Besonders tierlieb

Humanitäts-Dilettanten, Utopisten und die Mühen um Demokratie In Prag fand vom 8. bis 16. April das »One World Filmfestival« für Menschenrechte statt

Er tanzt. Der weißrussische Präsident Alexander Lukashenko dreht sich zur Volksmusik mit einer Frau in traditionellem Kleid rhythmisch im Kreis. Und er lächelt dabei. Seine Untergebenen haben nicht so viel zu lächeln und seine Gegner schon gar nicht. Der Regisseur Victor Dashuk stellt sie in seinem Film The reporting from a rabbit hutch vor - so fern sie noch am Leben sind: Politiker, Journalisten, Menschen von der Straße. Wo auch immer sich in Weißrussland ein oppositionelles Pflänzchen zeigt, ein Widerspruch zum Regierungskurs ertönt, werden die Protagonisten bedroht und verprügelt. Der Journalist Pavel Sheremet glaubt, dass Lukashenko krank sei. »Er hat sich persönlich angesehen, wie 1995 Leute in einer Nacht im Parlament zusammen geschlagen wurden. Und er hat ebenso Hinrichtungen im Gefängnis besucht. Wer so nach Gewalt lechzt, muss krank sein.« Der Film aus Weißrussland ist nur einer von 165 Filmen, die beim One World Filmfestival in Prag gezeigt wurden. Aber er macht deutlich, welchen Stellenwert Menschenrechte in vielen Ländern der Welt haben: Demokratie und Meinungsfreiheit sind alles andere als die Regel.

»Wir existieren, um Machtmissbrauch anzuprangern, Menschenwürde zu verteidigen, zur Solidarität zu inspirieren und das gegenseitige Verständnis zu verbessern«, so heißt es in der Festivalschrift. Das One World Filmfestival fand erst zum fünften Mal statt, aber es hat sich schnell zu einem der wichtigsten Kulturereignisse der Stadt entwickelt. Die Ursprünge des Festivals liegen eigentlich im Jahr 1991. Damals, als der Balkankrieg gerade begonnen hatte, flüchtete der heutige Festivalleiter Igor Blazevic´ aus seiner Heimatstadt Sarajevo nach Prag. In den Folgejahren pendelte Blazevic´ zwischen den beiden Städten hin und her, brachte Hilfsgüter ins belagerte Sarajevo hinein und Informationen heraus. »In Bosnien habe ich gelernt, was Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und die Ermordung von Menschen bedeuten. Deshalb versuche ich, anderen zu helfen. Denn Menschenrechtsverletzungen gibt es fast überall.« Inspiriert vom Amnesty International Filmfestival in Amsterdam baute Igor Blasevic´ mit der gemeinnützigen Organisation People in Need Foundation sein Pendant in Prag auf. Unter anderem mit der Hilfe des ehemaligen tschechischen Präsidenten Va´clav Havel, der die Schirmherrschaft des Festivals inne hat. In diesem Jahr präsentierte er 165 Dokumentarfilme, die von rund 25.000 Besuchern gesehen wurden.

Besonders fielen in Prag die ungewöhnlichen Filme aus dem Nahen Osten auf, bei denen es um die menschlichen Schicksale des ewigen Konflikts geht, beziehungsweise um Menschen, die gegen alle widrigen Umstände versuchen, die Positionen der anderen Seite verständlich zu machen. Die Regisseurin Yifat Kedar zum Beispiel porträtiert in Between the lines die Journalistin Amira Hass, die als einzige Jüdin in der Palästinenser-Stadt Ramallah lebt, und von dort berichtet. Für sie ist die dauerhafte Abriegelung der Palästinensergebiete die größte Gefahr überhaupt. Denn allmählich »wächst dort eine Generation heran, die Israel gar nicht mehr kennt, sondern nur jüdische Siedler und Soldaten sieht. Und die wollen sie einfach nur loswerden.«

Wobei das Gegenteil geschieht. Ruth Walk hält in The Settlers fest, wie 1984 sieben jüdische Familien nach Hebron ziehen und seither ein absurdes Dasein unter 120.000 Palästinensern führen: Ständig werden Leute kontrolliert, Straßensperren errichtet und das allgemeine Leben der Palästinenser lahmgelegt, wenn es die Sicherheit der Siedler erfordert.

Ebenso schwierig zeigt sich die Demokratisierung des Iran: 1999 wurde Azar Zeinali als eine von 784 Frauen in die regionalen und städtischen Räte gewählt. Der Filmemacher Mohammad Reza Moghaddasian beschreibt in Conversation in the mist, wie sie ihrer politischen Arbeit nachgehen will, aber schon daran scheitert, dass sich der Dorfälteste weigert, mit einer Frau an einem Tisch zu sitzen.

Ein Demokratisierungsprozess in Miniaturschritten vollzieht sich auch in China. Immerhin gibt es dort jetzt Ansätze für die Aufarbeitung der Kulturrevolution: In Daughter from Yan´an schildert Kaoru Ikeya wie in den sechziger Jahren Hunderttausende jubelnd über den Platz des Himmlischen Friedens ziehen, in ihren ausgestreckten Händen die Mao-Fibel. Doch der Jubel verhallte bald, als rund 16 Millionen Studenten zur Umerziehung in die Provinz beordert werden. Diejenigen, die sich dem Programm verweigern, werden als Konterrevolutionäre bestraft. Die anderen erleben zehn Jahre Landarbeit auf staubig, steiniger Erde. Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind den Studenten verboten, sich zu verlieben, gilt als schlechtes Überbleibsel kapitalistischer und feudalistischer Strukturen. Ein Akt, der bestraft wird: entdeckte Schwangerschaften müssen abgebrochen werden, Geburten werden mit Arbeitslager bestraft. Erst 27 Jahre später lernt so die Bäuerin Haixa ihren biologischen Vater kennen.

Doch für die Indoktrination der Menschen braucht man weder in die Ferne zu schauen noch in die Vergangenheit. Manchmal genügt ein Blick in die Nachbarschaft: In Citizen Krone porträtiert die belgische Regisseurin Nathalie Borgers die Kronenzeitung, die mit drei Millionen Exemplaren größte und einflussreichste Tageszeitung Österreichs. Sie schildert die Erfolgsgeschichte des Blatts und zeigt die Zutaten, die das Papier und die Druckerschwärze zum Kochen bringen: Populismus und Patriotismus, der Ruf nach Gesetz und Ordnung, das Schüren von Ängsten gegenüber Flüchtlingen und vor allem viel Tierliebe. Die Manipulation der Massen - grundsätzlich ein wichtiger Aspekt, wenn es um Menschenrechte geht - nimmt bei der Kronenzeitung bizarre Formen an, als einem nigerianischen Asylsuchenden bei der Abschiebung der Mund verklebt wird und er später daran erstickt. In der Debatte über solche Methoden schreibt die Kronenzeitung: »Polizei, das bedeutet Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Dieser Aufgabe sind die begleitenden Sicherheitsbeamten gerecht geworden.« Des weiteren bezeichnet die Zeitung diejenigen, die solche Maßnahmen für menschenrechtswidrig halten, als Humanitätsdilettanten.

Weder die Filme noch das One World Filmfestival werden die Welt wesentlich verändern. Aber wie Juror und Regisseur Christian Frey (War Photographer) meint: »Ich weiß, dass diese Filme die Basisarbeit jeder Kommunikation und damit auch jeden Diskurses über Menschenrechte leisten. Und natürlich hoffe ich, dass sie auch über Festivals hinaus ein möglichst breites Publikum finden. Es gab übrigens auch Lichtblicke: Der Film The damned and the sacred (Jos des Putter) zeigt eine tschetschenische Kindertanzgruppe, die auf einer Reise nach Europa erstmals erfährt, wie ein Leben ohne Krieg sein kann.

Eine Auswahl des Programms wird in Kürze im Berliner Arsenal-Kino gezeigt bzw. auf dem Filmfest für Menschenrechte in Nürnberg im September zu sehen sein.

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