Der Wallberg über dem badischen Pforzheim darf nicht länger die Geschichte der Stadt erzählen, wie er es elf Jahre lang getan hat. Irgendwann in den nächsten Wochen werden Bauarbeiter kommen und die Gedenktafel herunterholen, die das Bombardement vom 23. Februar 1945 schildert. Eine neue Plakette verschweigt die Hintergründe des Angriffs.
Der Angriff dauerte 19 Minuten. Als die Lancaster-Bomber der Royal Air Force (R.A.F.) um 20.11 Uhr abdrehten, hatten sie 18.000 Menschen getötet. Pforzheim brannte aus. Es war für seine Goldschmieden und Schmuckwerkstätten bekannt - doch in den Fabriken fügten die Arbeiter während des Krieges keine bunten Steine in Fassungen. Dort wurden Zünder für Flakgranaten sowie für Raketen vom Typ V 1 u
Typ V 1 und V 2 zusammengeschraubt, mit denen die Deutschen Großbritannien bombardierten.Oberbürgermeister Joachim Becker (SPD) glaubt, seine Stadt sei nie wichtig genug für einen Angriff gewesen. »An jenem Tag lagen Wolken über dem Primärziel Ruhrgebiet, also flog der britische Kommandant Arthur Harris Richtung Süden«, sagt er. Ein Terrorangriff also, weil die Alliierten nichts von den Rüstungswerken Pforzheims gewusst hätten.Heute, 55 Jahre später, sind die Narben in der Innenstadt mit Beton gefüllt. Die Pforzheimer Friedensinitiative hatte sich 1989 mit dem Gemeinderat auf einen Gedenktext für den Wallberg geeinigt. Man zählte Daten und Fakten auf und schloss: »Der totale Krieg - vom nationalsozialistischen Deutschland entfacht - richtete sich nun gegen unsere Stadt. Absicht der Alliierten war es, die Bevölkerung kriegsmüde zu machen und wichtige Zweige der Rüstungsindustrie auszuschalten.« Der Berg war in den fünfziger Jahren mit den Trümmern der Stadt aufgeschüttet worden. Ein Landschaftsarchitekt hatte vorgeschlagen, eine ebene Betonplatte auf seine Spitze zu legen. Die kantige Silhouette sollte als Mahnmal zu erkennen sein. Büsche und Bäume haben heute die Kontur überwuchert, zugewachsen ist auch die Erinnerung der Bürger an die Kriegszeit. Die badischen Stadtpolitiker schätzen den Brauch der Kehrwoche und wenden ihn nicht nur auf Gehsteige an. Sie versuchen, ihre Lokalgeschichte zu putzen.Oberbürgermeister Becker stieß Ende der achtziger Jahre auf ein Buchprojekt der deutsch-amerikanischen Historikerin Ursula Moessner-Heckner über den Pforzheimer Bombenangriff. Ihre Untersuchung erschien 1991 und trägt den Namen »Code Yellowfin«. Zum großen Teil wurde das Buch im Pforzheimer Archiv lektoriert, die Stadt subventionierte die Druckkosten. Moessner-Heckner kommt zu dem Schluss, es habe keine zwingenden militärischen Gründe für das Bombardement gegeben.Das Buch kam dem OB gerade recht. Für seinen Populismus ist Joachim Becker - seit über 15 Jahren Rathauschef am Nordrand des Schwarzwaldes - bekannt. Nicht nur in seiner eigenen Partei versuchte sich der egozentrische Sozialdemokrat immer wieder als selbst ernannter »Querdenker«. Und natürlich weiß Becker, wie leicht Wunden in der Stadt aufbrechen können, der die Folgen des Angriffs noch immer deutlich ins Beton-Gesicht geschrieben sind.1990 zitierte der OB auf einem Symposium in Dresden aus dem Buch von Moessner-Heckner. Mit Herbert Wagner (CDU), dem Oberbürgermeister der sächsischen Landeshauptstadt, war Becker sich einig in der Empörung über ein Ehrenmal, das Veteranen in London zu Ehren des R.A.F.-Befehlshabers Arthur Harris aufstellten. Schließlich sei der Weltkrieg fast zu Ende gewesen, der Bomber-Kommandant habe in Pforzheim und Dresden lediglich Zivilisten ausradiert. Aus München applaudierte die National Zeitung des DVU-Chefs Gerhard Frey. Alle deutschen Politiker seien »Weicheier«, nur Becker habe sich ermannt, donnerte das Blatt.Auf die Untersuchung der Geschichtsforscherin gestützt formierten sich alsbald wütend die Gegner der Gedenktafel. Die Pforzheimer schossen in der Lokalpresse Briefe aufeinander ab und warfen sich Erinnerungsfetzen an die Köpfe. »Was an jenem 23. Februar geschah, war schlicht und einfach Mord«, empörte sich ein Leser der Pforzheimer Zeitung. Ein anderer schrieb: »Die Sühne-Deutschen sind das Übel all dessen, was uns als deutschem Bürger heute noch zugemutet wird.« Eine Leserin befand: »Die Erinnerungstafel auf dem Wallberg war schon beim Guss Makulatur.«Sie wollten das Wort »Rüstungsindustrie« aus dem Text der Gedenktafel verschwinden lassen. Der Gemeinderat setzte seinen Kulturausschuss darauf an, man diskutierte und beschloss am 15. April vergangenen Jahres, den letzten Satz zu amputieren. »Der totale Krieg - vom nationalsozialistischen Deutschland entfacht - richtete sich nun auch gegen unsere Stadt.« Die Mehrheit fand, damit sei die Rolle Pforzheims genügend berücksichtigt. »Ob Pforzheim ein Rüstungsstandort war, da streiten sich die Gelehrten. Kriegswichtig war er sicher nie«, sagt Florentin Goldmann, stellvertretender Fraktionssprecher der CDU. Seine Kollegin von der SPD, Dorothea Luppold, nimmt sich in Schutz: »Ich gehöre zur Nachkriegsgeneration, kann also nichts Genaues wissen.« Vorsichtshalber stimmte sie mit ihren Parteikollegen der gekürzten Fassung zu, ebenso wie die Gemeinderäte der Grünen Liste.Zwei Mitglieder der Friedensinitiative, Gerhard Brändle und Uwe Behner, protestierten. Behner dokumentierte auf zweieinhalb Pfund Papier, was er in den Archiven fand: Obwohl schon 250 französische Kriegsgefangene in der Stadt schufteten, war der Hunger nach Arbeitskräften im August 1940 unstillbar groß. Am 27. Juli 1942 gründeten örtliche Unternehmer die »Pforzheimer Barackengemeinschaft«. Der Verein sollte den Bau der Unterkünfte organisieren. Im benachbarten Brotzingen entstand das »Russenlager«, Ende 1942 waren dort 206 Frauen und 46 Männer interniert. Im »Eutinger Tal« richtete man das »Italienerlager« ein. Im Mai 1944 malochen in 101 Betrieben 18.622 Arbeitskräfte für den Endsieg. Die 66-Stunden-Woche ist zur Norm erklärt.Hobby-Historiker Behner fand auch einen Brief, den die Gestapo am 17. Dezember 1943 an den Direktor des städtischen E-Werkes schickte. Sie teilte mit, das Reichsluftfahrtministerium wisse zuverlässig, dass die Alliierten »Vernichtungsangriffe auf Pforzheim« beabsichtigten. Die Stadtverwaltung legte in 20 Umlandgemeinden Lebensmittellager an, bunkerte an 31 Orten Fertigkleidung, Stoffe, Schuhe und Haushaltswaren. Luftschutzstollen wurden gegraben.Udo Behner erhielt auf seine Veröffentlichungen aus dem Rathaus nur eine Reaktion. Joachim Becker schrieb: »Sie sind ein unzivilisierter Mensch.« Behner lacht. »Ich habe nur dokumentiert, jeder der will, kann es nachlesen.« Auch sein Kollege Gerhard Brändle lässt sich nicht entmutigen. »Manche meinen, sie könnten durch eine Abstimmung Tatsachen verändern. Die wollen doch nur mit einer weißen Weste in die Kiste hüpfen.« Brändle wird weiter bohren. Auf das Drängen der Friedensinitiative schloss sich die »Metallschlauchfabrik Witzenmann« unlängst dem Zwangsarbeiterfonds an.Die Stadt Pforzheim war auch Mitglied der »Barackengemeinschaft«. »Nein, wir haben nie daran gedacht, Entschädigungen zu zahlen, wir folgen dem Rat des Deutschen Städtetages, der Zurückhaltung empfohlen hat«, sagt Oberbürgermeister Becker.
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