Mit dem slowenischen Von Grab zu Grab gewann ein Film den Hauptpreis des Cottbuser Festivals des osteuropäischen Films, der mit tiefschwarzem Humor eine Welt beschreibt, hinter deren trügerischer Idylle sich kollektive und individuelle Abgründe auftun. Damit liegt der Hauptpreisträger im Trend: die osteuropäischen Filmemacher beleuchten, zumeist mit dem Mittel der Groteske, Lebensalltag und Zukunftsfähigkeit ihrer Gesellschaften im Jahre 16 nach der Wende.
Das Cottbuser Filmfestival ist fast genauso alt. Seit nunmehr 15 Jahren spüren die Festivalmacher aktuelle Trends im osteuropäischen Kino auf. Einige Filme fanden hier ihren Verleih, und auf dem filmwirtschaftlichen Symposium Connecting Cottbus wurden bereits einige deutsch-osteuropäische Kopro
äische Koproduktionen angeschoben. Mit 16.000 Zuschauern vermeldete das Festival in diesem Jahr einen Zuschauerrekord.Der Preisträger Jan Cvitkovic ist in Cottbus kein Unbekannter. 1999 war er Hauptdarsteller in dem Road Movie Müßiggang, einem sympathischen, warmherzigen Werk, das drei studentische Tagediebe bei ihren alltäglichen Streitigkeiten und Versöhnungen zeigt. Als Regisseur geht Cvitkovic mit dem Alltag in seinem Land unversöhnlicher ins Gericht, begibt sich in den Mikrokosmos eines kleinen Dorfes unweit der Adria. Mit den Konflikten, die unter der warmen Sonne des Mittelmeeres blühen, hat man sich hier arrangiert. Allen voran Pero, der sein Brot als Grabredner verdient und von Mal zu Mal mehr über das Leben lernt. Doch irgendwann drückt irgendjemand aufs Ventil, und ein ganzes Kartenhaus aus Lügen bricht lärmend zusammen. Mit einer Mischung aus Lakonie, schriller Komik und schmerzlicher Tristesse entwirft Cvitkovic ein, leider oft ins Holzschnittartige überzeichnetes, Sittenbild, das den Zuschauer, so fasste es Jury-Mitglied Andreas Dresen zusammen, ans echte Leben erinnert, in dem "man manchmal selber nicht weiß, ob man Darsteller in einer Komödie oder in einer Tragödie ist."So ergeht es auch anderen (Anti-) Helden der in Cottbus gezeigten Filme. Monika, Tonik und Dasha in Die fünfte Jahreszeit heißt Glück etwa, die im selben Haus einer Prager Plattenbausiedlung aufgewachsen sind. Während die Generation ihrer Eltern zu Weihnachten krampfhaft an althergebrachten Ritualen festhält, kommt es bei der nachfolgenden Generation zum Crash. Dasha wird in die Nervenklinik eingeliefert und lässt ihre beiden Kleinkinder alleine zurück, Tonik lebt mittellos in dem verfallenden Haus des Großvaters, und Monis smarter Freund hat sich nach Amerika abgeseilt. Doch auch im sozialen Elend gibt es Momente des Glücks, bildet sich eine Solidargemeinschaft, als es darum geht, die vorübergehend elternlosen Kinder vor dem Heim zu bewahren. Bohdan Slámas Film schließt tragisch, aber nicht ohne Illusionen. Die fünfte Jahreszeit heißt Glück bekam - eine seltene Koinzidenz - den Publikumspreis und den Preis der Filmkritikerjury.Einen dramatischen Werteverfall konstatiert der Kompilationsfilm Solidarnosc, Solidarnosc, in dem 13 renommierte polnische Regisseure zum 25. Gründungstag über das heutige Bild der Bewegung reflektieren, von der einst die Veränderung der politischen Landkarte in Europa ausging. Bereits im ersten Beitrag fragen sich die Filmschaffenden, was sie heute noch mit den Werten der unabhängigen Gewerkschaft verbindet, die in den achtziger Jahren für ein besseres Polen kämpfte. Solidarnosc, Solidarnosc ist eine tiefgehende Reflexion über eine Gesellschaft, die frei geworden ist, sich aber nicht unbedingt zu ihrem Vorteil entwickelt hat. Da wird trotzig-rappend festgestellt, dass von den alten Werten "nur noch Losungen" übrig geblieben seien, der Tochter eines früheren Aktivisten aus Nowa Huta fällt auf, dass zu den geselligen Treffen in der heimischen Küche immer weniger Besucher kommen, und japanische Touristen werden durch die inzwischen verwaisten Hallen der ehemaligen Danziger Lenin-Werft gelotst, wo die neue Freiheit ihren Anfang nahm, inzwischen aber kaum mehr ein Mensch sein Auskommen verdient. Die, die ein gutes Auskommen haben, nehmen am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teil.Osteuropa wandelt sich schnell. So schnell, dass sich auch der Tenor der Filme, die dort produziert werden, schnell verändert. Wurde zu Beginn der neunziger Jahre der Sozialismus verabschiedet, danach die neureiche Herrschaft dubioser "buisinessmen" mit Tarantino-Adäquaten bebildert, so stellte sich vor kurzem das Thema der nationalen Herkunft. Heute wird die Frage aufgeworfen, ob das Erreichte tatsächlich dem entspricht, für das man vor 15, 20 Jahren gekämpft hat.Nach dem Sozialismus haben der Turbo-Kapitalismus und das Versagen der politischen Klasse in den letzten Jahren das Gefühl erzeugt, als ob man wieder einmal am Ende angekommen sei. Schon richtet man sich in neuen Nischen ein, die zwischen heruntergewohnten "banlieues" und dem abgeklärtem Geschwätz moderner Bohemiens zwar einige kurze Momente der Zufriedenheit, doch keine langfristigen Perspektiven erlauben. Man begibt sich auf die Suche, wenn auch mit offenem Ende. Nachdem sie von ihrem Vater für ein zweifelhaftes Geschäft an den korrupten Bürgermeister verraten wurde, verlässt die 16-jährige Protagonistin in dem rumänischen Ryna ihr Heimatdorf im Donau-Delta. Auf dem Fahrrad. Kein großer Traum, keine Utopie steht hinter diesem Aufbruch, eher eine neue Nachdenklichkeit. Man weiß nicht, wo die Reise hingeht, man weiß nur, dass sie unumgänglich ist.
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