Nichts? Nichts.

Universum Dunkle Materie soll die Leere im Weltall füllen. Ein Bonner Forscher sagt: Sie existiert nicht. Wenn er recht hat, steht der Kosmos Kopf

Ein Blick durch ein Teleskop, hinauf in den klaren Nachthimmel mit seinen unzähligen Sternen, Planeten, Galaxien – ziemlich leicht lassen sie vergessen, dass dazwischen eine gewaltige Leere herrscht. Aber was heißt im Kosmos schon Leere? Mindestens eine universelle Kraft wirkt überall im Weltraum: die Gravitation. Und Physiker können ausrechnen, wie viel Materie im Universum existieren muss, damit sich Galaxien und Galaxienhaufen unter dem Eindruck der Gravitationskräfte so bewegen, wie sie es tun. Das Ergebnis ist derart groß, dass ein wesentlicher Teil der Materie entweder in unserem Universum fehlt – oder sich unserem Blick und dem aller Messinstrumente entzieht. Forscher nennen den Stoff deshalb Dunkle Materie. Dass es sie gibt, konnte bislang zwar niemand beweisen, doch die Indizien verhärten sich seit Jahrzehnten: 1932 hatte der niederländische Astronom Jan Oort herausgefunden, dass die Scheibe der Milchstraße dünner ist, als sie aufgrund ihrer Masse und Schwerkraft eigentlich sein dürfte. Und man fand weitere Hinweise: Einige Galaxienhaufen enthalten so viel heißes Gas, dass die sichtbare Materie mit ihrer Schwerkraft auch hier nicht ausreicht, es zusammenzuhalten. Weit entfernte Galaxien erscheinen zudem oft verzerrt. Ihr Licht muss auf dem Weg durch das All abgelenkt werden. Und manche Himmelkörper rotieren schneller um das Zentrum ihrer Galaxie, als es die Physik erlaubt – so schnell, dass sie eigentlich davonfliegen müssten. Die Mehrheit der Physiker ist deshalb überzeugt, dass es die geheimnisvolle Dunkle Materie wirklich gibt – und sucht fieberhaft nach den ersten Beweisen.

Zweifel am Unsichtbaren

Pavel Kroupa gehört mithin zu einer Minderheit: Der Bonner Physiker zweifelt an der Existenz des ominösen Stoffes, und hat zusammen mit einem internationalen Forscherteam kürzlich in Astronomy and Astrophysics von Beobachtungen berichtete, die seine Bedenken stützen, und gar für eine völlig andere Theorie des Nichts sprechen. Kroupas Team untersuchte Galaxien in unmittelbarer Nähe der Milchstraße. Das Standardmodell der Physik sagt voraus, dass diese Galaxien rein zufällig um die Milchstraße verteilt sein sollten. Sie sind aber rechtwinklig zur Milchstraße angeordnet, lassen also eine klare Struktur erkennen. Simulationen sagen außerdem mehr Satellitengalaxien vorher, als tatsächlich gefunden werden. Und schließlich müssten die diese Sternensysteme umso leuchtkräftiger sein, je mehr Dunkle Materie sie enthalten – aber alles, was man bisher beobachten konnte, spricht dagegen.

Kroupa kann mit seinen Einwänden auf wenig Begeisterung hoffen, denn längst wird ein enormer Aufwand betrieben, die finstere Macht im Raum dingfest zu machen. Die Beteiligten gehen davon aus, dass die gesuchte Dunkle Materie aus unbekannten Teilchen besteht. Da Dunkle Materie sich nur in ihrer Gravitationswirkung offenbart, muss es sich um Teilchen handeln, die mit anderen kaum interagieren, also wie Neutrinos millionenfach täglich durch uns hindurchrauschen, ohne dass wir das bemerken. Ihre Masse schätzt man auf etwa 10 bis 100 Protonenmassen – ein Proton entspricht einem Wasserstoffatomkern. Aufgrund ihrer Eigenschaften heißen die hypothetischen Teilchen „schwach wechselwirkende massive Teilchen“, oder englisch abgekürzt: WIMPs – Schwächlinge.

Ein Beispiel für die Dunkle-Materie-Jagd ist die Cryogenic Rare Event Search with Superconducting Thermometers (CRESST) – ein europäisches Gemeinschaftsprojekt, an dem das Max-Planck-Institut für Physik in München, die Universität Tübingen und die Technische Universität München beteiligt sind. Die Wissenschaftler wollen in einem Untergrundlabor im italienischen Gran-Sasso-Gebirge WIMPs anhand verdächtiger Spuren nachweisen. Die Partikel geben während ihrer seltenen Zusammenstöße mit Atomkernen minimal Energie ab. Mitunter dauert es Monate, bis es zu einen solchen Crash kommt, aber die freigesetzte Energie lässt sich bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt nachweisen. Der Detektor besteht aus Kristallen aus Kalziumwolframat, auf die dünne Filme eines supraleitenden Materials aufgebracht sind. Sobald sich die Temperatur auch nur um einige Millionstel Grad erhöht, hat das messbare Auswirkungen auf den Widerstand des Materials.

Energieschwankungen könnten aber auch von radioaktiver Strahlung rühren, daher erfasst CRESST zusätzlich die Szintillation, Lichtblitze, die bei einem Zusammenstoß entstehen. „Wir können auf diese Weise sehr gut unterscheiden, ob das Licht von Kernrückstoßen oder radioaktiver Strah­lung stammt“, sagt Gruppenleiter Franz Pröbst vom Max-Planck-Institut für Physik in München. Das besondere sei, dass auch WIMPs mit relativ kleiner Masse aufgespürt werden könnten. So entdeckten die Wissenschaftler tatsächlich bereits Signale für einen Sauerstoffrückstoß. Wären WIMPs die Ursache, käme das einer Sensation gleich: Sie wären leichter als angenommen und: Die dunkle Materie wäre endlich nach­gewiesen. Soweit ist es aber noch nicht: „Wir müssen weitere Ereignisse beobachten, um mehr über sie zu wissen“.

Das Eine-Milliarde-Teilchen

CRESST ist nicht das einzige Projekt, dass nach Dunkler Materie sucht. Derzeit laufen Programme mit kryptischen Namen wie ArDM, CDMS, DAMA, DEAP, EDELWEISS, EURECA, LUX, PICASSO, WARP, XENON oder ZEPLIN. Im Oktober haben neun Staaten ein völkerrechtliches Abkommen über die Errichtung des Beschleunigerzentrums FAIR in Darmstadt unterzeichnet – eines der komplexesten Beschleunigerzentren weltweit. Ziel des Eine-Milliarden-Euro-Projekts: die Fahndung nach dunkler Materie. Oder ihre künstliche Herstellung. Im CERN in Genf arbeitet man bereits daran.

Doch nach Kroupas Meinung könnte man sich diesen gewaltigen Aufwand sparen. Er glaubt, dass Newtons Gravitationsgesetze nur auf der Erde und im Innenbereich von Galaxien gültig sind – die Schwerkraft sei in den Randbezirken von Galaxien stärker als bislang gedacht. „Die Abweichungen sind winzig,“ sagt Kroupa. „Sie könnten durch quantenmechanische Prozesse entstehen, die sich durch den Einfluss der Raumzeit ergeben“. Ergänzt man die Gravitationsgesetze um diese Abweichungen, wären die Probleme auf einen Schlag gelöst: Die sichtbare Materie würde ausreichen, um das Verhalten der Galaxien zu erklären. Auch wenn noch unklar bliebe, ob die Abweichung überall im All funktioniert – das müsste sie, um sich als neues Standardmodell zu bewähren.

Würde die Dunkle Materie nicht existieren, hätte das Auswirkungen auf unser gesamtes Wissen vom Universum. Laut Standardmodell ist sie eine der Voraussetzungen dafür, dass sich nach dem Urknall Materie sammelte und zu größeren Objekten verklumpte. Insofern ist der Aufwand für die Suche nach einem Material, das immerhin 23 Prozent unseres Universums ausmachen soll, zumindest verständlich. Pavel Kroupa glaubt indes, dass die Geschichte des Universums umgeschrieben werden muss. Zur Zeit arbeitet er mit einigen Kollegen an einer völlig neuen, anderen Kosmologie.

Boris Hänßler ist Autor, Komparatist und ein Freund ungeklärter physikalischer Probleme

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