Verfolgt, verfemt, vergessen

Spurensuche Im ausufernden Kunstsommer 2007 ging die Erinnerung an die Nazi-Feme-Schau "Entartete Kunst" vor 70 Jahren unter. Außer in drei Ausstellungen in Hannover, Berlin und Bielefeld

Am 19. Juli 1937 eröffneten die Nationalsozialisten in München ihre Feme-Ausstellung Entartete Kunst, die von Juli bis November rund 650 konfiszierte Werke avantgardistischer Künstler auf abscheuliche und demütigende Weise zur Schau stellte. Sie war Höhepunkt der Diffamierung deutscher und internationaler Künstler der Moderne und wanderte bis 1941 in zwölf weitere Städte. Insgesamt beschlagnahmten die Nazis im Jahr 1937 bei ihrer "Säuberung" deutscher Sammlungen rund 20.000 Kunstwerke. Einige davon wurden ins Ausland verkauft oder zerstört, viele Spuren verlieren sich in der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte. Im Kunstsommer, zwischen Documenta, Venedig-Biennale, Skulptur Projekte Münster und der Art Basel, hat sich die deutsche Kunstwelt nur am Rande an den Angriff auf die Avantgarde vor siebzig Jahren erinnert.

Ernst Ludwig Kirchners berühmtes Selbstporträt als Soldat war 1937 zu sehen, auch Werke von Oskar Kokoschka, Kurt Schwitters, Otto Dix und Emil Nolde wurden gezeigt, um nur einige Vertreter der künstlerischen Elite zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu nennen. Es war das ganze Spektrum avantgardistischer Kunst, das die Nationalsozialisten vor 70 Jahren in den Münchener Hofgarten-Arkaden ausgestellt und als "Entartete Kunst" diffamiert hatten. Um den Betrachter zu verwirren, waren sämtliche Ölbilder, Aquarelle, Collagen und Grafiken durcheinander oder sogar schief gehängt. Verhetzende Wandbeschriftungen wie "So schauten kranke Geister die Natur" oder "Offenbarung der jüdischen Rassenseele" kommentierten die Exponate.

In ihrer Infamie ist diese Schau einmalig in der Kulturgeschichte der Neuzeit und Ausstellungsmacher, die an sie erinnern wollen, stehen vor einer ganz schwierigen Herausforderung: Sie müssen aus dem weiten Spektrum avantgardistischer Strömungen eine Auswahl treffen, dabei das von den Nazis betriebene "Aussortieren" aufzeigen, ohne es zu wiederholen.

Die sicherste Methode ist, eine solche Ausstellung als Parcours durch eine bestehende Sammlung zu konzipieren, und genau das hat das Sprengel Museum in Hannover getan. Die Kuratoren haben sich in der Sammlung Klassische Moderne "Auf Spurensuche" begeben, so der Titel der Ausstellung, die weniger ausstellt, als sie aufspürt, eben Künstler, deren Werke die Nationalsozialisten im Sommer 1937 in ihrer Schau als "entartete" Kunst präsentierten.

Anders als die Nazis vor 70 Jahren haben die Kuratoren die Werke nun an ihrem Platz in der Sammlung belassen und auch auf kommentierende Beschriftungen verzichtet. Stattdessen hängen an den Museumswänden schlichte Schilder mit der Jahreszahl "1937", welche die Werke von 19 unter den Nazis verfemten Künstlern markieren und an deren willkürliches "Aussortieren" erinnern. Wer sich darauf einlässt, geht beim Rundgang selbst auf Spurensuche und liest in der Begleitbroschüre, warum die Ausstellungsmacher gerade dieses Bild des Künstlers in den Parcours aufgenommen haben. Ernst Ludwig Kirchners Kranker in der Nacht und Otto Muellers Liebespaar etwa wurden 1937 in der Feme-Schau gezeigt. Die Muschelblumen von Max Ernst sehen dem damals ausgestellten Werk dagegen nur ähnlich. Ernst malte eine Serie von Bildern unter diesem Titel. Das 1937 in München ausgestellte Werk gilt als verschollen.

Manche Exponate im Rundgang waren von der Feme-Aktion nicht direkt betroffen und ähneln den konfiszierten Werken auch nicht, wie Max Beckmanns Bad im August, das die für den Künstler beklemmende Stimmung in den vom faschistischen Nachbarn bedrohten Niederlanden spiegelt. Oder Paul Klees Tragodia von 1933, ein Spiel mit Hakenkreuzen, das in dem Jahr entstand, in dem der Maler aus seinem Professorenamt an der Düsseldorfer Kunstakademie vertrieben wurde. So nähert sich der Rundgang dem Jahr 1937 von der einen Seite über Schicksale der Werke und Künstler, von der anderen über die künstlerische Auseinandersetzung mit Nazi-Terror.

Die Werke muten dabei als Teil eines Parcours weniger mustergültig, dafür umso beispielhafter an, etwa für das Beliebige in der Definition "entartete Kunst": Rudolf Edwin Bellings abstrakte Plastik Dreiklang sowie sein Kopf in Messing waren Exponate der Feme-Schau, während seine figurative Plastik von Max Schmeling zeitgleich in der "Großen Deutschen Kunstausstellung" zu sehen war, die die von den Nazis propagierte Kunst zeigte - die Ausstellungsmacher bemerkten das erst einige Tage nach Eröffnung und entfernten Bellings Werke aus der Feme-Schau.

Bis auf einen Kernbereich, der alle abstrakten, expressionistischen und dadaistischen Werke umfasste, waren die Grenzen zwischen zu verfemender und "guter deutscher" Kunst fließend, und anders als bei den Literaten, gab es in der Bildenden Kunst keine verbindliche Liste darüber, was als "entartet" galt. Das zeigt sich auch in der Werkauswahl der Münchener Feme-Schau, die keinem stringenten Konzept folgte und nur darauf zielte, die willkürlich als "entartet" Ausgewählten zu stigmatisieren und ihnen den Kunstcharakter abzusprechen.

So sensibel und konsequent das Konzept der hannoverschen Ausstellungsmacher - die sich selbst weitestgehend zurücknehmen und die Exponate an ihrem Platz in der Sammlung belassen - angesichts der kaum fassbaren Ereignisse vor siebzig Jahren auch ist: Der Parcours erinnert doch reichlich gedämpft an die betroffenen Künstler und ihre Werke, deren Schicksale sich erst beim Lesen der Begleitbroschüre offenbaren. Auch schließt er - als Rundgang durch die Klassische Moderne eines großen Hauses - lediglich international renommierte Künstler ein. Doch viele avantgardistische Produktionen wurden vorzeitig beendet oder gar ausgelöscht, was vor allem Künstler betraf, die bei der Machtübernahme der Nazis erst am Anfang ihrer Karriere standen.

An diese Schicksale der fast vergessenen Avantgardisten hat der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus bis vor kurzem noch mit der Ausstellung Verfolgt, Verfemt, Entartet in Berlin erinnert. Anders als in Hannover hatten die Kuratoren die Werke aus der Sammlung - oppositionelle und zeitgenössische Kunst von 1896 bis zur Gegenwart - in der Berliner SPD-Zentrale ausgewählt und ausgestellt. Die Mischung aus konventioneller Ausstellung und dem kniffligen "Auswählen" sprach zunächst nicht unbedingt für kuratorisches Feingefühl. Allerdings waren die Möglichkeiten auch begrenzter, hängen die Bilder doch sonst in Büros des Willy-Brandt-Hauses sowie anderer Parteihäuser über Deutschland verteilt; ein Rundgang wäre gar nicht möglich gewesen.

Neben den Schicksalen kaum bekannter Künstler hat die Berliner Ausstellung den Parcours in Hannover aber um einen weiteren wichtigen Aspekt ergänzt: Sie erinnerte daran, dass Stigmata wie der Verdacht auf "Schwachsinn" während der Feme-Aktion nicht nur ganze Künstlergruppen oder Stilrichtungen verhöhnen, sondern auch grausamste Zwangsmaßnahmen rechtfertigen sollten. Etwa im Fall Elfriede Lohse-Wächtlers, deren Rehabilitation erst in den achtziger Jahren erfolgte. Die Künstlerin wurde nach zweifelhafter Schizophrenie-Diagnose entmündigt, zwangssterilisiert und 1940 im Rahmen der Euthanasie-"Aktion T4" ermordet.

Auch die Kunsthalle Bielefeld erinnert mit ihrer Ausstellung 1937. Perfektion und Zerstörung, die am 30. September eröffnet, an die Feme-Aktion vor 70 Jahren, wenn auch nur nebenbei. Focus der Ausstellung sind Reaktionen internationaler Künstler auf weltweite Bedrohungen im Jahr 1937, und die Feme-Aktion der Nazis ist neben Ereignissen wie dem Angriff auf Guernica oder der "Stalinistischen Säuberung" nur eine davon. Auch wenn es nicht Hauptanliegen der Bielefelder Ausstellung ist, an die Feme-Aktion zu erinnern, zeigt sie eine Alternative zum hannoverschen Parcours: Wer die Reaktionen auf die Nazi-Schau in den Focus rückt, läuft als Kurator auch keine Gefahr, das "Aussortieren" der Künstler zu wiederholen. Allerdings macht auch diese Ausstellung wieder nur sehr indirekt auf das Schicksal der Betroffenen aufmerksam.

Alles in allem erinnert die deutsche Kunstwelt mit den drei Ausstellungen, die sich hauptsächlich oder nebenbei der Feme-Schau widmen oder gewidmet haben, derart unauffällig an die Aktion vor 70 Jahren, dass die Öffentlichkeit das Thema bislang kaum wahrgenommen hat. Sicher gründet das auch in der Schwierigkeit, mit einer Schau - neben Großereignissen der zeitgenössischen Kunst wie Biennale, Documenta, Skulptur Projekte Münster und Art Basel - publikumswirksam an die Schicksale der betroffenen Künstler und ihrer Werke zu erinnern, ohne den Prozess ihres "Aussortierens" zu wiederholen. Verantwortlich für das weitgehende Vergessen des Jahrestages sind aber vor allem große Kunsthäuser, die sich nicht auf die Ereignisse im Sommer 1937 besonnen haben - besonders in München wäre das wichtig gewesen, wo die Feme-Schau vor 70 Jahren Premiere hatte. Dabei hätte sogar eines der Großereignisse selbst Anlass zum Erinnern sein können: Themenschwerpunkt der ersten Documenta (1955) waren nicht die nach 1945 entstandenen Werke, sondern Arbeiten der Künstler, die in Nazi-Deutschland als "entartet" galten.

Für ein angemessenes Gedenken an diese braucht es nicht nur Historiker, sondern auch Kuratoren, Kritiker, Galeristen und Künstler. Stattdessen hat die weitgehende Ignoranz in der deutschen Kunstwelt in diesem Jahr dafür bewirkt, dass viele unbekannte von der Feme-Aktion betroffene und später rehabilitierte Künstler ein zweites Mal vergessen wurden. Ob das nun ein Nebeneffekt des turbulenten Kunstsommers ist oder ein weiterer Beleg für den Werteverfall geschichtlicher Erfahrung in der Postmoderne, lässt sich vielleicht in zehn Jahren sagen. Dann jährt sich die Feme-Schau zum 80. Mal.

1937. Auf Spurensuche - Zur Erinnerung an die Aktion "Entartete Kunst"", Sprengel Museum Hannover bis zum 30. Dezember. Broschüre: Auf Spurensuche. Zur Erinnerung an die Aktion Entartete Kunst 1937. 8 EUR

"1937. Perfektion und Zerstörung", Kunsthalle Bielefeld, 30. September bis 13. Januar. Katalog 32 EUR


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