Angela Schanelec hat mit diesem Film beim letztjährigen Festival in Cannes einen Coup gelandet: Auf eigene Faust, an allen offiziellen Gremien der deutschen Filmwirtschaft vorbei, stellte sie ihren Film dem Auswahlkomitee für Cannes vor und er wurde prompt als einziger deutscher Film des gesamten Festivals in der Sektion »Un certain regard« gezeigt.
Ein junger Mann lehnt rauchend an einem Auto, halbnah im Profil wird er von einer jungen Frau verdeckt, von der nur Rücken und Hinterkopf zu sehen sind. »Ich geh' jetzt rein«, sagt sie. »Das kannst du nicht machen«, antwortet er. »Doch, ich hab' Kopfweh und muß noch lernen wegen morgen.« Der Mann beginnt mit einer Liebeserklärung, er wolle nur bei ihr sitzen und rauchen, sie nicht küssen, nicht anfassen. Das blaugraue Muster von geparkten Autos und Häuserblöcken bildet den ver schwommenen Hintergrund. Er endet mit einer Art Drohung: »Ir gendwann wirst du darum betteln, verstanden zu wer den. Dann kannst du mich anrufen.« Schweigen. »Ich rufe dich an.«. »Dann bin ich ein alter Mann.« Schweigen.
Am Morgen sitzt Mimmi mit dem Mann in seiner Pariser Küche, mit dem sie in der Nacht zuvor geschlafen hat, und von dem sie jetzt schwanger ist. Er liest, ohne es wirklich zu verstehen, ein deutsches Buch von ihr, fragt sie, worum es darin ginge. Durch ihre stockende, etwas mechanische Erzählweise ist nicht klar, ob sie ihm wirklich den Inhalt des Buches erzählt (der sich anhört wie der Anfang des Films Oublie moi von Noémie Lvovs ky, Frankreich 1996) oder sich die Geschichte gerade ausdenkt: Ein schüchterner Mann, der nie Kontakt zu Menschen hat, weil er zuviel träumt, spricht einmal eine Frau an, weil er auf der Suche nach jeman dem ist, mit dem er das Leben teilen kann und sie dazu ausge wählt hat, weil er sich sofort in sie verliebt. Die Frau ist traurig, weil sie ein Jahr auf ihren Freund gewartet hat, der weg war und der sich nun, nach seiner Rück kehr noch nicht bei ihr gemeldet hat. Die beiden verbringen vier Nächte zusammen, beschließen, daß sie sich lieben und wollen zusammen bleiben. Da meldet sich der vorhe rige Geliebte und sie verläßt den neuen. Nicolas, Mimmis Liebhaber, findet die Geschichte traurig, Mimmi widerspricht: sie sei nicht traurig, weil der verlassene Mann einfach weiterträume.
Der Film hält einfach das aus, was er durch die Annäherung an Mimmi anzettelt, ohne es klären zu müssen. Trotz vieler Großauf nahmen der Gesichter und obwohl die Kamera den Schauspie lern, allen voran Sophie Aigner (Mimmi), sehr viel Zeit zur Entfal tung gibt, sieht der Zuschauer keine unmittel baren Gefühle, mit denen er mitleiden kann. Das Schau spiel Sophie Aigners ist ein nach innen gerichteter Affekt, der nicht preisgegeben wird.
Nur einmal sehen wir, daß diese Art des Blicks auch Mimmis Blick ist. Sie begehrt das Sichtbare, ohne es zu kennen: In der Metro in Paris, sie ist auf Klassenfahrt, sitzt ihr ein junger Mann gegenüber, neben dem seine Freundin steht, später auch sitzt. Seitlich von Mimmi beobachtet die Kamera einen zunächst zaghaften, taxierenden, dann immer offen siver werden der Blickkontakt zwischen Mimmi und dem Mann. Die Intensivierung dieses Blickkontakts ist allein an den sich öffnenden Gesichtszügen des Mannes zu beobachten. Erst ganz zum Schluß, bevor alle drei aus der Metro ausge stiegen sind, zeigt die Kamera auch Mimmi im Profil und ihren offenen, direkten Blick. Hier werden die Gesichter unmittelbar zu Schauplät zen. Der junge Mann, Nicolas, trennt sich vor der Station von seiner Freundin, beobachtet von Mimmi. Dann läuft sie ihm hinterher und schon in der nächsten Einstellung erwacht sie in seinem Bett, zieht sich an, geht zu Nicolas in die Küche. Sie sprechen über das Buch. Dann fragt sie, wer die Frau war. »Irène« antwortet Nicolas. »Liebst du sie?«. »Ja!«. »Liebst du mich?«. »Ja!«. »Ich liebe dich auch!«.
An diesen Ort kehrt Mimmi zurück, nachdem sie weiß, daß sie schwang er ist von Nicolas. Zu Beginn und ganz zum Schluß dieser Sequenz schaut sie durch das Fenster des Hausflurs in Nicolas Wohnung. Sie ist durch das Berliner Tauben blau, die gleichförmige Weite der durch die Traufhöhe bestimm ten Stra ßenzüge (die übrigens auch schon Schanelecs Erstling Das Glück meiner Schwester prägte) gegangen, durch die gelbliche Dun stig keit von Paris, wo die Häuserfronten das Licht zu reflektieren scheinen, sie war beim Gynäkologen, der sie wie ein Vater ausfragt (den es im Film nicht gibt), in der durch sich ti gen Enge Hamburgs. An keinem Ort ist sie geblieben und als sie zum Schluß in die gelblich beleuchtete Wohnung von Nicolas blickt, sieht sie in eine abgeschlossene, fremde Welt. Da ist nicht ihr Platz.
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