schadet dem ambitionierten Projekt einer "Neugründung Boliviens".

Noch gefährlicher für den Kurs der Regierung sind freilich die Sezessionstendenzen der vier rohstoffreichen Tiefland-Regionen des östlichen "Halbmondes" Pando, Beni, Tarija und Santa Cruz, denn die Autonomie-Kampagne dort gibt sich basisdemokratisch und antizentralistisch. Im Juli 2006 hatte die Opposition ein Referendum für mehr regionale Selbstverwaltung in ihrem Sinne entscheiden können. Mit großem medialen Aufwand versucht sie nun, dieses Ergebnis in eine prinzipielle Ablehnung von Morales umzudeuten und vergessen zu machen, dass seinerzeit bei der zeitgleich abgehaltenen Wahl der Verfassunggebenden Versammlung der MAS seinen Stimmenanteil landesweit steigern konnte.

Das Unternehmerbündnis Komitee Pro Santa Cruz und der cruceñische Präfekt Rubén Costas hatten Mitte Dezember gar zum cabildo, einer traditionellen Bürgerversammlung, geladen, auf der Hernán Antelo als Komitee-Vorsitzender gegen Morales und die Indígenas aus dem andinen Hochland hetzen konnte. Über eine Million Zuhörer, ließ der Veranstalter mitteilen, hätten das "Basta mit all den Neidischen und all denen, die uns unser Land wegnehmen wollen" miterlebt wie auch die Erklärung von Präfekt Costas: "Die Regierungen der Departements sollen gegenüber der Zentralregierung geteilte Kompetenzen sowohl bei den natürlichen Ressourcen als auch beim Eigentum, bei der Vergabe und Umverteilung von Land beanspruchen können."

Das sei völlig ausgeschlossen, meint der Jurist Mauricio Ochoa Urioste: "Der bolivianische Staat kann weder komplett noch teilweise zurückweichen, wenn es um die Kontrolle seiner natürlichen Reichtümer geht." Selbst in Spanien, wo ein beachtlicher Teil an staatlicher Souveränität an die Regionen abgetreten sei, behalte sich die Zentralregierung das Recht vor, beim Zugriff auf die nationalen Ressourcen allein zu entscheiden.

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