Zwei Szenen aus der Welt des Fußballs vom vergangenen Wochenende. In München spielt der große FC Bayern gegen den kleinen FC Augsburg. Es geht auf die 90. Minute zu, als Douglas Costa mit Markus Feulner kollidiert. Der Schiedsrichter gibt auf Hinweis seines Linienrichters einen Elfmeter, den Thomas Müller verwandelt. Das Spiel endet 2:1 für den großen FC Bayern, die Vertreter des kleinen FC Augsburg sind empört.
In London spielt die erst neuerdings große Mannschaft von Manchester City gegen das kleine Traditionsteam Crystal Palace. Es geht auf die 90. Minute zu, noch ist kein Tor gefallen, als der Ball zu dem 18 Jahre alten Kelechi Iheanacho kommt, der dem Torhüter der heldenhaften Mannschaft von Crystal Palace keine Chance lässt.
Zwei Favoritensiege in letzter Minute, zweimal setzt sich das reiche Team gegen einen typischen upsetter durch, gegen eine Mannschaft, deren alleinige Bestimmung im Spitzenfußball es sein kann, den Giganten gelegentlich ein wenig Ärger zu bereiten. Und doch zwei Beispiele dafür, dass nicht immer das Geld die Tore schießt, auch wenn das im Großen und Ganzen dann doch immer so sein wird. Manchester City machte in diesem Jahr durch die Verpflichtung Kevin De Bruynes vom VfL Wolfsburg von sich reden. Der belgische Spieler war den „Geldsäcken“, wie sie häufig höhnisch genannt werden, um die 75 Millionen Euro wert.
Der FC Bayern München wiederum überwies für Douglas Costa rund 30 Millionen Euro an das Oligarchenteam von Schachtar Donezk. Diese Summe mag irgendwo am Samstag im Kopf des Linienrichters herumgespukt haben, als er die Fahne hob, um ein Foul anzuzeigen, das keines war. In England schoss das Tor allerdings ein junger Mann, der aus einer Nachwuchsakademie in Nigeria kommt und der eigentlich erst in zwei, drei Jahren für große Szenen vorgesehen war. Ein typischer Fall aus dem großen Menschenpark Fußball.
Wie man es dreht und wendet, die großen Summen und die noch größeren Fantasien bestimmen das Spiel. Doch leidet es darunter? Darüber wird intensiver denn je diskutiert. Der Journalist und Blogger Jens Berger nimmt mit einem neuen Buch die orthodoxe Position ein: Der Kick des Geldes oder wie unser Fußball verkauft wird hat gleich auf dem Cover noch einen zweiten Untertitel: „Knallharte Wirtschaftsinteressen machen unseren Lieblingssport kaputt“. Das ist knallhart die Sprache des Boulevards, mit dem hier gleich zweimal auf einer Seite ein „wir“ beschworen wird, von dem Jens Berger lieber nicht genauer wissen möchte, wer das ist eigentlich ist, dem „unser“ Fußball gehört. Die Suggestion ist aber eindeutig: Es sind wir, die einfachen Fans, die Samstag für Samstag und Sonntag für Sonntag den ideellen Hintergrund abgeben für eine Show, die sich längst nur noch dann um uns kümmert, wenn wir einen Fanshop betreten oder ein Pay-TV-Abo abschließen.
„Wie soll der Fußball rein werden, wenn sogar die Fans käuflich sind?“, fragt Berger an einer Stelle fast schon ein wenig verzweifelt, weil er ja selber zahllose Informationen zusammenträgt, die alle auf einen Umstand hinauslaufen: Das Reinheitsgebot der wichtigsten Angelegenheit der Welt ist hoffnungslos korrumpiert. Und komme uns keiner mit Nebensache oder so was. Fußball ist längst die Hauptsache, selbst die Geflüchteten sind erst dann so richtig in Deutschland angekommen, wenn sie in einem Stadion sitzen und ein Fähnchen schwenken können.
Berger erwähnt mehrfach den „reinen Fußball, den es in den Mega-Arenen schon lange nicht mehr gibt“ und scheut sich nicht, die härteste aller Arzneien zu empfehlen, nämlich sonntags mal lieber in die Kreisliga zu schauen, als auch noch das fünfte Spiel im entzerrten Wochenendkalender in der Glotze zu verfolgen. Bergers Materialsammlung ist zweifellos beeindruckend: Von den Übertragungsrechten bis zu den Spielergehältern, von Milliardeninvestments bis Rekordmerchandising reichen die Sachverhalte, die er fein säuberlich zusammenträgt, um seine Klage zu stützen, dass das Geld den Fußball kaputtmacht.
Nur wird ihm fast niemand diese Folgerung glauben. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass die Fans „käuflich“ sind. Berger artikuliert eine Gefühlslage, die näherer Betrachtung nur zum Teil standhält. Der Fußball ist als Sport keineswegs kaputt, sondern findet auf einem Niveau statt, das die Fans manchmal einfach nur mit offenem Mund bestaunen können. Die atemberaubende Globalisierung der Wahrnehmung, die Allgegenwart im Fernsehen, das Riesentheater um das ganze Drumherum, all das hat keineswegs zu einer Beinträchtigung des Spiels selbst geführt. Nun gut, in Italien hat die Liga an Bedeutung und Qualität verloren, und in Spanien hat neben dem FC Barcelona und Real Madrid kaum ein Team seriös eine Chance. Aber das sind Umstände, die nicht in Stein gemeißelt sind, sondern mit ebenjenen Zusammenhängen zu tun haben, die Berger nicht näher analysieren will.
Fußball und Geld, das ist eine komplizierte Gleichung. Und die Fans haben das längst begriffen. Sie erwarten keineswegs naiv, dass ein großer Gönner einfach mal mit der Gießkanne kommt und den Kader ihres Lieblingsteams so auf Vordermann bringt, dass in zwei Jahren die Champions League gewonnen wird. Sie nehmen stattdessen mit bewundernswürdiger Langmut Anteil an den Bemühungen, an allen Standorten, zwischen dubiosen Abkürzungen (meistens ein Scheich von schwer durchschaubarer Geschäftsfähigkeit) und seriösen Bemühungen einen Weg zu finden.
Gute Betriebswirtschaft
Wir beobachten den Fußball längst in dieser doppelten Hinsicht, die sich in der Arbeitsteilung zwischen dem Trainer und dem Manager/Sportdirektor zeigt: Ein gutes Spiel beruht auf guter Betriebswirtschaft. Lucien Favre und Max Eberl von Borussia Mönchengladbach galten noch bis vor kurzem als das ideale Duo, aber auch ihnen bleibt eine Krise nicht erspart.
Sich gegen Krisen zu wappnen und Entwicklungen zu verstetigen, das ist, wie bei Firmen und Staaten auch, die große Herausforderung, die wir am Beispiel des Fußballs so fasziniert verfolgen. Diese Schule der Ökonomie ist umso faszinierender, als sie so viele kulturelle Facetten hat. Der calcio, der lange Zeit fast normative italienische Fußball, hat das belpaese schon früh darauf aufmerksam gemacht, dass der Berlusconismus gerade das zerstört, was die Bundesliga und die englische Premier League auszeichnet: good governance.
Nun stehen in England demnächst gigantische Summen aus einem Fernsehvertrag ins Haus, für den es in Deutschland keine vergleichbare Geschäftsgrundlage gibt. Zwar melden sich auch hier zunehmend Leute zu Wort, die mitziehen wollen. Konkret könnte das allerdings nur heißen: Ein neuer Fernsehanbieter müsste auf den Plan, das De-facto-Monopol von Sky müsste gebrochen werden, die Fans bekämen dann weniger oder müssten doppelt bezahlen, in jedem Fall stünde das einzigartige deutsche Solidarmodell, dass Woche für Woche alle Spiele der ersten und der zweiten Liga übertragen werden, auf dem Spiel. In der Logik von Jens Berger wäre ein weiteres Stück unseres Lieblingssports „kaputt“.
In Wahrheit aber sind diese Debatten erst zu führen, und sie werden wie immer auf Abwägungen beruhen müssen. Berger macht es sich mit seiner Gegenüberstellung eines „reinen“ Fußballs und einer schlechten, von Oligarchen und Plutokraten, Medienmächten und Despoten bestimmten Welt zu einfach. Vielmehr ist der Fußball ein herausragendes Beispiel für das Einüben von „guten Politiken“. Allerdings sind diese genauso schwer zu finden wie in der richtigen Welt auch. Aber es dispensiert einen eben niemand davon.
Da kann man am Sonntag noch so heldenhaft die Bemühungen in der Kreisklasse bejubeln, was man dabei gewinnen kann, ist nicht mehr als ein Gefühl von Rechthaberei gegen eine böse Wirklichkeit. Der Fußball ist nicht „verkauft“, denn er gehört niemandem. Er ist Teil einer Welt, in der die Faszination für Durchsetzungsvermögen mit dem Wunsch nach Fair Play ständig miteinander im Streit liegen, in der Zufälle und Fehlleistungen nun einmal nicht ausgeschlossen werden können. Wir beobachten daran das Leben, und unsere mühsamen Versuche, es zu beherrschen. Der „Kick des Geldes“ ist Teil dieser Dynamik. Er verlangt andere Alternativen als den resignierten Ausstieg und das Glück im Kleinen.
Info
Der Kick des Geldes oder wie unser Fußball verkauft wird Jens Berger Westend 2015, 256 S., 17,99 €
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