Jenseits des linken Mainstreams Das Münchener "Werkstattkino", legendär für seine verwegene Programm-Mischung aus Porno, Trash, Kunst- und Polit-Kino, wird 30
Es passt so gar nicht ins Vorurteil von der sterilen Münchener Medienwelt und ihrem Bussi-Bussi-Gehabe: In der Isarvorstadt liegt eines der originellsten Kinos, das Deutschland zur Zeit zu bieten hat. Das Werkstattkino versteckt sich unscheinbar im Souterrain eines Hinterhofes in der Fraunhoferstrasse. Im Vorderhaus befindet sich eine Gaststätte, die, wenn auch die Speisekarte inzwischen mit einigen vegetarischen Gerichten auf den neuesten Stand gebracht wurde, das Flair einer siebziger-Jahre-Studentenkneipe konserviert. Tatsächlich verstehen es die Macher des Werkstattkinos seit damals, mit ihrem Programm immer wieder ihr Publikum zu verwirren: darin finden sich neben Politischem gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf auch Luis-Trenker-Filme, neben Filmklas
lassikern und unentdeckten Dokumentarfilmen auch Gewaltverherrlichendes und Pornographie. Sie provozierten Fraueninitiativen genauso wie Autonome und die Staatsmacht, die Anfang der achtziger Jahre in einer denkwürdigen Aktion versuchte, einen Teil des kinoeigenen Filmkopienarchivs zu beschlagnahmen. Am 3. April wurde das Münchener "Werkstattkino" 30 Jahre alt.Heute ist der 53-Plätze-Saal eine Institution. Die Idee für das Werkstattkino wurde in zahllosen Bierrunden in der Wirtschaft im Vorderhaus geboren, der Kinoraum mit eigenen Händen renoviert. Anfang der achtziger Jahre erlangte es im Rahmen der Punkbewegung, die in der bayerischen Hauptstadt "Freizeit ´81" hieß, Kultstatus. Punk bedeutete im Kunstbetrieb damals "anything goes", und so liegt es auf der Hand, dass dem Werkstattkino-Team an wissenschaftlichen Einführungen und Filmgesprächen wenig gelegen war. So bezeichnet Erich Wagner, einer der Kinogründer, den Versuch einer Publikumsdiskussion über einen Anti-Atomfilm 1979 in seinem Text auf der Webseite des Kinos (www.werkstattkino.de) als "die schwärzeste Stunde der Vereinsgeschichte. Ich trieb mich auf der Straße rum, versuchte potentielle Gäste vom Besuch dieses Trauerspiels abzuhalten und betrank mich anschließend."Die Programmgestaltung im Werkstattkino ist denkbar einfach. Im Vorführraum hängt, neben alten Filmplakaten, Presseausschnitten und Aushangfotos, auf denen auch schon mal deftige Nacktszenen zu sehen sind, ein Wandkalender, in dem die Kinomacher - zur Zeit drei Männer und eine Frau - ihre Programme eintragen. Dabei wird nichts diskutiert, und weder moralische noch marktstrategische Gesichtspunkte spielen eine Rolle. Eröffnet wurde am 3. April 1976 mit Filmen aus der "Fuzzy"-Serie, amerikanischen Westernparodien aus den vierziger Jahren zwischen Slapstick, unbekümmerter Unterhaltung und genialer Satire. Nur wenig später stand der serbische Filmemacher Z?elimir Z?ilnik auf dem Programm, enfant terrible des jugoslawischen Films, der 1969 mit seinem Spielfilm Frühe Werke ins ideologische Kreuzfeuer der kommunistischen Partei geriet und seine Heimat Anfang der siebziger Jahre gezwungenermaßen Richtung Deutschland verließ.Damit verdeutlichten die Werkstattkino-Macher, dass sie sich nicht an den linksorientierten Mainstream ihres Publikums gebunden fühlten. Mehr noch: ein paar Jahre später flimmerten hier die tabuisierten Bilder der Filmgeschichte über die Leinwand. In der Fraunhoferstrasse wurde dem Kinogänger unmissverständlich klargemacht, dass sich das Kino jenseits von politisch engagiertem Autorenfilm und poetischer Bildgestaltung mit Blut, Sex und Massaker beschäftigte. Die Grenzen wurden möglichst weit gezogen, vom Porno über ein Kannibalenfilmfestival, auf dem auch Teile verbotener Filme zu sehen waren, bis zu Filmen wie The New York Ripper des italienischen Splattergurus Lucio Fulci, der in verschiedenen Internetpublikationen mal als "Godfather of Gore", mal als "der Mann, der die Saat des Terrors in die Köpfe der Jugend pflanzt", bezeichnet wird.Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Fraueninitiativen, die von Anfang an mit dem Werkstattkino zusammenarbeiteten, kündigten die Kooperation auf, und die Staatsanwaltschaft durchsuchte das Filmarchiv nach gewaltverherrlichendem Material. Bernd Brämer, seit 16 Jahren Mitglied des Kinoteams, kann die damaligen Reaktionen aus der Frauenszene nachvollziehen, steht aber zu dem Konzept, "mit Kino einen Kunstraum (zu) schaffen, und die Leute, die sich darin bewegen, zu einem Teil davon werden zu lassen - dass Du anders rauskommst, wie Du reingegangen bist." Dass dabei auch Aggressionen hervorgerufen werden, ist mit einkalkuliert. Anne Seversons Stummfilm Near the big Chakra aus dem Jahre 1976 beispielsweise, der eine Viertelstunde lang weibliche Geschlechtsteile im Close-up zeigt, provozierte vor kurzem wieder aggressive Reaktionen im Publikum.Trotz der nach allen Seiten non-konformen Linie - zu gewalttätigen Angriffen auf das Werkstattkino kam es kaum, auch nicht Mitte der achtziger Jahre, als die Berliner Kinos Eiszeit und Sputnik in das Visier militanter Feministinnen gerieten, die mit Buttersäure- und Farbanschlägen von sich reden machten. Lediglich als 1993 Winfried Bonengels Beruf: Neonazi angesetzt war, musste die Crew im Vorführraum übernachten, um das Kino von Anschlägen aus der autonomen Szene zu verschonen. Die Zuschauer wurden an der Kasse durchsucht, und Brämer, der einige Schlagringe und Messer sicherstellte, wundert sich noch heute, "was so harmlose Leute alles dabeihatten."Ob Experimentalfilm oder pornographischer Trash - dem Werkstattkino kommt das Verdienst zu, einen Teil der Filmgeschichte zu erhalten, der im offiziellen Gedächtnis oft unterschlagen wird. Um die 1.000 Filmkopien sind hier archiviert, hauptsächlich umstrittenes Material wie die Arbeiten des Splatterfilmers Jörg Buttgereit, aber auch Dokumente wie Manfred Jelinskis Super-8-Portrait der Berliner Punkkonzerthalle S.O. 36. In der Fraunhoferstrasse prahlt man nicht damit, auch mal Abseitiges auf die Leinwand zu bringen. Damit ist man nicht nur über filmwissenschaftliche Zerredungskünste, sondern auch über billigen Fetischismus erhaben. Die Emotionen, die in dem kleinen Kellerkino erzeugt werden, sind echt, und sie erinnern daran, dass das Kino nicht als "siebte Kunst" geschaffen wurde, sondern als Jahrmarktattraktion mit allen bis in die Gegenwart tradierten Untiefen.
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