Marx attacks!

60 Jahre DEFA Im Ausland wächst das Interesse am DEFA-Film, dort entdeckt man neu, was hierzulande in Vergessenheit zu geraten droht

Seit kurzem kann man DEFA-Filme auch in Namibia bestellen: In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der deutschsprachigen Allgemeinen Zeitung, Namibias ältester Tageszeitung, hat der DVD-Vertrieb Icestorm in Afrika eine Edition mit 50 in der DDR entstandenen Spielfilmen aufgelegt. Icestorm bringt, in Zusammenarbeit mit der DEFA-Stiftung und dem Progress-Filmverleih, weltweit DEFA-Filme in den DVD-Handel. Während sich die ostdeutsche Filmproduktion, vor allen in den neuen Bundesländern und nicht zuletzt dank einer gemeinsamen Marketing-Kampagne mit dem Boulevard-Blatt Super-Illu, einer Renaissance erfreut, wächst auch das Interesse im Ausland. Nebenbei wird so manches tradierte Klischee von der DDR korrigiert.

Das Geschäft mit "Hollywood behind the wall", so die ironisch-selbstbewusste Kurzcharakterisierung in einem neuen englischsprachigen Werbespot, wächst vor allem in den USA, wo DVDs von DEFA-Filmen auch im Präsenzbestand großer Medienhandelsketten sind. Der griffige Slogan geht auf den gleichnamigen Titel eines Buches von Daniela Berghahn zurück, die den Amerikanern damit im letzten Jahr einen tiefgehenden Einblick in Geschichte und Umfang der ostdeutschen Spielfilmproduktion gegeben hat. Spätestens seit 1999, als Peter Kassovitz mit Hollywood sein Remake von Jakob der Lügner koproduzierte, wird das Spielfilmschaffen der DEFA in den USA ausgesprochen differenziert betrachtet. Das Original von Frank Beyer, 1975 für den Oscar für den besten ausländischen Film nominiert, markiert, so Berghahn, nicht nur einen Meilenstein im Umgang deutscher Filmschaffender mit Holocaust und Hitlerfaschismus, sondern schaffte auch den Zugang zu bis dato unbekannteren Arbeiten aus Babelsberg.

2002 war Beyer auf einer achtwöchigen Vorlesungsreise unterwegs, die ihn zu 52 Universitäten an den unterschiedlichsten Orten in Amerika brachte, kurze Zeit später tourte Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase durch Amerika. Im Oktober 2005 präsentierte sogar das New Yorker Museum of Modern Art eine Reihe mit 21 DEFA-Filmen, die zum großen Teil von den Filmschaffenden selber eingeführt und anschließend noch an fünf weiteren Orten in den USA nachgespielt wurden. Beyers Verbots-Filmklassiker Spur der Steine fehlte übrigens, dafür kamen wichtige Filme "aus der zweiten Reihe" wie Evelyn Schmidts Das Fahrrad und Dein unbekannter Bruder von Ulrich Weiß zur Aufführung, daneben auch einige Dokumentar- und Animationsfilme, die im Ausland bisher nur selten zu sehen waren. Die imageträchtige Reihe mit dem Titel Rebels with a cause war mit durchschnittlich 200-300 Besuchern pro Vorführung gut besucht, das New Yorker Publikum vor allem von der handwerklichen Qualität, dem unorthodoxen Kratzen an den Tabus des sozialistischen Alltags und einem unerwartet innovativen Geschichtsbild beeindruckt. So attestierte die New Yorker Wochenzeitung The Jewish Week der MOMA-Reihe eine "neue Perspektive auf Nazismus und Antisemitismus". Filme wie Jakob, der Lügner und Nackt unter Wölfen, eine der frühesten Arbeiten von Beyer, würden immerhin "stillschweigend" das Kernproblem der sozialistischen Interpretation des Nationalsozialismus erkennen, die zentrale Bedeutung rassistischer und antisemitischer Ideologien zugunsten des kapitalismuskritischen Klassenmodells herunterzuspielen.

Inzwischen befassen sich zwanzig US-Universitäten in ihren Lehrplänen mit dem DEFA-Film. Mitunter kommt es dabei im erfrischend diskursfreudigen amerikanischen Wissenschaftsbetrieb zu unkonventionellen Thesen. So interpretierte ein Referent die Szenen in Walter Becks Dornröschen -Film aus dem Jahre 1971, in denen - getreu dem von den Brüdern Grimm notierten Märchen -, sämtliche im Königreich vorhandenen Spindeln verbrannt werden, als Metapher für Bücherverbrennung und Holocaust. Es sind weniger Streifen wie der hierzulande Ostalgie-verdächtige Die Legende von Paul und Paula als Filme wie Das zweite Gleis, Joachim Kunerts psychologische Studie über die späten Folgen des moralischen Versagens eines einfachen Menschen im Deutschland der Nazi-Zeit, die die Jewish Week zu dem Schluss kommen lässt, dass "das Leben hinter der Berliner Mauer wesentlich komplizierter gewesen sein dürfte als man es sich bisher vorgestellt hat".

Das US-Interesse an der DEFA ist nicht zuletzt der Pionierarbeit des Fachbereichs für Germanistik und Skandinavistik an der University of Massachusetts in Amherst zu verdanken. Dort erwarb der Literatur- und Filmwissenschaftler Barton Byg, der sich vor allem von den Filmen Konrad Wolfs beeindruckt zeigt, 1990 die Film- und Videobestände der Washingtoner DDR-Botschaft. Seitdem entwickelte sich in Amherst eine eigenständige DEFA-Forschung mit Breitenwirkung. Für den nichtkommerziellen Verleih und wissenschaftliche Seminare steht in der DEFA-Film-Library eine umfangreiche Filmkopien-, Video- und DVD-Sammlung zur Verfügung, und an der Konzeption von Diskussionsveranstaltungen und Filmtourneen ist man, meist in Kooperation mit den deutschen Partnern bei der DEFA-Stiftung und beim Progress-Filmverleih.

Das Interesse erstreckt sich durchaus auf die Gegenwart. So kehrte Andreas Dresen kürzlich von einer US-Tournee zurück, die von Amherst koorganisiert wurde. Ausgehend von Dresens Raus aus der Haut, Stilles Land und Halbe Treppe, die allesamt nach der "Wende" in der DDR entstanden sind, wurde auch die Diskussion über etwaige stilistische und dramaturgische "DEFA-Traditionslinien" im zeitgenössischen deutschen Film nach Amerika exportiert.

Auch aus Asien ist Interesse an DEFA-Filmen zu vermelden. Veranstaltungen wie die Filmreihe Marx attacks - Science Fiction-Filme aus Osteuropa, in der im Rahmen des Real Fantastic Film festivals in Seoul 2005 Gottfried Kolditz´ Im Staub der Sterne und Kurt Maetzigs Der schweigende Stern präsentiert wurden, verleihen DEFA-Filmen die Aura des Exotischen. Im fernen Korea wird die oft der Biederkeit geziehene DEFA-Produktion zu einer Pittoresque, die vor dem Hintergrund der vollzogenen "Wende" in der DDR und der im Kalten Krieg zementierten Zweistaatlichkeit Koreas allerdings wesentlich mehr als den Ironiefaktor bedient.

In Japan zeigte die Tokioter Hosei-Universität bereits 2000 eine Retrospektive von DEFA-Filmen, vier Jahre später wurde eine Filmschau mit Arbeiten von Frank Beyer geplant. Eine japanische Übersetzung von Jakob, der Lügner ist in Vorbereitung. In Übersee, so scheint es, wird wiederentdeckt, was hierzulande inzwischen Gefahr läuft, in Vergessenheit zu geraten. Für die in Deutschland mitunter etwas verstockt geführte Diskussion über das ostdeutsche Filmerbe wäre es sicher hilfreich, einige der im Ausland geführten Diskurse aufzugreifen.


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