Auf Wiedersehen in Sarajevo!

Ähnlich zerrissen Eine Filmfestival-Rundreise durch das ehemalige Jugoslawien

In diesem Jahr verbringen mehr Serben als üblich ihren Urlaub in Griechenland. Montenegro, bis dato beliebtestes Urlaubsziel, hat sich endgültig aus dem Staatsverband verabschiedet, der vom ehemaligen Jugoslawien übrig geblieben ist. Es ist teurer geworden an der Adria-Küste zwischen Budva und Bar, und Protest gegen die neue Unabhängigkeit schwingt auch mit, wenn es in Serbien um die Wahl des diesjährigen Ferienziels geht. Doch nicht nur im Tourismus brechen neue Zeiten an, die Filmlandschaft in Europas Südosten verändert sich parallel zur politischen Landkarte.

Im Kosovo erreichte das vor fünf Jahren gegründete "Dokufest" in Prizren erstmalig europäische Dimension; es gehört zu den kulturellen Höhepunkten einer Region, in der die Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen noch immer sichtbar sind. Eines der beiden Freiluftkinos liegt inmitten des serbischen Viertels, dessen Bewohner im März 2004 vertrieben wurden. Hinter der Leinwand erstrecken sich hügelaufwärts die Ruinen der niedergebrannten Wohnhäuser. "Das ist Politik", meint die Gästebetreuerin des "Dokufests", selber Tochter einer albanisch-serbischen Mischfamilie, resigniert, wenn man sie auf die Ruinen der serbisch-orthodoxen Kirchen anspricht. "Rache" diagnostiziert, ebenso resigniert, eine andere Mitarbeiterin des Festivals, und erwähnt die massakerähnlichen Manöver der serbischen Armee gegen die albanische Bevölkerung im Jahre 1999 als Höhepunkt einer jahrzehntelangen ethnischen Benachteiligungspolitik, die unter der Regierung Milosevic mit den Berufsverboten für albanische Mediziner und Universitätsdozenten zeitweise Apartheid-Qualitäten erreichte.

Währenddessen wird der Anspruch der albanischen Bevölkerung auf die staatliche Unabhängigkeit von den omnipräsenten Denkmälern für die "Befreiungsbewegung" UÇK genauso untermauert wie von den albanischen Fahnen, die aus den Autos der sommerlichen Hochzeitskonvois geschwungen werden. Im Unterschied zu anderen Landesteilen wird in Prizren auf den Straßen immerhin Serbisch genauso offen gesprochen wie Albanisch und das seit einigen Jahren vor allem bei jungen Leute populäre Türkisch. Auf dem "Dokufest" liefen serbische Beiträge als Selbstverständlichkeit. Neben einem internationalen präsentierte es einen hochkarätigen Balkan-Wettbewerb. Aus dem Kosovo selber waren unterschiedliche Beiträge zu sehen. Ilir Kabashi funktionalisiert in seinem Icon of tears (Ikone der Tränen) die Trauer einer Mutter, deren Ehemann und drei Söhne von serbischen Truppen verschleppt wurden und seitdem vermisst sind, für eine opfermythische Elegie, während Iris Elezi in ihrer Collage Disposable Heroes (Wegwerfhelden) die persönlichen Reflektionen von Kriegsveteranen aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawien zu eine Plädoyer gegen den Krieg zusammenfügt.

Zum Alltag des Filmgeschäfts im Kosovo gehört die DVD-Piraterie. Illegale Vervielfältigungen internationaler Blockbuster sind auf der Strasse für einen Euro zu bekommen. Wegen der völkerrechtlichen Zugehörigkeit zu Serbien fällt der Kosovo lizenzrechtlich in den Zuständigkeitsbereich der Belgrader Filmverleiher, die sich jedoch aus dem Geschäft in den von der UN verwalteten Gebieten zurückgezogen haben. So gibt es im Kosovo zwar Kinos, aber kein funktionierendes Verleihsystem, über das neue Filme flächendeckend ins Programm gebracht werden könnten. Die Zukunft des Kinos im Kosovo entscheidet sich, wie so vieles, mit den Verhandlungen um die Statusfrage, meint daher Ilir Gjocaj, Manager der 1971 gegründeten staatlichen Produktionsfirma "Kosovafilm". Um den Anschluss an die internationale Filmszene zu behalten, müsse man daher auf illegale DVDs zurückgreifen, die "aus der Sicht der Filmfans ein Geschenk des Himmels sind, da es nur so möglich ist, gute Filme zu sehen."

Etwas weiter nördlich der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien liegt der Kurort Vrnjacka Banja. Im Vergleich zu dem von den kriegerischen Auseinandersetzungen und der Präsenz der KFOR-Truppen geprägte Prizren wirkt Vrnjacka Banja mondän. Dort wird seit 30 Jahren ein nationales Filmfestival veranstaltet, auf dem Preise für die besten Drehbücher vergeben werden. Zum Jubiläum zeigte man Preisträgerfilme der Jahre 1977 bis 1984. Der für seine pointierten Kommentare bekannte Festivalleiter Milan Nikodijevic überschrieb das Programm mit A Better past (Eine bessere Vergangenheit).

Augenblicklich ist die serbische Festivalszene im Umbruch. Mit der Unabhängigkeit Montenegros ging der Standort für das bisherige nationale Filmfestival in dem Adriastädtchen Herceg Novi verloren. Im Kampf um die Ausrichtung des Wettbewerbs für den besten serbischen Spielfilm wird auch die Etablierung eines neuen Festivals in der Hauptstadt Belgrad ins Gespräch gebracht. Der Dichter Bosko Rudjincanin, Leiter des Kulturzentrums in Vrnjacka Banja, warnt in diesem Zusammenhang vor einer "Belgradisierung" des kulturellen Lebens. Die schwierigen wirtschaftlichen Perspektiven in der Provinz führen seit Jahren zum brain drain ins Ausland und in Richtung Hauptstadt, die serbische Filmszene konzentriert sich seit jeher fast vollständig in der Metropole.

So betrachtet Oleg Novkovic in Tomorrow Morning (Am nächsten Morgen) Belgrad aus der Perspektive eines Auswanderers, der nach zwölf Jahren im kanadischen Exil nach Serbien zurückkehrt und dort seine früheren Freunde in einer vollkommen veränderten Welt vorfindet. Zwischen Postadoleszenz und Midlife-Crisis bewegen sich die Protagonisten in einem Alltag, der für viele Serben mit einem Durchschnittslohn von 250 Euro ökonomisch heute nur schwer zu bewältigen ist, und eine enttäuschte Sehnsucht nach besseren Zeiten wachruft. Der Frust der Protagonisten bricht sich allzu oft in traumatischen Besäufnissen mit irreparablen zwischenmenschlichen Folgen Bahn.

Die größten kommerziellen Erfolge jedoch sind mit der Provinz verbunden. Emir Kusturica zog sich bereits vor einigen Jahren in die pittoreske Bergwelt von Mokra Gora zurück, wo die legendäre Drina die Grenze zu Bosnien und Herzegowina bildet. Das altserbische Dorf, dass er in den Bergen errichten ließ, ist inzwischen zu einer Touristenattraktion geworden. Und der Erfolgsregisseur Zdravko Sotra wählte für seine beiden historisch-folkloristischen Unterhaltungsfilme Zona Zamfirova - der bisher erfolgreichste serbische Blockbuster aller Zeiten - und Ivkova Slava das südserbische Nis als Ort der Handlung.

Seit einigen Jahren ist See you in Sarajevo zum Abschiedsgruß auf ex-jugoslawischen Filmfestivals geworden. Das Festival hat seine Position als filmwirtschaftlicher Treffpunkt der Region ausgebaut. Mit dem Goldenen Bären für Grbavica - Esmas Geheimnis von Jasmila Zbanic, die in Sarajevo als Jurypräsidentin fungierte, ist das Selbstbewusstsein der Stadt erneut stark gewachsen. Der Dokumentarfilmwettbewerb beschäftigte sich mit den Traumata der Kriegszeit und den zivilgesellschaftlichen Defiziten der Gegenwart. Mit Janko Baljaks Vukovar - Final Cut, einer minutiösen Rekonstruktion der Vorgänge, die zu den kriegerischen Exzessen in der slawonischen Kleinstadt führten, nähert sich erstmals eine serbisch-kroatische Koproduktion der in beiden Ländern noch immer unbewältigten Vergangenheit. Auch The Dream Job (Der Traumjob), der aus feministischer Perspektive einige Facetten der Turbofolk-Szene in der Serbischen Republik beleuchtet, und Mirror, Mirror (Spiegel, Spiegel), der das Frauenbild im Fernsehen des Kosovo untersucht, zeigen, das die Problemlagen in Entitäten, deren Bewohner ethnische Vorurteile gegeneinander hegen, durchaus ähnlich sind. In beiden Filmen geht es um das Geschäft mit den Körpern der Frauen, die als Sängerinnen angeheuert werden - "Striptease mit nationalistischen Texten", so die Zuschauerin einer Turbofolk-Veranstaltung in The Dream Job.

Den ersten Preis im Spielfilmwettbewerb gewann Andrea Stakas majoritär von der Schweiz produzierter Das Fräulein, dessen thematischer Bezug zur Balkan-Region sich über die Verknüpfung der unterschiedlichen Lebensentwürfe dreier Emigrantinnen aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Schweizer Diaspora herstellt. Eine der Hauptrollen spielt Mirjana Karanovic, hierzulande vor kurzem als Darstellerin der Mutter in Grbavica - Esmas Geheimnis bekannt geworden, der noch während des Festivals als bosnisch-herzegowinischer Kandidat für den Auslands-Oscar nominiert wurde.


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