Sumaya" heisst übersetzt: "kleiner Himmel". Als ich die Pionierin der palästinensisch-israelischen Friedensarbeit und Professorin für Biologie, Sumaya Farhat-Naser, im November 1996 in der Universität Bir Zeit aufsuchte, zeigte sie mir den Blick aus ihrem Zimmer: "Dort hört unser kleines Stück Autonomie schon auf!" Kaum einen Steinwurf hinter der Universität ging die Zone B (palästinensisch, aber vom israelischen Militär kontrolliert), der das Dorf Bir Zeit samt Hochschule zugeordnet war, in die Zone C (vollständig unter israelischer Militärherrschaft) über: laut Osloer Verträgen Übergangszustände auf dem Weg ins autonome Palästina. Vom Frieden, das wusste die Friedensstreiterin auch in dieser optimistisch gestimmten Zeit, war man noch weit entfernt. Heute ist der Ausblick ins freie Palästina ferner denn je: kleiner könnte der Himmel nicht sein.
Die zurückliegenden Jahre der Friedensarbeit zwischen palästinensischen und israelischen Frauen zu dokumentieren ist eines des Hauptanliegen in Sumaya Farhat-Nasers neuem Buch. Dabei wird sie nicht müde, ihrer beider Ungleichheit in Ausgangsposition und Realität herauszustellen. In den Worten einer israelischen Partnerin: "Die israelischen Frauen suchen den Dialog mit Palästinenserinnen, damit sie nachts besser schlafen können. Die Palästinenserinnen kommen in unsere Dialoggruppen, um die Israelinnen daran zu hindern, nachts ruhig einzuschlafen."
1997 hatte Sumaya Farhat-Naser ihre Hochschularbeit vorerst niedergelegt, um sich ganz der Frauenfriedensarbeit, die sie seit Mitte der 80er Jahre mitinitiierte, zu widmen. Sie übernahm die Leitung des palästinensischen Sektors der palästinensisch-israelischen Friedensorganisation "Jerusalem Link", - das "Jerusalem Center of Women". Das vorliegende Buch ist Erinnerung und Reflektion dieser Zeit; der Arbeit an gemeinsamen Erklärungen und Veranstaltungen, Seminare und Dialogtrainings, an einem "Schattenparlament", das in kritischer Befragung des eigenen palästinensischen Parlaments Alternativen der Exekutive erarbeitete.
"Die Gewalt kann uns nicht aus der Welt schaffen." Dieser erstaunliche Satz markiert die Gegenrealität zum täglichen Krieg; den Friedensprozess jenseits von Oslo, der statt auf der politischen Bühne in gesellschaftlicher Arbeit das Fähigwerden zum Frieden zum Ziel erklärte. Die Mühsal und Kleinschrittigkeit dieses Prozesses, den Sumaya Farhat-Nasers Buch abbildet, räumt gründlich auf mit der Meinung, Frieden sei einfach zu haben, oder: eine Sache guten Willens. Wenn ein Dialog Sinn machen soll, braucht es viele, und paradoxe Fähigkeiten: das loyale Einstehen für die Rechtmässigkeit der eigenen Position und den vollen Umfang der Ansprüche, andererseits die Bereitschaft, sich die Wahrheit der anderen Seite zuzumuten - mit allen Konsequenzen von Schmerz, Kränkung und Verletztheit. Wo im Dialog mit den Partnerinnen diese die Eindeutigkeit von Fakten wie die Besatzungssituation Palästinas; das Rückkehrrecht der Flüchtlinge relativieren oder aber in ihrer Sicht der Dinge eine Symmetrie von Gewalt auf beiden Seiten darstellen wollten, widerspricht die Palästinenserin vehement. Und sie erspart weder sich noch den anderen Konfrontationen und Auszeiten oder die Arbeitsgrundlagen ständig zu überarbeiten.
Es sind eine Art Dauerschmerz und Dauerwut, die als ständige Begleiter der Schreiberin spürbar werden; Begleiter, die einen Menschen verändern. So erscheint es einer israelischen Kollegin befremdlich - und mag es uns LeserInnen befremdlich erscheinen - dass die engagierte Friedensfrau Sumaya sich weigert, mit den Frauen der Gegenseite essen zu gehen, sie zuhause zu besuchen, eine Freundschaft einzugehen. Genau dies "normale" Verhalten, so Farhat-Naser, ließe ja den Schluss zu, es gäbe auch für Palästinenserinnen diese Normalität. Stattdessen gibt es die Täglichkeit von Tod und Schrecken, einen Todernst der Lage. "Von unserem Haus aus hören wir die Hubschrauber und warten jeweils voller Angst auf die bevorstehenden Angriffe. Die Geschosse schlagen meist in acht bis zehn Kilometer Entfernung von Birseit ein. Per Telefon oder am Fernseher erfahren wir dann, wen sie getroffen haben. Bislang sind acht Freunde meines Sohnes Anis getötet worden. In drei Monaten war ich an 28 Beerdigungen. Die psychischen Schäden bei Kindern und Erwachsenen sind unermesslich."
Frieden nicht ohne gegenseitige Anerkennung; die aber setzt das haarkleine Hinterfragen beider Positionen voraus; der "Mythen" beispielsweise, die das jeweilige Rechtsempfinden bestimmen. Der in Israel immer noch tief verwurzelten Mythos, das "Volk ohne Land" sei in ein "Land ohne Volk" gekommen wird um den Preis der Geschichtsverfälschung weitergegeben; in Palästina erhalten andere Mythen durch die Besatzung ständig neue Nahrung: So werde "Für Heranwachsende, die das religiöse und kulturelle Zentrum Jerusalem nie gesehen haben", die Stadt durch ihre Unerreichbarkeit "noch heiliger" und zu einem "Mythos, der sich leicht mit religiösen Argumenten füllen lässt."
Es ist ein Buch über Leiden und über die gewaltige Arbeit, nicht beim Erleiden stehen zu bleiben, sondern Selbstbewusstsein, Widerstand und realistischer Zuversicht zu schaffen. Es ist politische Dokumentation und politisches Manifest zugleich: "Wir weigern uns, Feindinnen zu sein", steht auf dem Transparent, das Sumaya zusammen mit der israelischen Partnerin Gila Svirsky im Juni 2001 bei einer Versammlung der "Frauen in Schwarz" trägt; es manifestiert auch innerhalb ihrer sechs Jahre institutioneller Friedensarbeit die gewachsene Bereitschaft, den israelischen Partnerinnen zu vertrauen. Es ist die beispielhafte Abbildung eines Stückes Friedensprozess, und wie ungeheuerlich die Konsequenz und Bereitschaft von Sumaya Farhat-Naser und ihren Partnerinnen sind, immer weiter zu gehen, als die Verletzungen reichen, erkennt man an der Kluft, die sich täglich weiter auftut zwischen der in der Tagespresse kurz umrissenen fortschreitenden Zerstörung und dem, was in diesem Buch beschrieben ist. Es gibt ein kriegstaugliches und ein friedenstaugliches Denken; aus ihm folgen Handlungen und Strategien, und wer nicht an die Wurzeln des eigenen Denkens, Wissens und Fühlens zu gehen bereit ist, wird der sich immer schneller drehenden Schraube von Gewalt und Gegengewalt kaum entkommen. "Wären wir die politische Führung", schreibt Gila Svirsky, "würden wir uns niemals - auch dann nicht, wenn wir nicht übereinkämen - auf solche Gewalttaten und auf die rassistische Sprache einlassen, die den Konflikt seit Jahren charakterisieren." Dem kann ich nur zustimmen.
Unmöglich, diesem alarmierten und so klaren Ton nicht zuzuhören; dieser mutigen Realistin mit dem passenden Namen Sumaya, "kleiner Himmel", die daran erinnert, niemals den friedlichen Streit um das Ziel einer freien Aussicht für alle aufzugeben.
Sumaya Farhat-Naser: Verwurzelt im Land der Olivenbäume. Eine Palästinenserin im Streit für den Frieden. Hg. Von Dorothee Wilhelm, Manuela Reimann, Chudi Bürgi. Lenos Verlag, Basel 2002, 280 S., 19,90 EUR
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