Eine Nummer zu klein

Berliner Abende Kolumne

Die Modefotografin hat zu einer Party geladen, die wie ein Geburtstagskaffee beginnt. Es gibt aber wichtige Unterschiede. So dürfen alle kommen und gehen, wann sie wollen, das Geschirr reicht nicht und wird zwischendurch abgewaschen, das Besteck ist uneinheitlich und lückenhaft. Und der Kuchen muss nicht von der Frau des Hauses gebacken werden. Schon gar nicht, wenn ihr Kind noch klein ist. Hat sie aber trotzdem Hausfrau gespielt, ist es entweder ein guter Witz oder eine spirituelle Übung - in diesem Fall beides.

Am Tisch befragt man sich zu laufenden Projekten. Die Autorin von ironischen Beziehungs-Ratgebern wird auf einen Artikel angesprochen. Der zwischen den Knöpfen ihrer frischen weißen Bluse klaffende Abstand sagt dem oder der Verwirrten: Aber du willst doch nicht etwa, dass ich eine Nummer größer nehme? Tageszeit (Nachmittag) und Anlass (eine Art Familientreffen) mit ihrem Outfit ignorierend, wirkt sie so, als sei sie die Begleitung ihres Freundes und fremd hier, dabei ist es ja umgekehrt.

In ihrem letzten Ratgeber-Buch gibt sie denjenigen Tipps, die weniger Erfahrung haben als sie, scheut sich aber nicht, von eigenen Fehlern, aus denen sie gelernt haben will, auf sympathische Weise zu sprechen. Es gibt ein dickes Kapitel über das erfolgreiche Warmhalten.

Ein befreundeter Künstler hat schon wieder eine Mädchenzeichnung mitgebracht. Mädchen sind seine (erklärte) Obsession. Eines seiner großen Gemälde hängt im Esszimmer, es zeigt einen Pulk blitzsauberer Models. Der Auftrag beruhte auf einem Missverständnis, die Gastgeber glaubten, ein anderes Bild bestellt zu haben, doch trotz der Enttäuschung kauften sie das stattdessen gemalte. Obwohl es eine gewisse aufdringliche Gegenwart hat, haben sich alle daran gewöhnt. Und wer es nicht erträgt, setzt sich mit dem Rücken dazu.

Mit den Geschenken kann man sich einen schönen Abend machen und sich gleichzeitig darüber informieren, was angesagt ist. Ein Oberteil, das die Gastgeberin bekommt, hat mehrere unregelmäßige Verzierungen und trägt - falls man es noch nicht gedacht hat - den Schriftzug "Trash". Allerdings nicht vorn über der Brust, sondern am unteren Bildrand. Es trifft den Nerv der jungen Mutter so schnell, dass sie es gleich fröhlich anprobiert und anbehält, nachdem sie einen passenden Rock dafür aus ihrem Kleiderschrank geholt hat. Es sei leider etwas eng, bedauert sie fast flüsternd. Überraschende Schüchternheit, die niemand ihr zugetraut hätte.

In der Reihe der Geschenke als Selbstbeschreibungen gibt es auch die hilflose Zeichnung eines jungen Mannes, eine Art Sorgenkind. Das Bild, das für alle zuerst ein Rätsel ist, soll die kleine Tochter der Gastgeberin darstellen. Die Eltern sind offenbar gerührt davon. Alle andern schauen schnell weg.

Die Junggaleristin hat die CD einer angesagten Musikerin mitgebracht, die in der Runde noch nicht bekannt ist. So muss erklärt werden: "Der weibliche Eminem!" Da gerade andere Musik aufliegt - neue deutschsprachige Innerlichkeit - müssen Interessierte sich einstweilen an die Fotos halten, rätselnd über diese psychotische Blondinen-Variante. Das sei schon gar nicht mehr der aktuelle Look, sagt die informierte Galeristin. Für diesen neuen Style würden ihr aber die Worte fehlen. Was erstaunlich ist, da sie selbst sich im Stiluniversum sehr bewusst und schnell bewegt, vor und zurück, für den gemäßigten Geschmack immer zu schnell. So kann nur der Eingeweihte ihre neue neu-alte Fransenfrisur und die übergroße Retro-Tränenbrille richtig würdigen. Auch ihr Outfit ist wahrscheinlich ganz genau auf den Punkt gebracht, wo die Siebziger sich noch einmal aufbäumten und dann unter der Stilbarriere wegkrochen. Es ist noch nicht offizielle Mode oder wird es nie sein.

Eine gewisse Tiefe, manchmal auch etwas Unheimliches bekommt diese Runde durch einige gekappte Verbindungen untereinander. Zwei ehemalige Künstler der Galeristin, die sie hinausgeworfen hat, treffen zusammen, sowie zwei ehemals beste Freundinnen, die sogar einmal zusammen wohnten. Offenbar scheint es erträglich für die Beteiligten zu sein. Doch gibt es Unterbrechungen im sozialen Gewebe, es wird übereinander weggesehen, Platz gemacht, oder jemand ist höflich und dabei ganz leer. Das erinnert daran, dass das Netz einmal an anderen Stellen verknüpft war als heute.

Ein solcher Geburtstag hat kein richtiges Ende, so wie er keinen Anfang hat. Es ist fast wie in den Siebzigern, es wird mehr geraucht als gegessen und getrunken. Das Kind muss deshalb bald weggeschafft werden. Die Nüchternen werden immer nüchterner, die Betrunkenen immer betrunkener, aber es fällt nicht auf. Der Geburtstag bricht nicht auseinander. Es werden einfach immer weniger, bis dann die letzten Gäste noch zusammen ausgehen, denn was sollen sie, so angebrochen wie der Abend, sonst mit sich anfangen?


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