Wer als Redakteur bei der Deutschen Volkszeitung - so in den siebziger Jahren - montags abends zum Umbruch in die Druckerei musste, hatte vorher einen Kampf zu bestehen: Er musste bettelnd und drohend Hans Brender irgendwie das Manuskript aus der Schreibmaschine holen. Termine waren sein Ding nicht. Und wenn man endlich das beschriebene Papier - die sechste oder siebte Fassung sicherlich - in der Hand hatte, holte Hans tief Luft und sagte sinngemäß: Jetzt bin ich soweit, dass ich anfangen könnte zu schreiben.
Handwerklich war das ein Hang zum Perfektionismus. Inhaltlich war es viel mehr: Wenn man einen Sachverhalt erklärt, beleuchtet und interpretiert hat, ist das nicht das Ende des Nachdenkens, sondern der Anfang. Nichts ist endgültig, einzig sicher ist der Wandel.
her ist der Wandel. So hat Hans Brender gedacht und gearbeitet. Deshalb auch war er offen, neugierig und aufgeschlossen. Hans Brender ist tot. Er wurde 88 Jahre alt.Am ehesten in Erinnerung ist seine Arbeit als Journalist, linker engagierter Journalist. Eigentlich war er Arzt, hatte das ordentlich studiert und zwischenzeitlich immer wieder auch als Arzt gearbeitet, um die Approbation nicht zu verlieren. Das dürfte ihm persönlich nicht zuletzt deshalb wichtig gewesen sein, weil ihm als "Halbjuden" 1939 Promotion und Approbation verweigert wurden. Promoviert hatte er erst 1952. Er war aber auch Politiker, parteipolitisch und in der außerparlamentarischen Opposition. Zusammengenommen war er ein Aufklärer in der Überzeugung, dass die Welt es wert ist, verändert zu werden.In der APO, als es den Begriff noch gar nicht gabFür jene, die das Ende der Geschichte für gekommen halten und sich nur noch in wachsender Beschleunigung um sich selber drehen, sind das keine Nachrichten. Die Vergesslichkeit der vereinten Nation hat Lücken geschlagen. Im Bundestagswahlkampf 1953 gab es ein Wahlbündnis von zwei - wie es damals hieß - neutralistischen Parteien: BdD (Bund der Deutschen) und GVP (Gesamtdeutsche Volkspartei), die gegen die Westintegration der Bundesrepublik antraten, um der deutschen Einheit Willen. Auf der Seite des BdD standen unter anderem Joseph Wirth, Wilhelm Elfes, Josef Weber und Jüngere wie Hans Brender und Helmut Bausch. Von ihnen ist in den Geschichtsbüchern niemand zu finden - außer Wirth, der in der Weimarer Republik einmal Reichskanzler war. Bei der GVP stand ein Politiker an der Spitze, der gerade aus der CDU-Bundesregierung und der CDU ausgeschieden war, Gustav Heinemann. Mit von der Partie waren auch damals Junge, Erhard Eppler, Diether Posser und Johannes Rau.Das Wahlergebnis war mit 1,2 Prozent katastrophal. Die Einen suchten ihr Heil und Unterschlupf bei der SPD - erfolgreich, wie die Geschichte zeigt. Die anderen machten weiter und übten sich in außerparlamentarischer Opposition, lange bevor der Begriff aufkam. Darunter Hans Brender.Ob das geschichtlich erfolglos war, wird sich erst noch zeigen müssen. Nötig war es. Die alte Bundesrepublik war beileibe kein Hort ziviler Offenheit, in der Konflikte im Rahmen demokratischer Streitkultur gelöst wurden. Wieso sonst hätte Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung davon reden müssen: "Wir wollen mehr Demokratie wagen."Zur Erinnerung oder zum Neulernen einige Stichpunkte: 1958 der Appell von 44 Professoren, die Wissenschaftler im Kampf gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr nicht allein zu lassen, 1965 eine Erklärung von 215 Hochschullehrern gegen die Notstandsgesetzgebung. Ziel war, ein öffentliches Problembewusstsein zu schaffen. Sehr viel später kam dann der Krefelder Appell gegen die Nachrüstung. Einige Beispiele außerparlamentarischer Initiativen, bei denen Hans Brender involviert war, organisatorisch und beim Abfassen von Texten. Es waren immer konkrete Anlässe, es war darüber hinaus aber immer auch ein Anspruch auf demokratische Selbsttätigkeit der Menschen, den Hans Brender postulierte. Dass er mit dem Krefelder Appell gleichzeitig auch noch seiner Heimatstadt ein Denkmal setzte, zeigt seinen ganz praktischen Sinn für schelmenhafte Aktionen.Dafür gibt es zahllose Beispiele. Als er zu seinem 75. Geburtstag in der Krefelder Burg Linn ein avantgardistisches Schlagzeugkonzert aufführen ließ, versetzte er seine Freunde und Bekannten erst einmal in Skepsis, und hinterließ sie überzeugt, dass er auf kulturellem Bereich eben besser Bescheid weiß. Das machte er frappierend auch einmal auf einer Redaktionssitzung klar, als es darum ging, wie denn nun der lange Vorhang zu bewerten sei, den Christo durch die kalifornische Wüste gezogen hatte. Hans zitierte Goethe, der irgendwo sinngemäß geschrieben hatte, dass die Schönheit einer Landschaft besser zu erfassen sei, wenn man sie durch einen Vorhang sieht. Ich weiß bis heute nicht, ob das wirklich ein Goethe-Zitat ist oder ob Hans das Banausentum einfach erschlagen wollte. Der Erfolg jedenfalls stellte sich unmittelbar ein.Kunst als Wegweiser politischer KulturPolitische Aktivitäten und Kunst - bei Hans Brender passte das nahtlos zusammen. In einem Band mit Aufsätzen von ihm (Der Mensch, der will fliegen, 1987) schreiben Frank Benseler und Karl-Heinz Braun in der Einleitung: "Er hat niemals nachgelassen, Kunst als Wegweiser und Entschlüsseler für die politische Kultur in Anspruch zu nehmen. Diese Orientierungen haben ihn zu einem politischen Realisten gemacht, zu jemandem, der aus eigener Lebensgeschichte Zeuge für die Jüngeren geworden ist."Was hier eher analytisch beschrieben ist - Zeuge zu sein -, habe ich erlebt, als ich 1973 von der Uni in die Redaktion der DVZ kam. Die Frankfurter Schule im Kopf und die Arbeiten von Abendroth und Hofmann, traf ich auf jemanden, der neben seinem Medizinstudium in Frankfurt dort auch bei den Größen der Frankfurter Schule studiert, nebenbei mit Wolfgang Abendroth - beide blieben zeitlebens enge Freunde - in der Roten Studentengruppe Frankfurt gearbeitet hatte und mit Werner Hofmann befreundet gewesen war.Hans Brender kannte nicht nur Gott und die Welt auf der Linken, war nicht nur ungeheuer gebildet und konnte das vermitteln und weitergeben. Er war lernbegierig und für skurrile Anekdoten gut.Was Ersteres angeht, wollte er von mir wissen, was ich denn an Rock-Musik so liebe. Ergebnis: Er kam von Krefeld zu uns nach Neuss und wir machten ein Einführungsseminar. Unter anderem hörten wir Cream (Wheels of Fire - sehr gut, sehr laut). Hans saß auf der Couch im Wohnzimmer, hatte die Arme ausgebreitet, blickte an die Decke, wiegte etwas den Kopf und fand das "sehr interessant, seeeeehr interessant". Wir haben dann diskutiert, Wein getrunken - wir hatten extra einen anständigen besorgt, musste sein. Und irgendwann zog Hans ein völlig zerknüllte Schachtel Roth Händle aus seiner Jackentasche, nahm eine Zigarette 'raus - die entsprechend lädiert war - und rauchte sie soweit, dass er sie mit den Fingern kaum mehr aus dem Mund bekam. Rauchen als ganz besonderer Genuss. Mit einer Schachtel kam er Monate hin.Das führt dann schon zu den zahllosen Anekdoten um diesen kleinen Mann mit den zerbeulten Cordhosen, der meistens ungekämmt aussah. Seine Sekretärin Maria Sorkalla hat sich einmal bemüßigt gesehen, ihm deshalb einen Kamm zu schenken. Er nahm ihn dankend an und steckte ihn weg. Sichtbar benutzt hat er ihn wohl nie.Eine der schönsten Geschichten um Hans Brender: Um in Hamburg zu irgendeinem Thema zu referieren, fuhren er und sein politischer und persönlicher Freund Helmut Bausch von Düsseldorf aus früh morgens nach Hamburg. Nach volltaner Agitationsarbeit fuhren beide heftig diskutierend wieder an den Rhein. Hans hat bei Helmut übernachtet und am nächsten Morgen, als er nach Krefeld fahren wollte, festgestellt, dass offenbar sein Auto gestohlen worden war. Nach einigem Hin und Her wurde den Beiden klar, dass dem nicht so war. Sie waren mit zwei Autos nach Hamburg gefahren und mit einem zurück.Dann gibt es da noch die Geschichte von dem Ochsenschwanz, den Hans gekauft hatte, um ihn zu kochen, aber irgendwo hatte liegen lassen. Der gelangte dann per Straßenbahn auf verwegene Weise von Düsseldorf nach Krefeld. Aber das soll Hans Brenders Lebensgefährtin Emmi Kuhlmey erzählen. Die kennt das besser...Aber vielleicht hört auch niemand mehr hin, wenn die bundesdeutsche Linke ihre Geschichte erzählt. Für Hans Brender wäre das schade. Er hat eine Geschichte, und zwar eine reiche.Bernd Mansel war von 1973-1983 Redakteur der Deutschen Volkszeitung, in den neunziger Jahren Chefredakteur des Freitag und arbeitet heute als freier Autor in Berlin.
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