"Wird Premierminister Dominique de Villepin wieder einen Job finden, sollte er über die jetzigen Proteste ins Straucheln geraten?" Die mehr als berechtigte Frage beantwortet der Karikaturist des Pariser Satireblatts Charlie Hebdo mit den Worten: "Vielleicht dank der Bewerbung mit dem anonymen Lebenslauf... "
Eine Anspielung auf den so genannten "CV anonyme" - den "anonymen Lebenslauf" -, wie ihn die französischen Regierung mit einer der jüngst beschlossenen "Antidiskriminierungsmaßnahmen" legimitiert. Dahinter steht die realistische Gewissheit, dass sich bestimmte Bewerber um einen auch nur annähernd qualifizierten Job gar nicht erst zu bemühen brauchen. Dank ihres "falschen Namens", der die Herkunft oder Abstammung verrät, dank ihrer "falschen Adresse", die sie als Bewohner der verrufenen Trabantenstädte an der urbanen und sozialen Peripherie Frankreichs ausweist, werden ihre Unterlagen in der Regel sofort aussortiert.
Um dies zu vermeiden, ermöglicht nun das von der bürgerlichen Mehrheit in der Nationalversammlung angenommene "Gesetz zur Chancengleichheit" den "CV anonyme", es ist Teil eines Pakets von Maßnahmen, als deren Flaggschiff der heiß umstrittene Contrat Première Embauche (CPE/der Vertrag ohne anfänglichen Kündigungsschutz) für Berufseinsteiger gedacht war. Wie sich unschwer erkennen ließ, reagierte das Kabinett von Dominique de Villepin damit auf die Revolte der Banlieues im November vergangenen Jahres. Seinerzeit hatte das Regierungslager zunächst den Eindruck erweckt, es handele sich bei den Unruhen um ein reines "Sicherheitsproblem", das mit polizeilicher Repression und Präsenz zu bewältigen sei. Allenfalls wurde ein "ethnisches" oder "Migrantenproblem" in einem "durch fehlende Chancen desillusionierten Milieu" eingeräumt - auch wenn von Anfang an außer Zweifel stand, dass die dramatische soziale Kluft zwischen den Kernstädten und deren Peripherie, an die all die Armen und Unerwünschten abgedrängt wurden, als entscheidende Ursache für die Riots zu betrachten war.
Ein Vierteljahr nach dem Aufruhr fragte das politisch moderate Boulevardblatt Le Parisien im Februar seine Leser: Hat die Regierung bisher genug getan, um eine Wiederholung dieses Gewaltausbruchs zu verhindern? Die Antwort hätte kaum klarer ausfallen können: 82 Prozent sahen keinen der von den sozialen Verwerfungen ausgelösten Konflikte eingedämmt. 86 Prozent der Befragten glaubten, "jederzeit" könnten wieder Nacht für Nacht Tausende von Autos brennen und Straßenschlachten die Vorstädte erschüttern.
Zumindest in symbolischer Hinsicht bedeutet die Einführung des "anonymen Lebenslaufs", dass der Gesetzgeber die empörenden Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt erstmals hochoffiziell anerkennt - so skurril, genau genommen beschämend, die nun angestrebte Praxis auch sein mag. "Ein Bewerber, der einen französischen Namen trägt und sich auf eine Anzeige hin für eine kaufmännische Stelle bewirbt, erhält im Durchschnitt 75 Angebote für Bewerbungsgespräche. Bei gleich gearteten Kompetenzen erhält ein anderer, der einen maghrebinisch oder arabisch klingenden Namen trägt, durchschnittlich nur 14", las man zu diesem Thema in der Wirtschaftszeitung La Tribune. Ob freilich der "CV anonyme" daran etwas ändert oder nur dazu führt, dass unerwünschte Kandidaten künftig in den Bewerbungsgesprächen und nicht gleich beim Eingang ihrer Unterlagen abgeblockt werden, sei dahin gestellt.
Der größte Teil des Maßnahmenbündel der Regierung jedenfalls erscheint völlig ungeeignet, auch nur den gröbsten Missständen zu begegnen. Das gilt nicht allein für den mittlerweile zum Synonym für die Prekarisierung der jüngeren Generation gewordenen Contrat Première Embauche (CPE), der Hunderttausende Berufseinsteiger ungebremster Arbeitgeberwillkür ausliefert. So senkt das erwähnte "Gesetz für Chancengleichheit" das Mindestalter für den Eintritt in eine Berufsausbildung von bisher 16 auf 14 Jahre und für die Zulässigkeit von Nacht- sowie Wochenendarbeit auf 15 Jahre. Angeblich handelt es sich bei der Novellierung dieser Bestimmungen um einen Schritt, der es arbeits- und zukunftslosen Jugendlichen besonders in den Banlieues erlauben soll, in Lohn und Brot zu kommen. Namentlich Schulabbrechern werde damit eine Perspektive geboten, heißt es. Doch bereits im November 2005 - noch während der damaligen Unruhen, als die Debatte um derartige von der Regierung angestrebte Maßnahmen begann, hatten die Unternehmerverbände MEDEF und CGPME klar gestellt, dass man "die turbulentesten Elemente" auf gar keinen Fall einzustellen gedenke - ein Unternehmen sei weder die Heilsarmee noch eine Erziehungsanstalt.
Für den harten Kern der so genannten Schulversager dürfte sich daher künftig wenig ändern - Jugendliche ausländischer Herkunft könnten nun womöglich bereits im Alter von 12 oder 13 Jahren in ihren Schulen auf das Abstellgleis geschoben und auf den extrem frühzeitigen Eintritt in eine Lehre "orientiert" werden. Man muss dazu wissen, dass die berufliche Ausbildungin Frankreich nicht auf vergleichbare Weise wie in Deutschland mit einem dualen Schulsystem ausgestattet ist. Ein Berufsausbilder muss überdies nicht als solcher ausgebildet sein und keine Testate über erworbene pädagogische Qualifikationen vorweisen. Früher einmal in dieser Hinsicht bindende gesetzliche Normen hat der konservative Regierungschef Edouard Balladur im Jahr 1994 kassiert. Alles in allem dürften die neuen Regelungen die soziale Polarisierung und Ausgrenzung - den Graben zwischen Peripherie und Zentrum noch vertiefen.
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