Krieg heißt Krieg, weil er immer das ist, was die anderen anzetteln, sagen die Begriffe. Wir sprechen vom "Golfkrieg", der aber nicht nur am Golf, sondern genauso im Irak und in Bagdad stattfand. So wie die Rede vom "Kosovokrieg" die Nato-Angriffe auf das heutige Jugoslawien und Belgrad verschleiert. Krieg ist die Reaktion auf einen Aggressor, und der Aggressor ist immer der andere. Was der Sprache die Definitionsmacht, ist den Bildern ihre eindeutige Identifizierbarkeit. Deshalb braucht man Bilder des Krieges der anderen, um das eigene Agieren zu relativieren. Symbolische Bilder des Krieges der anderen gegen "uns" sind die zerstörten Botschaften und Konsulate. In Bagdad wie in Belgrad war es der "Mob" der Straße, der die friedlichen Einrichtungen der Diplomatie zerstörte. Ruinen sind beliebig, Botschaften aber identifizierbar.
Interessanterweise benutzen nun die "anderen", die "Aggressoren", genau diese für den westlichen Blick derart kodifizierten Bilder serbischer Gewalt, die Bilder der zerstörten amerikanischen, französischen und deutschen Botschaften in Belgrad: Sowohl der Spielfilm Nebeskaudica/Skyhook des serbischen Schauspielers und Regisseurs Ljubisa Samardzic, Wettbewerbsbeitrag auf der Berlinale, wie auch die im Internationalen Forum des Jungen Films gelaufene Dokumentation The Punishment des in Wien lebenden Serben Goran Rebic zeigen sie als "Beweismaterial".
Ein einziges Mal, ganz zum Schluss, verlässt Skyhook seinen einzigen Schauplatz, einen Straßenzug um eine zerstörte Fabrik oder Lagerhalle in Belgrad, wo alle Protagonisten während des Bombardements der Nato im April 1999 leben. Drei Freunde des soeben durch eine Natobombe umgekommenen Kaja fahren mit dem Fahrrad durch das zerstörte Belgrad, um seiner Frau die Todesnachricht zu bringen. Die Kamera fährt mit ihnen an Ruinen vorbei, und tatsächlich sind es genau die gleichen Bilder der zerstörten Konsulate, die Goran Rebic in ThePunishment zeigt, unterlegt mit einem elegischen Bandoneon, zwischen Interviews mit Belgrader Künstlern und Intellektuellen.
Beide Filme bedienen sich damit scheinbar unbeabsichtigt der Bildrhetorik der Nachrichtensendungen im Fernsehen, die auf der Objektivität und Authentizität des Kameraauges beharren. Alltäglich penetriert von dieser Rhetorik, will man ihr im Falle der beiden Filme umso mehr glauben, weil man noch im Spielfilm endlich authentisches Material erwartet. Schon auf der Ebene der Bildkonstruktion also gehören diese Filme zu der Welt, von der sie seit 10 Jahren und 4 Kriegen abgeschnitten sind. Um dieses Drama geht es in den beiden Filmen; einmal als Farce und einmal als Tragödie; und noch der Kommentar des Staatsministers für Kultur Michael Naumann zu Skyhook, er kenne solche Filme aus seiner Jugend in der DDR, zeugt davon.
Parabelartig verdichtet, wird in Skyhook die Geschichte des ehemaligen Basketballnationalspielers Kaja, seiner Ex-Frau, Freunde und Nachbarn aus der Sicht seines fünfjährigen Sohnes Jovan erzählt, der den Film mit seiner Stimme aus dem Off ein- und wieder ausleitet. Jovan spricht nur diese beiden Male zu Beginn und zum Schluss des Films, da er sich ansonsten entschlossen hat, angesichts der Situation zu schweigen. Die Koordinaten haben sich umgedreht: Während der kleine Jovan ernst, zurückhaltend und sein Spiel Arbeit ist, sind die erwachsenen Männer um Kaja ungestüm ziellos; Berufsjugendliche hat der Krieg aus ihnen gemacht. Die vergangenen 10 Jahre, in denen sie erwachsen geworden sind, war Krieg in ihrem Land, sie haben in der Armee gedient oder sind geflohen und jetzt tun sie so, als hätten sie damit nichts mehr zu tun. Wie eine in die Jahre gekommene peergroup reißen sie ununterbrochen Jungswitze und trinken dazu reichlich Pils. Ihr rasender Stillstand hat ein Zentrum: eine zerstörte Fabrikhalle, in der sie mühevoll - viel Staub, viel Bier - ihr Basketballfeld samt -korb wieder aufbauen. Was Kaja heimlich als Therapie für seinen sprachlosen Sohn plant, der später immerhin einmal die Trikotnummer seines Vaters aussprechen wird, gerät mehr und mehr zur Therapie für die Anwohner, die im Spiel einen Mittelpunkt finden, der bewegt ist: Der Film inszeniert diesen Mittelpunkt in einer horizontalen und vertikalen Achse. Horizontal ist der Ort, den alle sehen können, weil er am meisten zerstört ist, ein leeres Zentrum, das eine Ordnung erhält. Die Ordnung des Spiels, das in der Vertikalen den Kampf aufnimmt. Ausgerechnet der "Sky hook", der Hakenwurf, ist die Spezialität des Aufbauspielers Kaja, ein Wurf, der eine sehr hohe, elliptische Flugbahn beschreibt und, unerreichbar für den Gegner, präzise das Ziel trifft; etwa so könnte man auch die Funktionsweise und Wirkung der Raketen beschreiben, die die Stadt treffen. Und genau so wird der "Sky hook" immer wieder gezeigt.
In Rebics The Punishment sagt einer der Interviewten, ein Schüler, mit absoluter Bestimmtheit, dass sie noch viele Kriege erleben und im Kampf mit dem internationalen Kapital immer nur verlieren werden; daher bleibe ihnen nichts, außer sich moralisch zu erheben. Mit Basketball gegen Bomben: Im Bildaufbau, nicht in den Dialogen, steckt das von dem Schüler beschriebene ideologische Moment des serbischen Films, das seinen Höhepunkt in der Traumsequenz Kajas vor seinem Bombentod findet: er steht im blütenweißen, weichgezeichneten, jugoslawischen Nationaltrikot mit seinen Mitspielern im Halbkreis um den Ball; eine Mannschaftsbeschwörung. Gleich darauf ist er tot. Neben dieser nationalistischen Beschwörung des symbolischen Kampfes erkennt man in diesen Traumfiguren aber auch drei der berühmtesten zeitgenössischen Basketballer Jugoslawiens, die im europäischen Ausland spielen, von denen vor allem noch Sasa Obradovic, der einst bei Alba Berlin spielte, bekannt sein dürfte. Dieser Einbruch des Dokumentarischen ist ikonische Ideologie, zeigt aber auch noch etwas ganz anderes. Die, die aus diesem Land weggegangen sind, wurden die Stars. Für die Verbliebenen heißt das: Der Wille westlich zu sein, ist keine Stilfrage mehr, sondern eine der Macht. Westlich sein heißt, entscheiden zu können, was Kultur ist und was Barbarei.
Genau diese Ambivalenz verweist direkt auf die Interviews in The Punishment, in denen der Regisseur im Zeitraum von März bis Dezember 1999 etwa 15 von ihm ausgewählte Belgrader befragt. Kaja, der feixende Protagonist von Sky hook, der Schauspieler Nebojsa Glogovac, spricht nun in The Punishment sehr ernsthaft und mit der Geste persönlicher Haltung: von dem Vakuumapparat, der entstanden ist durch die Schafsmentalität der Jugoslawen, die offensichtlich einen starken Mann bräuchten und dafür jede Einschränkung in Kauf nehmen. Überrascht zu Beginn der Dokumentation noch die Offenheit und Klarheit, mit der die Interviewten ihre Dissidenz ausdrücken (auch hier zieht das Klischee), so ist es fortan die Scharfsinnigkeit und Tragweite der Analysen der Befragten, die zwei Dinge verdeutlichen: Ihre Agonie geht so weit, dass sie fast teilnahmslos objektiv wirken, was erst zum Schluss auffällt, wenn die letzte Befragte plötzlich zu weinen anfängt. Diese Agonie rührt daher, dass sie nun das absolut Böse sind und wissen, dass sie es bleiben werden, egal was sie tun. Die meisten Befragten sind jung und haben keine Zukunft. Und zweitens, das zeigt sich am Schauspieler, aber vor allem an einem hochintelligenten Schüler, macht dieses Vakuum jede persönliche Entwicklung möglich. Die messerscharfe Analyse des Schülers zur politischen Situation, das Wissen darum, immer Verlierer zu sein, macht es vorstellbar, dass er sowohl Regimegegner wie auch der Anführer einer Todesschwadron werden könnte.
Die Dramatikerin Biljana Srbljanovic bringt diesen Zustand auf den Punkt: Sie waren Westen und sind nun wilder Osten, sie sind durch und durch amerikanisiert und nun isoliert, sie war Europäerin und ist nun Serbin, sie war Konsumentin und ist nun das Böse. "Ein modernes Lager" sagt zum Schluss die weinende Intellektuelle auf dem Belgrader Flughafen, wo es nur noch Flüge nach Moskau gibt.
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