Die kleine Welt der DDR gespiegelt im Kosmos eines Fußballtrainers - erneut spielt Thomas Brussig die erfolgsbewährte Karte der satirischen Verkleinerung aus.
Schon die Parodie auf den Mauerfall hatte das Unterste zu oberst gekehrt, das Kleine groß und das Große klein erzählt und so seltsam befreiend in die deutsch-deutschen Deutungskämpfe der Tagespolitik eingegriffen. Kein DDR-Forscher, der auf der Suche nach sozialen, ideologischen und kulturellen Erklärungsmustern für den Untergang der Titanic nicht auf Brussigs unterhaltsames Mentalitäten-Kaleidoskop zurückgegriffen hätte, kein literaturwissenschaftlicher Überblick über "Wendeliteratur", der ohne den Verweis auf Helden wie wir ausgekommen wäre. Nein, "E" und "U" unte
"E" und "U" unterscheiden auch wir Akademiker schon lange nicht mehr, und über Humor verfügen wir auch. Typisch deutsche Überanpassung? Mit eben dieser Angst der Deutschen in Ost wie West, bei ihrer sprichwörtlichen Humorlosigkeit ertappt zu werden, rechnen Brussigs Modellierungen der DDR-Gesellschaft. Vom Mauerfall über die Sonnenallee bis zur Trainerwelt werden die Entwürfe allerdings immer schmalbrüstiger. Leben bis Männer verstört eigentlich nur noch durch den asyntaktischen Titel, obwohl Brussig auch diesmal sein Gespür für mentale Besonderheiten der ostdeutschen Provinzbürger beweist, denen Uwe Greßmann schon in den sechziger Jahren einen Schilda-Komplex diagnostiziert hatte. Der patriarchale Vormund Obrigkeit betritt hier nicht in der Rolle des Stasimannes, sondern in der des piefigen autoritären Fußballtrainers die Bühne: "über fünfzig, (...) kurze krumme Beine und (...) Bierbauch". Wieder einer dieser verklemmten Despoten der unteren Liga, an dessen Herrschaft man sich "nach Tisch" peinlich berührt erinnert: von solchen Kleingeistern hat man sich regieren lassen? Brussig zeigt den Patriarchen nicht ohne sein Gegenstück, den Zögling, der eine verdient den anderen. Frauen existieren in dieser Männerwelt "naturgemäß" nur am Rande, als "Störfaktor" oder aber als Köder. Dabei hinterließ die rauhe Fußballwelt durchaus auch Spuren im Leben der Töchter, Mütter, Ehefrauen und Freundinnen, wie Annett Gröschners Buch über den FC Magdeburg beweist.Zwischen Fußball und DDR-Geschichte scheint es wirklich einen inneren Zusammenhang zu geben, nicht erst seit dem Sparwasser-Tor, mal lese nur die Reportagen von Osang oder Dieckmann. Auf der Suche nach anderen sportlichen Parabeln fällt auf, dass etwa der Boxkampf nicht als Modell taugt, der direkte Kampf Mann gegen Mann scheint erst nach dem Ende der DDR ein Gleichnis abzugeben. Vor 1989 beherrschte der Mannschaftssport die Szene, nicht in seiner elegantesten Variante. Technik, Kampfesmoral, Mannschaftsgeist, die Tugenden, auf deren Ausbildung Brussigs Trainer Wert legt, haben alle eine militärische Komponente, die nicht zu überhören ist. Wenn Felix Magath, der "Stratege am Rand, der Julius Cäsar der Seitenlinie", wie er sich selbst nennt, einer "Dame" sein Leben erzählt, so muss er dabei den Fußballplatz der BSG Tatkraft Börde so gut wie kaum verlassen. Kinder, Knaben, Schüler, Jugend, Junioren "bis Männer" - die Reihe der von ihm trainierten Altersklassen bildet tatsächlich, wie der Titel der Erzählung behauptet, sein Leben. Ehe, Sohn und Scheidung sind nur ein Zwischenspiel, der Fußballacker ersetzt dem früheren Lehrausbilder und jetzigen Wachmann Familie, Freunde und Psychotherapie. Brussig erzählt die soziale Tragödie als Farce, nur versandet seine Idee im Laufe des gleichförmigen Monologs, der das schmale Bändchen ausmacht. Die Rahmenidee der "Dame" am Rande des zugigen Fußballplatzes als Interviewerin, deren Augen und Ohren das Gehörte verfremden könnten, wird leider zunehmend aufgegeben. Dass der Ich-Erzähler gleich zu Beginn kein Klischee auslässt ("Frauen und Fußball ist immer prekär. Je emanzipierter, um so schlimmer"), hinterlässt erzählerisch keine Folgen. So mäandert der melancholische Erzählfluss etwas eintönig vor sich hin und birgt Überraschungen vor allem dann, wenn der Trainer zum Philosophen wird (was offensichtlich eine Berufskrankheit darstellt). Amüsant liest es sich, wenn aus dem Stolpern und Bolzen der Rasenhelden ganze Nationalcharaktere abgeleitet werden, bitterböse, wenn im gleichen Atemzug mit einer Fußballtrainerin auch eine Richterin im Mauerschützenprozess verworfen wird: "Die versteht doch überhaupt nicht, was es heißt, daß ein Mann an seinen Platz gestellt wird und seine Pflicht zu erfüllen hat. Versteht die nicht. Ein Trainer versteht so was sofort." In der literarischen Verdichtung werden die Abgründe solcher männerbündischen Stammtischphilosophie unübersehbar. Nicht zuletzt auch das Paradox, dass Felix Magath alles Weibliche explizit abwertet und zugleich als moralische Instanzen erlebt, die er abwehren muss: als Richterin nicht nur im Mauerschützenprozess seines Wahlsohnes Heiko, sondern auch in seinem eigenen Scheidungsprozess. Es ist insofern mehr als ein Versprecher, als er die zuhörende "Dame" im Eifer des Gefechts selbst als Richterin anspricht."Ein Trainer muß brüllen können, sonst braucht er gar nicht erst anzufangen. Ich übrigens brülle nicht. Es sieht aus wie Brüllen, aber in Wirklichkeit ist es Denken, und zwar sehr leidenschaftliches Denken." Wie viele "Junioren bis Männer" sind in die Schule solcher "Denker" mit ihren "klaren Anweisungen" gegangen? Wie Brussig seinen Erzähler in wenigen Halbsätzen die Geschichte der Rekrutierung seines wichtigsten Spielers erzählen lässt, der, nachdem er als Grenzer jemanden erschossen hat, verstört wie er ist, nicht mehr zum Kapitän taugt, das ist einer der Höhepunkte des Buches. Mit Beauvoir gesprochen: Man wird nicht als Mann geboren, man wird dazu gemacht.Thomas Brussig: Leben bis Männer. Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 2001, 96 S., 10 EuroAm 19.12.2001 hat Leben bis Männer in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin Premiere.
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