Kalifornische Jahre. Wie das klingt: Nach Abenteuer. Suche. Nach einer Romantik, die für Annie, jugendliche Heldin des gleichnamigen Romans von Paula Fox, nicht im geringsten gilt. Ihre im Dunstkreis der Hollywood-Märchenwelt verbrachten Jahre des Stolperns und Stürzens, Benutzens und Benutztwerdens romantisch zu nennen, wäre von derselben Qualität wie, wenn man die Namen zweier Frauen, deren Wege Annie kreuzt, romantisch nennen würde: »Hope, die verzweifelt und Grace, die ein Tolpatsch ist«.
Abenteuerlich hingegen ist sie in hohem Maße: die Lebensreise der Paula Fox, von der wir aus Annie Gianfalas Jahren des Jobbens, Herumziehens, Erwachsenwerdens in einem nomadischen Armutsmilieu, den Jahren zwischen 1939 und 43, in diesem Buch einiges erfahre
es erfahren. Ein junges Mädchen, für das vor allem eines typisch ist: die »Müdigkeit des Beobachters ... Wenn sie die Menschen nur nicht so viel beobachten würde! Der kleinste Wechsel ihres Ausdrucks, die winzigste Wendung ihrer Körper, Fussel auf ihren Kleidern ... sie riefen ein unheimliches und qualvolles Echo in ihr hervor! Aber wozu?«Paula Fox´ protokollhaft-genaue Aufzeichnungen der eigenen Erinnerungen in dem nun auf Deutsch erschienenen Band In fremden Kleidern (Borrowed Finery, 2001) legen klar, dass wir mit Kalifornische Jahre (Western Coast, 1973) und Lauras Schweigen (The Widow`s Children, 1976) schon Texte vor uns hatten, die in vielen Details, vor allem aber in Thema und Analyse autobiografisch sind. In jenem Sinn, der die Autorin auszeichnet: Zusammenhang zu stiften dank präzise auf Stimmungen und Unterströmungen hin abgehorchter Erinnerungen und eines in die Tiefe reichenden Verstehens. Einen Zusammenhang, der Chaotik und Heillosigkeit abbildet, und zugleich von der Klarheit langen und gründlichen Hinschauens erhellt ist. Fox´ Sprache vermag dies - Unordnung zu erzählen und Ordnung zu vermitteln.Paulas Fox´ Eltern begleiteten nur besuchsweise die Kindheit ihrer Tochter, die sie kurz nach der Geburt in einem Findelhaus in Manhattan abgegeben hatten. Rastlos im Reisen, Umziehen, in ihren sporadischen Besuchen, abrupten An- und Abreisen, immer »pleite«, erlebt die Tochter sie wie zwei große Kinder: den ihr immer wieder - unberechenbar - zugeneigten Vater freilich weit menschlicher als die Mutter, die Paulas Gegenwart nicht erträgt und während eines Besuchs vom Vater fordert: »Sie oder ich«. Ein Pfarrer, der das fünfmonatige Mädchen für die nächsten Jahre zu sich nimmt, wird von ihr geliebt: »In einem Augenblick wurde mir bewusst, was in jeder Facette des alltäglichen Zusammenlebens mit Onkel Elwood enthalten war - dass alles zählte und dass ein in allem Ernst gesprochenes Wort eine geheimnisvolle Kraft enthielt, die Gedanken und Gefühle erwecken konnte, im Sprechenden wie im Zuhörer.« Der Abschied der Sechsjährigen von ihm ist für sie »eine Amputation«.Der harte Rhythmus ständiger Einschnitte prägt Fox´ Biografie. Die Kapitel der Autobiografie ergeben sich von selbst: Das Zusammenleben mit der Großmutter in New York und für zwei Jahre in Kuba, dann an immer neuen Orten bei Großmutter, Vater, kurzzeitigen Betreuern, in Hollywood, New Hampshire, Montreal, New York City, Kalifornien. Wieder denkt man an Annie, die Beobachterin: »Du kannst nicht verlangen, dass Menschen keinen Standpunkt haben - dass sie einfach schauen, wie du es tust. Irgendwann wirst du zu ein paar Schlussfolgerungen kommen müssen - du wirst überzeugt und dickköpfig sein müssen, wie wir alle.« Der Rhythmus vieler Abschiede und Neuanfänge Annies - oder Paulas - spielt das Grundmotiv Ungeborgenheit durch, es ist hier eine die Persönlichkeit prägende Kraft; die Ambivalenz von Freiheit, die immer auch Vogelfreiheit ist.Paula Fox, 1923 geboren, wollte als Kind schon schreiben. Aber erst 1967 erschien ihr erster Roman Poor George, 1970 dann Desperate Characters, mit dem sie dank der 1971 folgenden Verfilmung mit Shirley MacLaine bekannt wurde. Der Roman, der im deutschsprachigen Raum mit 30-jähriger Verspätung unter dem Titel Was am Ende bleibt erstveröffentlicht wurde, leuchtet in einer auf wenige Tage konzentrierten Handlung den Hintergrund einer Ehegeschichte aus. Was am Ende bleibt, von Fox in der Umgebung und Nachbarschaft ihrer damaligen Wohnung recherchiert, ist auch ein Porträt der »besseren New Yorker« und des »schlechten« Teils der Stadt, in dem sie seltsamerweise doch gelandet sind. Die Schrecken der Nähe werden hier in minutiöser Weise seziert, nicht aber, ohne dass der Raum zwischen den ersehnten Möglichkeiten menschlicher Nähe und den bösen Wirklichkeiten immer wieder ausgemessen würde.Neben vier weiteren Romanen schrieb Fox 23 Kinderbücher. Auch in der Autobiografie fällt nun die Gründlichkeit, die nüchterne Zärtlichkeit auf, mit der sich die Erzählerin dem Kind zuwendet, das sie einmal war. Anders als die Kälte und Beliebigkeit, die Paula Fox von ihren Eltern erfuhr, es vielleicht erwarten ließen, werden Kinder zu einem wichtigen Adressaten ihres Schreibens. Zu einem Teil des Lebens sowieso; Paula Fox ist mit dem Essayisten Martin Greenspan verheiratet und hat drei Kinder.Paula Fox´ hervorragender Roman Lauras Schweigen kann man als so etwas wie den Versuch lesen, die widersprüchlichen Aspekte der eigenen Mutter, von denen es in der Autobiografie heißt: »Lange Zeit wusste ich nicht, wie ich sie zusammensetzen sollte«, in ein Bild zu fügen. Laura Maldonada, Anfang 50, richtet anlässlich einer bevorstehenden Afrikareise mit Ehemann Desmond ein Abendessen aus. Die Erzählung von diesem Abend und dem nächsten Tag ist ein Familienpsychogramm von bestechender analytischer Klarheit. Selbstentfremdung und die traurige Egozentrik der Unglücklichen werden von Fox detailgenau seziert: Desmond, der seine underdog-Position Laura gegenüber nicht schnell genug in Alkohol ersäufen kann; der so sympathische wie feige Bruder Carlos; der vereinsamte Peter Rice, und, Laura polar entgegengesetzt, ihre ungewollte, bei der Großmutter aufgewachsene Tochter Clara. Was Lauras Reden anrichten - Macht, Vernichtung, Demütigung - übertönt stets die banalen Inhalte des Gesagten und klingt an diesem Abend noch etwas greller, denn Laura, die nicht schweigen kann, verschweigt den Anruf des Altersheims, das sie am Nachmittag über den Tod ihrer Mutter informierte.Macht ist desto größer, je ungehinderter von Bewusstheit, je unbewusster sie sich entfalten kann. Dies Wissen aber hilft den Bewussten wenig. Laura hat Macht gerade durch ihre Nicht-Persönlichkeit, durch das Nicht-Zusammenhängen der widersprüchlichen Aspekte ihrer Person. Die Willkür und Hemmungslosigkeit ihres Verhaltens wird von den an der Konvention Erstickenden als Unkonventionalität interpretiert; von denen, die sich selbst als schwach empfinden, als Stärke. Sie ist Projektionsfläche der Unglücklichen, die, viel zu geschwächt zum klaren Sehen das Gegenteil ihrer selbst schon bewundernswert finden. Das Verhängnis ihrer Haltlosigkeit ist als einziger ihrer Tochter klar: »Laura ist eine Terroristin. Sie nimmt sich nur wahr, wenn die Bombe, die sie wirft, explodiert ... Sie ist eiskalt im Innern, nur halb geboren.« Und doch ist auch für Clara noch lange nicht entschieden, ob es ihr glücken wird, das potenziell lebenslängliche Gefängnis Familie wirklich zu verlassen. Carlos: »Man wuchs aus der Familie heraus, ging von der Familie fort. Die wirklichen Zusammenhänge des Lebens waren anderswo ... Dort war seine Nichte. ... Sie war so demütig Laura gegenüber. Wenn er an Ratschläge geglaubt hätte, hätte er ihr gesagt, dass das die schlechteste Weise zu leben sei.«Dass ihre Bücher nach Jahrzehnten des Vergessens Mitte der neunziger Jahre dank einem begeisterten Essay von Jonathan Franzen in Harpers Bazaar eine Renaissance erlebten, - der dann seit 2000 die Erstpublikation im deutschsprachigen Raum folgt - war für Paula Fox eine »Auferstehung«, die sie erfreut, aber auch erstaunt zur Kenntnis nahm. In den achtziger und neunziger Jahren habe nur »politisch korrekte« Literatur interessiert, meint Fox, und überhaupt: »Für die Amerikaner - und entschuldigen Sie bitte, dass ich verallgemeinere - ist es schwer zu akzeptieren, wie hart das Leben ist. ... All die konservativen Werte, wie zum Beispiel loving, sharing, sich lieben und alles teilen, sind so oberflächlich. Natürlich erscheinen meine Bücher für den typischen amerikanischen Leser als grau. Ich beschreibe eben kein Disneyland«, sagte sie genau vor drei Jahren in einem Interview.Vielleicht steht die (Wieder-)Entdeckung des Fox´schen Werks im Kontext eines sich verändernden Amerika; eines, das eben jener Jonathan Franzen oder - literarisch schwächer - Douglas Coupland beschreiben, wenn sie die depressiven, ja jämmerlichen Innenseiten eines nach außen hin glänzenden Selbstverständnisses thematisieren; ein Amerika, in dessen aggressiv-wehrhafter Stärke sich Schwäche verrät, wie Michael Moores Film Bowling for Columbine belegt oder wie es Emmanuel Todd in seinem Buch Weltmacht USA. Ein Nachruf sieht. Die New Yorker Autorin Francine Prose beschreibt alarmierend die stetig wachsende autoritäre Tendenz auch der Medien, nicht mehr selbstkritisch aufs eigene Land zu blicken, statt dessen zu verharmlosen und zu verschweigen. In diesem Zusammenhang sind »alte« Bücher wie etwa Richard Yates Klassiker Revolutionary Road (1961), der gleichfalls im letzten Jahr auf Deutsch wieder aufgelegt wurde, und eben das Werk einer Paula Fox plötzlich von neuem Wert - und helfen den Boden begreifen, auf dem die Heutigen stehen.Ganz zum Schluss ihrer Autobiografie erzählt Paula Fox, wie sie selbst mit 21 ihr erstes Kind zur Adoption freigab; wie dieses sie dann als Erwachsene fand und eine Freundschaft begann. - Paula Fox ist keine Autorin für jene, die wegsehen wollen und Dunkelstellen im Außen und Innen ausblenden. Einige der »wirklichen Zusammenhänge« schreibend geklärt zu haben, ist ihr auf beeindruckende Weise gelungen.Bücher von Paula Fox:In fremden Kleidern. Aus dem Amerikanischen von Susanne Röckel, C.H.Beck, München 2003, 286 S., 19,90 EURLauras Schweigen. Aus dem Amerikanischen von Susanne Röckel. C.H.Beck, München 2002, 233 S., 18,50 EURKalifornische Jahre. Aus dem Englischen von Susanne Röckel, C. H. Beck, München 2001, 487 S., 22,50 EURKinderromane und ErzählungenJenseits der Lügen. Aus dem Amerikanischen von Cornelia Krutz-Arnold. Carlsen, Hamburg 2003, 128 S., 5,90 EURPaul ohne Jacob. Sauerländer, 2001, 105 S., 11,80 EURInselsommer. Aus dem Englischen von Ulli und Herbert Günther. Bertelsmann, München 1998, 160 S., 5,95 EUR
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