Neokreationismus oder Intelligent Design nennt sich in den USA eine Bewegung, die entgegen evolutionstheoretischer Ansätze die Welt als Produkt einer Schöpfungsintelligenz erklärt. Allerdings schießen auch die "Kreationistenjäger" gelegentlich übers Ziel hinaus.
Für den Pflanzenphysiologen Ulrich Kutschera von der Universität Kassel, der sich dem Kampf gegen den Kreationismus verschrieben hat, gibt es keinen Zweifel: Ein Autor, der ernsthaft die Evolutionstheorie anzweifelt, betreibt keine Wissenschaft und darf deshalb nicht in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publizieren. Das verhindern unabhängige Experten, die die eingereichten Artikel begutachten und die publikationswürdigen wissenschaftlichen Arbeiten vom großen Rest scheiden (peer review-Verfahren).
Doch nun steht Kutschera vor der ungewohnten Situation, dass seit einiger Zeit auch angesehene Zeitschriften Artikel publizieren, die - in seinen Augen - kreationistisches Gedankengut transportieren. In einem Aufsatz in Reports (26, 2006, 4) beschreibt Kutschera mehrere Fälle, in denen das in kreationistischen Kreisen geschätzte "Grundtypenkonzept" Einzug gehalten hat. Er bezieht sich ausdrücklich auf den Mikrobiologen Siegfried Scherer (TU München), der in seinem Buch Evolution. Ein kritisches Lehrbuch die Auffassung vertritt, dass alle Lebewesen, die sich erfolgreich kreuzen lassen, demselben Grundtyp zuzurechnen seien und sich vermutlich ausschließlich innerhalb eines Typs weiter entwickelten. Dieses Modell, ausführlich dargelegt in einem weiteren Buch Scherers (Typen des Leben), wird dem klassischen Evolutionsmodell entgegengesetzt, nach dem Artenschranken durch evolutionäre Prozesse übersprungen werden können.
Für Kutschera liegt der Fall klar: Das Grundtypenkonzept mag wissenschaftlich daherkommen, doch im Grunde geht es nur darum, einen Schöpfergott gleichsam durch die Hintertür in den wissenschaftlichen Diskurs einzuführen. Diesen "ID-Kreationisten" (abgeleitet von Intelligent-Design), wie er sie nennt, sei es mittlerweile gelungen, renommierte Zeitschriften zu infiltrieren. In der Zeitschrift Flora etwa sei Scherers evolutionskritisches Lehrbuch wohlwollend besprochen und das Grundtypenkonzept als tragfähig befunden worden. In der Zeitschrift Trends in Ecology and Evolution bezögen sich Scherer und sein Mitautor zwar nicht auf das Grundtypenkonzept, aber sie verwendeten Formulierungen, die typisch für Kreationisten seien, beispielsweise der Hinweis, dass bei der Entstehung des Lebens "niemand dabei gewesen" sei. Auch in der Naturwissenschaftlichen Rundschau habe sich ein Autor auf das Modell bezogen.
Aber nicht nur in diesen Zeitschriften, auch in der Buchserie Annual Review of Genetics ist Kutschera dem verwerflichen Denken auf der Spur. Dort hätten der ausgewiesene Kreationist Wolf-Ekkehard Lönnig und sein Co-Autor Heinz Saedler (beide am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung) einen Überblicksartikel platzieren können, in dem zwar nicht direkt auf das Grundtypenmodell Bezug genommen werde, aber auf einschlägige Publikationen. Ein Blick in das Literaturverzeichnis offenbare, dass die Autoren wissenschaftlichen Standards nicht genügten.
Und schließlich sei einem Artikel in Physiologia Plantarum über Cyanobakterien eine Illustration beigefügt worden, die einen hebräischen Text aus der alttestamentarischen Genesis abbilde, versehen mit einer Unterzeile, die mit den Worten "and who knows how it really happened" endet. Vermutlich, meint Kutschera, habe hier wieder Scherer seine Hand mit im Spiel gehabt, denn immerhin würden dessen Schriften mehrfach zitiert.
Über die Reaktionen etablierter Evolutionsbiologen auf derartige Publikationen berichtet Kutschera ebenfalls: Im Falle der Naturwissenschaftlichen Rundschau hätten Kollegen protestiert, und am Ende habe der Herausgeber versprochen, keine weiteren Artikel zu publizieren, die das Grundtypenmodell behandeln. Auch einer der Herausgeber der Annual Review od Genetics habe seinen Fehlgriff eingeräumt, sich entschuldigt und angekündigt, derartige Artikel nicht mehr anzunehmen.
Kutschera zufolge hat die Qualitätssicherung in der Wissenschaft in mehreren Fällen versagt, Gutachter renommierter Zeitschriften akzeptierten Aufsätze, in denen kreationistisches Gedankengut transportiert wird. Es handelt sich, so Kutschera weiter, um eine gezielte und offenbar erfolgreiche Unterwanderungsstrategie.
Doch zeichnet sich Wissenschaft nicht gerade durch den Streit der Meinungen aus? Und dogmatische Bewegungen, dass sie diesen nicht zulassen wollen? In seinem Kampf für das naturalistische Weltbild scheint der "Kreationistenjäger" Kutschera diese wissenschaftliche Tugend vergessen zu haben.
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