Arbeit, Wort und Tod

IM KINO Abbas Kiarostamis "Der Wind wird uns tragen"

Ein Range Rover fährt langsam durch ein weites Tal. Bewegte er sich nicht geradeaus vorwärts, sondern wiegte sich, könnte er auch einer der Sträucher oder geduckten Bäume sein, die vereinzelt in dieser Steppenlandschaft stehen. Wie die Mimikry passt er sich in Form und Farbe seiner Umgebung an, in der noch die braunen und olivgrünen Töne so leuchten, als wäre die Sonne immer nur am auf- und untergehen: Das Idyll zeigt der iranische Regisseur Abbas Kiarostami zu Beginn seines Films Der Wind wird uns tragen als etwas ganz Physisches; einen Ort, an dem alles seinen Platz hat. Die Töne dieser Sequenz aber sprechen ganz anders; von irgendwoher ist ein Disput mehrerer Stimmen zu hören, die sich um die richtige Route streiten, und ein moderates Motorengeräusch. Obwohl dem Range Rover zuzuordnen, bewegen sich die Worte in einem ganz eigenen, unbestimmten Raum, denn ihre Sprecher geben ihnen keine Physis, sie sind nicht sichtbar. Dann taucht an einer Weggabelung ein kleiner Junge auf, der, von den Stimmen nach dem Weg gefragt, sich als deren Begleiter zu erkennen gibt und einsteigt. Das Auto schiebt sich bis zum Fuß eines steilen Hanges den Berg hinauf, auf dem ein Dorf sitzt. Die Stimmen diskutieren innen, die Kamera fährt dem Auto hinterher, zu sehen ist niemand.

Dann endlich, nach Minuten, steigen der Junge, Farzad und ein Mann, Herr Behzad aus. Der ruft den Stimmen zu, während er mit dem Jungen den Berg hinaufsteigt. Den ganzen Film über werden diese Stimmen körperlos bleiben wie die Gespenster am anderen Ende der Leitung. Nie sieht man die zu den Stimmen gehörenden Kollegen Behzads, der der leitende Ingenieur für die Telefonverkabelung des Dorfes sein soll, der Mann fürs Hörbare; der aber an dem Ort, auf dem Berg oberhalb des Dorfes, an dem der Graben für die Telefonleitungen von einem anderen Mann gegraben wird, den man nie sieht, immer nur selbst telefoniert; mit einem geliehenen Mobiltelefon, das er immer wieder zum Berg hinauffährt, um seiner Auftraggeberin, die immer ihn anruft, störungsfrei nichts Neues mitteilen zu können: Die Frau, nach der sie fragt, sei noch nicht gestorben, sagt der Mann. Nur der allererste Anruf, den er noch im Dorf zu empfangen versucht, ist privat; er ruft ihn zur Beerdigung eines Verwandten. Doch da fährt er nicht hin, weil er arbeiten muss - und seine Arbeit besteht darin, das Trauerritual zur Beerdigung jener Frau zu filmen, die man nie sieht, weil sie nicht stirbt. Von ihr hört er nur durch seinen Boten, Farzad, dass sie nicht stirbt, während er immer wieder auf das beleuchtete, aber verhangene Fenster ihres Hauses im Dorf starrt. Und so wartet er in dem Dorf auf den Tod einer Fremden, um etwas Spezifisches zu erfahren. Das erzählt ihm bei einer gemeinsamen Autofahrt der Lehrer des Dorfes: Die trauernden Frauen zerschneiden sich bei besagtem Ritual das Gesicht; sie werden unansehnlich. Das soll er mit seinem Team filmen. Doch von allem, was er wissen will, hört er nur; er sieht nichts von dem, was er sehen will und muss. Zu sehen ist ein Mann, der nicht sehen kann, was er hört. Er ist der Mann fürs Sichtbare.

Als die Frau zum Schluss endlich stirbt und der Trauerzug sich vor ihrem Haus formiert, hebt er zaghaft seinen Fotoapparat; er fotografiert an dem Ort, an dem er zuvor immer auf das Haus der Frau geschaut hat. Nach ein, zwei Aufnahmen bricht er ab. Die Kollegen sind mit der Kamera längst abgereist. Das Sichtbare ist leer, es bedeutet nichts, weil es nichts sagt; das sagen die immer gleichen Ansichten, die seine Blicke sind.

Die von Peter Handke und der französischen Kritik Anfang der 90er Jahre in Bezug auf Kiarostamis Filmtrilogie Wo ist das Hausmeines Freundes (1987), Und das Leben gehtweiter (1992) und Quer durch den Olivenhain (1994) gefeierte poetische Kraft seines Kinos speist sich aus dem kontrapunktischen Verhältnis von Bild und Ton; nie beglaubigt das Sprechen die Bilder; vielmehr gewinnen diese ihre Kraft, weil sie besprochen werden. Benennen, damit etwas sichtbar werden kann - das ist die Arbeit des Lebens. Hier, wie in Kiarostamis letztem Film Der Geschmack der Kirsche von 1996, in dem ein lebensmüder Mann jemanden sucht, der ihn bezahlterweise begräbt und einen findet, der ihm vom Geschmack der Kirsche erzählt, ist es das gesprochene Wort, das die Welt bedeutet. So hat alles nur seinen Platz, weil es bezeichnet ist, und das wird bei Kiarostami sichtbar. Der Wind wird uns tragen, sagen die Worte.

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