Auf den ersten Blick entspannte sich die Debatte der großen Koalition um den Kombilohn. Am Wochenende einigten sich CDU und SPD grundsätzlich auf Eckpunkte für zwei Kombilohn-Modelle für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose und Jugendliche unter 25 Jahren. Firmen, die Langzeitarbeitslose einstellen, sollen einen "finanziellen Nachteilsausgleich" bekommen. Die finanziellen Planspiele gehen von 100.000 Personen aus und weiteren 50.000 jungen Arbeitslosen bis 25 Jahre, die seit mehr als sechs Monaten ohne Job sind. Bei einem Bruttomonatslohn von bis zu 1.000 Euro bekäme der Arbeitgeber 50 Prozent vom Staat erstattet. Die Förderung soll bei Jugendlichen jedoch auf ein Jahr begrenzt werden, ein Teil des Geldes ist für Qualifizierung vorgesehen, wobei aber keine Schulabschlüsse nachgeholt werden können.
Bayerisches Verständnis von Kombilohn
Ist das der kaum für möglich gehaltene Durchbruch beim Thema Kombilohn? Die jetzige Einigkeit berührt zunächst nur die Aspekte, bei denen ein Konsens leicht herzustellen war. Völlig offen sind die konkrete Ausgestaltung der Kombilöhne sowie die von der SPD parallel geforderte Einführung eines Mindestlohns. Nachdem jüngste Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegten, dass selbst Tarifverträge für gelernte Fachkräfte bereits das Niveau von Armutslöhnen erreicht haben, käme es einem immensen Gesichtsverlust für die SPD gleich, würde sie den Mindestlohn aufgeben. Abgesehen davon wurde in den letzten Wochen deutlich, dass die Union ganz spezielle Intentionen mit einem Kombilohn verbindet, die für die SPD (hoffentlich) untragbar sein sollten.
Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch. Kein Satz schafft es besser, das im Grundgesetz verankerte "Konnexitätsprinzip" zu erklären, nach dem diejenige staatliche Ebene, die eine Aufgabe wahrnimmt, auch für deren Finanzierung verantwortlich ist. Dabei geht es vor allem um die Verteilung von Geldleistungen zwischen Bund und Ländern. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), in der öffentlichen Wahrnehmung lange so etwas wie ein Minister ohne Geschäftsbereich, bemühte dieses Grundprinzip und bezog es kurzerhand auf die im Februar mit circa 3,6 Millionen ALG II-Bedarfsgemeinschaften offensichtlich noch immer hohe Zahl der "Arbeitsverweigerer" im Land. Konnexität? Ja bitte, bei Glos wird aber nur umgekehrt ein Schuh draus: Wer die Musik so vieler Menschen bezahlt, so Glos, der darf dann wohl auch bis ins Detail Länge und Intensität des musikalischen Programms bestimmen.
In Bayern denkt man den Kombilohn offenbar so: "Das Ziel muss für jeden sein, ein Einkommen mit einem regulären Job am Markt zu verdienen", so Glos im Spiegel. Wenn man keinen solchen Job findet, bekomme man die ALG II-Grundsicherung. Glos hält das gegenwärtige ALG II für ein Garantieeinkommen, für das die Betroffenen nichts zu tun bräuchten. Künftig solle aber, wer denn unbedingt ALG II bekommen müsse, dafür eine Gegenleistung als Arbeitseinsatz erbringen. "Die Leute werden sich sagen: Wenn ich auch für das Arbeitslosengeld II etwas tun muss, dann kann ich auch gleich einen Job annehmen, selbst wenn der nur ein bisschen besser bezahlt ist." Führt man den Gedanken zu Ende, haben erwerbsfähige ALG II-Empfänger dann nur noch zwei Perspektiven: Entweder vermittelt in niedrig entlohnte normale Arbeit in der Wirtschaft oder aber zum überwiegenden Teil mitten im großen Heer derjenigen, die ihren ALG II-Lebensunterhalt ausschließlich im Austausch für Arbeit verdienen und dafür noch großzügig einen Euro pro Stunde aufgeschlagen bekommen. Vor unseren Augen entsteht prompt eine kommunale Reservearmee, die Bürgermeister nach Gutdünken zu Aufbauschichten, Gartenarbeiten, Wachdiensten, im Gesundheitswesen, in Schulen und Kindergärten einsetzen können.
Gleichschritt auf Straßen und Autobahnen
Der Glos´sche Grundgedanke füllt bayerisch präzise die Lufthoheit über den Stammtischen der arbeitenden Bevölkerung. Die FDP sekundierte prompt: "Wer vom Geld der Allgemeinheit (lebt), der muss auch bereit sein, dafür etwas für die Allgemeinheit zu leisten", so der wirtschaftspolitische Sprecher Brüderle. Besäße die FDP nicht aus dem letzten Jahrhundert eine gewisse rechtsstaatliche Tradition, man wäre kaum mehr überrascht. Wenn man sich derart flott vom Grundgesetz verabschiedet und widerstandslos alte Rezepte auf den Tisch packt, lohnt offenbar doch eine kurze Erinnerung.
Schon einmal mutierte zunächst freiwillige, aus purer Not durch Massenarbeitslosigkeit geborene Arbeit für die Gesellschaft scheibchenweise zum Zwang und wurde schlussendlich direkte Voraussetzung staatlicher Fürsorgeleistungen. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte sich zunächst der Freiwillige Arbeitsdienst (FAD) zur Erfüllung gemeinnütziger Aufgaben aus der Arbeit unterschiedlicher Jugendorganisationen entwickelt. Schon 1931, als die Arbeitslosenstatistik fast fünf Millionen Erwerbslose auswies, wurde er auf eine staatliche Ebene gehoben. Die 1931 von Hindenburg und Brüning erlassene "Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen", eine der Notstandsverordnungen jener Zeit, sah den Abbau der Tariffreiheit, die Herabsetzung der Bezüge der Staatsbeschäftigten und der Leistungen der Arbeitslosenversicherung vor, es gab Erhöhungen der Massensteuern, Steuervergünstigungen für Unternehmer und die Förderung des FAD. War er zu diesem Zeitpunkt bereits oft alles andere als freiwillig, gelang es nach 1933 innerhalb weniger Monate, die zuvor kirchlichen, parteipolitischen und sonstigen Träger des FAD aus- und den Dienst gleichzuschalten. 1934 wurde die Arbeitsdienstpflicht für Studenten mit der Zulassung zum Studium verknüpft. Ab 1935 bestand mit dem Reichsarbeitsdienst (RAD) eine Einrichtung, durch die alle Jugendlichen ab 18 Jahre zu einem sechs Monate dauernden Arbeitseinsatz verpflichtet wurden. Arbeitspflicht und Glaube an das Vaterland marschierten endlich im Gleichschritt auf Straßen, Autobahnen und im Wohnungsbau.
Gewiss, viele Auseinandersetzungen werden heute im Vergleich mit brauner Vergangenheit übersteigert. Vergleichen kann man aber ohnehin nur Verschiedenes, um Gemeinsames im Detail zu entdecken. Und so gebietet es die Kenntnis der eigenen Geschichte und die Ehrlichkeit heutiger politischer Diskussionen, eindeutig darauf hinzuweisen, dass jegliche Modelle einer Arbeitsdienstverpflichtung seit Inkrafttreten des Grundgesetzes eben dessen Grundlagen widersprechen - gerade weil es die Entwicklung hin zu einem Reichsarbeitsdienst gegeben hat. Artikel 12 des Grundgesetzes regelt eindeutig: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig."
Schon mit dem Verweis auf derart grundlegende Regelungen wäre der Glos´sche Kombi-Zwangslohn reif für die Müllkippe der Geschichte. Doch auch die behauptete Konnexität zwischen steuerfinanzierten Zuwendungen und dafür zu erbringende Leistungen greift ins Leere. Denn nur wer Gebühren, Abgaben und Beiträge erhebt, muss eine abgestufte Konnexität beachten. Wenn überhaupt, mag dieses Prinzip für den Kreis von ALG I-Empfängen gelten, da sich ihr Geld aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung finanziert. Langzeitarbeitslose, Jugendliche ohne vorherige Anwartschaft und andere aus dem Versicherungsschutz Herausgerutschte erhalten jedoch ALG II - steuerfinanziert, allein dem Grundsatz ihrer Bedürftigkeit verpflichtet und somit in keiner direkten Verbindung zu einer Gegenleistung stehend. Steuern sind jedoch so genannte allgemeine Deckungsmittel, frei von Konnexitäten.
Leistungsnachweise für Großverdiener
Wo der Gesetzgeber dennoch eine - oft genug schon grundgesetzfragliche - Brücke schlagen konnte, steht diese schon lange. Erwerbsfähige ALG II-Empfänger müssen mit JobCentern kooperieren, Vermittlungen auch in deutlich niedriger bezahlte Jobs annehmen, sehen sich ansonsten harten Sanktionen gegenüber. Über 260.000 von ihnen steckten im Februar mehr oder weniger freiwillig in "Arbeitsgelegenheiten" (Ein-Euro-Jobs), wahrlich bereits ein großes Orchester der Arbeitswilligen.
Abgesehen davon: Konnexität bei steuerfinanzierten Leistungen? Dann bitte aber überall. Wo bleiben die Leistungsnachweise all der Bürger für "ihren Staat", die, zum Beispiel als Großverdiener, ebenfalls von Steuerfinanzierung begünstigt werden? Welche Manager börsennotierter Unternehmen stehen auch nur ansatzweise in der Nachweispflicht für das Allgemeinwohl, wenn ihre Unternehmen steuerliche Förderungen erhielten? ALG II also nur mit kommunalem Arbeitsdienst? Nichts kann besser zum Ausdruck bringen, dass solche hingeworfenen politischen Stöckchen nach wie vor das Vorurteil von den leistungsfähigen Gutmenschen in den Managementetagen und eines latent arbeitsscheuen Fußvolks bedienen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.