Maultaschen und Maulhelden

Revolte bei DaimlerChrysler Mit Wut, Hohn und Gelächter quittieren Aktionäre die Bilanz von Jürgen Schrempp

Lieber einen Daimler in der Garage als einen im Depot - das Bonmot bundesdeutscher Besserverdiener gilt nicht mehr. "Wir hatten uns vor ein paar Wochen einen neuen Mercedes gekauft, der war schon kurz danach in der Werkstatt. Wir haben ihn gleich wieder verkauft. Dass die Autos nichts mehr taugen, darüber reden jetzt schon alle in unserem Bekanntenkreis." Opfer des neuen Trends ist eine Dame mit blonden, hochtoupierten Haaren, Ende 50. Gemeinsam mit ihrem frisch gegelten Ehemann steht sie am Eingang der Berliner Messe und gibt den Journalisten reichlich Futter. So sieht sie aus, die Biedermeieropposition der Globalisierung, angetreten gegen immer neue Eskapaden der Welt-AG und ihres Vorstandsvorsitzenden. Über hundert Azubis aus DaimlerChrysler-Standorten, an den Türen zum Service für die Aktionäre verpflichtet, sind nervös und wirken wie Fremdkörper. Im Gebäude, auf den Fluren und vor allen Toiletten, steht muskelbepackte Sicherheit mit Funkgeräten. An den Verpflegungsständen laden Maultaschen zur Versöhnung.

Alles in der Geschichte geschieht zweimal, zunächst als Tragödie und dann als Farce. Hätte Karl Marx schon an Hauptversammlungen von DaimlerChrysler teilnehmen können, wäre dieser Satz wohl nicht geschrieben worden. Die Aktionäre erlebten in der vergangenen Woche bereits die siebte Auflage einer Veranstaltung, in der Jürgen Schrempp im Doppelpass mit seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper die Unfähigkeit des eigenen Managements und den Unsinn seines globalen Geschäftsmodells dementiert. Seit 1998, dem Zeitpunkt der Übernahme von Chrysler, fügen sich die Fehlgriffe von Schrempp zu einem erstaunlichen Muster: hochriskante Entscheidungen werden anfangs medienwirksam als "konsequente Strategie" inszeniert, zeigen dennoch kurze Zeit später ihre fatalen Wirkungen, und anschließend profiliert sich der kühne Visionär als Sanierer des von ihm in die Sackgasse gesteuerten Unternehmens. Bekam man eines der Probleme dann halbwegs in den Griff, brannte es an anderer Stelle.

Die als "Hochzeit der Sterne" gefeierte Fusion mit Chrysler versenkte Milliarden, weil die Fahrzeuge des US-Partners mangels Qualität bis vor gut einem Jahr nur mit exorbitanten Rabatten verkauft werden konnten. Mit dem Erwerb von 37 Prozent an Mitsubishi Motors vergeudete Schrempp weitere Milliarden an ein marodes Unternehmen, zeichnete jedoch das Bild eines höchst lukrativen Konzerns, der die Pforte zum asiatischen Markt öffnen könne - eine Fata Morgana, wie Schrempp im April 2004 eingestehen musste. Ähnlich verlief Daimlers Engagement bei der südkoreanischen Hyundai.

Skandal im Herzen des Konzerns

Die jüngsten Bomben des Missmanagements platzten nicht auf fernen Märkten, sondern unmittelbar vor der Haustür der Zentrale. DC-Manager verkauften über zwielichtige Vertriebskanäle zahlreiche Nobelkarossen in eigener Regie und stehen vor einer Anklage wegen Untreue und Bestechlichkeit. Am schlimmsten aber ist für die Aktionäre, dass die Geschichte von Chrysler, Mitsubishi, Hyundai und des chronisch defizitären Kleinwagens Smart im Herzen des Konzerns, bei Mercedes-Benz, fortgeschrieben wird. Kurz vor der Hauptversammlung gab der Vorstand bekannt, dass weltweit 1,3 Millionen Fahrzeuge überprüft werden müssen, weil man Mängel bei den Bremsen und bei der Elektronik entdeckt habe. Das ist die größte und mit 500 Millionen Euro teuerste Rückrufaktion der Firmengeschichte. Wie schon bei den fehlerhaften Dieselpumpen Ende 2004 wurde Bosch als Sünder ausgemacht. Aber ist der Zulieferer allein verantwortlich? Die Komponenten eines Fahrzeugs in atomisierte Einzelteile zu zerlegen, den Lieferanten die Preise zu diktieren und zu erwarten, dass sich die Vielzahl der Zulieferer ohne Qualitätsverlust beherrschen ließe - dieses Konzept hat der Vorstand von DaimlerChrysler offenkundig übertrieben.

Um die gigantischen Kosten falscher Entscheidungen finanzieren zu können, hat Deutschlands Global Player Nr. 1 die Beschäftigtenzahlen natürlich senken müssen. Von den 466.938 Mitarbeitern im Jahr 1999 blieben bis 2004 fast 18 Prozent auf der Strecke. Erst im Sommer 2004 versuchte die Unternehmensleitung in erpresserischer Manier, die Beschäftigten in Sindelfingen, Untertürkheim, Bremen und Südafrika gegeneinander auszuspielen und erhöhte den Druck auf Arbeitszeiten und Beschäftigungszahlen. Trotzdem sank der Börsenwert in der Ära Schrempp drastisch und blieb auch nach dem Ende der Aktienbaisse auf niedrigem Niveau.

Jürgen Schrempp ist in der Managerelite mit dieser Bilanz nicht irgendwer. Er wurde im Januar 2004 von Business Week im weltweiten Vergleich zum "Worst Manager of the Year" gewählt. Viele der 8.000 Aktionäre in den Sälen der Berliner Messe kennen, so glaubt man nach der schönfärberischen Rede von Schrempp, die Probleme besser als er. Nach seinem Auftritt werden die Pressekameras auf Anweisung Hilmar Koppers vor die Tür geschickt, aber viele schütteln immer noch resigniert den Kopf. Als dann die Diskussion eröffnet wird und die ersten der 26 angemeldeten Redner an die Mikrofone treten, kochen im Biedermeier die Emotionen hoch. Ob Vertreter großer Investmentfonds, selbsternannte oder tatsächliche Aktionärsschützer, Anwälte oder Anleger - kaum einer schafft seinen Beitrag in der vorgegebenen Zeit, weil zeitweilig nach jedem Satz Beifall aufbrandet. Fast alle Redner fordern Entlassung statt Entlastung des Vorstands. Im Publikum mischt sich Wut mit lautem, höhnischem Gelächter. Es brodelt.

Automatenstimme außer Tritt

Doch Kopper und Schrempp, seit 1998 bei DaimlerChrysler ein eingespieltes Team, wissen, wie sie die Kritik parieren können: die Hartnäckigen ignorieren, die wohlmeinenden Kritiker beschwichtigen und auf Fragen antworten, die niemand gestellt hat. Schrempp ist glatt wie immer, und Koppers sonore Automatenstimme kommt eigentlich nur zweimal aus dem Tritt: Bei seinen wortreichen Erklärungen, warum man beim besten Willen keine individuellen Vorstandsgehälter ausweisen könne und weshalb drei der Aufsichtsratsmitglieder, unter anderem auch er, entgegen einer firmeneigenen Richtlinie mit über 70 Jahren noch in dieser Funktion wären. Im Zweifel sei unternehmerische Kompetenz wichtiger als Transparenz und biologisches Alter, meint Kopper und kann sich auf die Mehrheitsverhältnisse verlassen. Allein die Deutsche Bank vertritt mit ihrem eigenen Anteil und mit den Depotstimmrechten mehr als die Hälfte des Kapitals. Gegen die vereinte Macht der Großbanken hat die Revolte keine Chance. Am Ende erhalten Vorstand und Aufsichtsrat mehr als 90 Prozent Zustimmung für das verflossene Jahr.


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