Roboters Meinung

Arbeitsorganisation Sie können einiges leisten, aber als Teams versagen sie. Forscher rätseln, wie sich Roboterschwärme steuern lassen. Taugt die Kakerlake als Vorbild oder der Mensch?

Roboter, die mit Libellenflügeln durch die Luft schwirren, Roboter, die hüpfen wie Heuschrecken oder solche, die sich durch das Wasser schlängeln wie Fische – das Vorbild Natur ist in der Robotik erkennbar. Wissenschaftler der Universität von Kalifornien haben sogar von Kakerlaken inspirierte Roboter gebaut, die nach Überlebenden in Katastrophengebieten suchen sollen – und inzwischen mit Flügeln ausgestattet sind. Ein CBS-Reporter, der sie sich angeschaut hat, sagte hinterher: „Die grusligen Roboter erinnern mich an Kreaturen, die nachts in meine Wohnung kriechen und mein Gehirn auffressen können.“ Nicht auszudenken, wenn sie demnächst als organisierte Teams anrücken.

Doch genau da liegt die Herausforderung der Robotik: Die einzelnen Roboter können an sich schon einiges leisten, aber als Teams versagen sie. „Es gibt grundsätzliche Schwierigkeiten“, sagt Serge Kernbach, der die Gruppe Collective Robotics an der Universität Stuttgart leitet. Die Probleme könne man mit dem sogenannten Drei-Körper-Problem der Himmelsmechanik vergleichen: Wie bewegen sich drei Objekte, zum Beispiel Sonne, Mond und Erde, unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen ­Anziehung? Dafür gibt es keine exakten mathematischen Formeln. Astrophysiker können Position und Geschwindigkeit lediglich durch Näherungsverfahren vorhersagen. Die Koordination von einer ganzen Roboterschar ist deshalb schwer zu lösen.

Kernbach entwickelt an seiner Hochschule in dem Projekt CoCoRo (Collective Cognitive Robots) Unterwassereinheiten, die wie Fischschwärme den Meeresboden absuchen sollen – etwa nach Bodenschätzen, der Black Box eines abgestürzten Flugzeugs oder einem Ölleck. Doch wie lassen sich solche Schwärme koordinieren? Jeder Miniroboter muss sich eigenständig bewegen können, ohne den Nachbarrobotern in die Quere zu kommen. Jeder muss bei mehreren Schwärmen wissen, zu welchem er gehört, wie groß der eigene Schwarm ist oder welche Fläche der gesamte Schwarm untersucht. Am einfachsten wäre für diese Aufgabe eine hierarchische Ordnung. Doch die Forscher wollen diese Lösung vermeiden, da der Ausfall eines Chefroboters das ganze System lahmlegen würde.

Vorbild Ameise

„Wir arbeiten bei Roboterschwärmen mit vier vielversprechenden Ansätzen“, sagt Kernbach. Zum einen versucht seine Gruppe über Simulationen und ständige Anpassungen ein bestimmtes Gruppenverhalten zu entwickeln. Beim Top-Down-Ansatz suchen sie nach einer Art allgemeingültigem Steuergesetz, das man auf alle Einheiten herunterbricht. Dann gibt es den Evolutionsansatz: Roboter treten dabei im Wettbewerb gegeneinander an. Derjenige mit der besten Lösung gibt Teile seiner Programmierung an die unterlegenen weiter. Das geschieht bei jeder Aufgabe, bis am Ende der Schwarm intelligenter oder in der Evolutionssprache „fitter“ wird.

Nicht zuletzt versuchen die Forscher Tierschwärme nachzuahmen. Bienen, Ameisen oder Kakerlaken arbeiten hervorragend als Teams zusammen. Ameisen etwa teilen sich bei der Umgehung eines Hindernisses auf: Die eine geht links, die andere rechts vorbei. Ameisen besitzen eine Drüse am Hinterleib, über die sie den chemischen Lockstoff Pheromon auf dem Weg hinterlassen. Die schnellere Ameise, die den eingeschlagenen Weg zurückkommt, hinterlässt dabei eine zweite Pheromonspur. Dadurch weiß die nachfolgende Ameise, dass dieser Weg häufiger benutzt und damit der bessere ist. Es gibt intelligenterweise trotzdem Ameisen, die den anderen Weg einschlagen. Mitunter finden sie für die Gesamtstrecke eine noch bessere Alternative. Für Roboterschwärme ist das Ameisenprinzip eine Möglichkeit, schnell eine optimale Route in einer fremden Umgebung zu ermitteln.

Doch reichen Tierschwärme als Vorbild? Um in einer komplexen, dynamischen Umwelt Aufgaben zu lösen, müssten Roboter eigentlich noch viel mehr können. Wissenschaftler der Universität Lissabon arbeiten deshalb an Schwärmen, die sich das organisierte Verhalten von Menschen zum Vorbild nehmen. Ein ehrgeiziges Vorhaben: „Wir sehen diese Arbeit als Experimentierfeld“, sagt Pedro Lima, der das Projekt „From Bio-Inspired to Institutional-Inspired Collective Robotics“ koordiniert. „Es geht uns nicht um ein konkretes System, sondern darum, die Basis für diese Robotik der Zukunft zu schaffen“. Dabei sollen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Erkenntnisse aus der sogenannten Institutionenökonomik einbringen – in Anlehnung an diese nennt Limas Team das Konzept „Institutionelle Robotik“.

Die Forscher gehen davon aus, dass für autonome Roboterschwärme eine Vielzahl von bisher nicht berücksichtigten Komponenten eine Rolle spielen. Menschen nutzen für unterschiedliche Aufgaben unterschiedliche Institutionen: Unternehmen, Regierungen, Märkte, Teams, Komitees, Gesellschaften oder Mailing-Gruppen. Die Roboter sollen lernen, selbstständig diejenige Institution zu wählen, die eine Aufgabe am besten erfüllen kann. In einem ersten Experiment etwa sollte ein Roboterteam Gegenstände aus einem Lager über einen Flur in ein Zimmer transportieren. Der Flur ist zu eng für zwei Roboter. In der von Tieren inspirierten Schwarmrobotik fahren die Roboter zunächst los. Sobald zwei Roboter sich im Flur begegnen, warten beide die Zeitspanne ab, die sie bereits im Flur unterwegs waren. Der Roboter, bei dem die Zeit zuerst um ist, gibt nach – er hat den kürzeren Rückweg.

Kollektiv ohne Chef

Nach institutioneller Logik stellen die Roboter hingegen zwei aus ihrem Team als Kontrolleure ab: Diese überwachen die Einfahrt auf beiden Seiten und lassen nur Roboter durch, wenn der Flur frei ist. Und nicht nur das: Die wartenden Roboter stellen sich in einer Schlange auf und fahren dann nacheinander los. Auf kurzer Strecke und mit wenigen Robotern ist die Tiermethode effektiver, da bei der institutionellen Robotik die Kontrollroboter als Transportkräfte fehlen. Je länger die Strecke ist und je mehr Roboter im Spiel sind, desto mehr setzt sich die in­stitutionelle Methode durch.

Das ist ein relativ einfaches Beispiel, die portugiesischen Forscher haben eine ganze Reihe von Regeln für diese Art von Robotik aufgestellt. So soll es bei größeren Einsätzen für unterschiedliche Aufgaben unterschiedliche Institutionen geben, sodass das gesamte Roboterkollektiv aus unterschiedlich aufgebauten Untereinheiten besteht, wobei prinzipiell jeder Roboter von einer Konstellation in eine andere wechseln kann. Institutionen können gleichwertige Teams sein, Hierarchien oder sogar mentale Konstruktionen wie der Aufbau einer gemeinsamen Software für eine bestimmte Aufgabe. Es gibt eine „Ideologie“, eine Art Missionsziel, auf welches das gesamte Robotersystem hinarbeitet. Einzelne Roboter können eine eigene „Meinung“ haben, die von der Ideologie abweicht. Sie können sich also in einem Schwarm anders verhalten als vorgegeben, um neue Wege zu prüfen. Durch gegenseitiges Loben und Tadeln steigen die Roboter im gegenseitigen Ansehen. Einige Roboter sind allerdings immer dafür zuständig, das Überleben des ganzen Kollektivs zu sichern. „Durch spätere Experimente hoffen wir auch, neue Einblicke in die Funktionsweise von menschlichen Organisationen zu gewinnen“, sagt Lima.

Vertrauen ist gut

Bevor es zu einer solchen Robotergesellschaft kommt, wäre aber zunächst eine menschliche Steuerung eines Roboterteams der praktikablere Ansatz. Doch selbst die ist schwierig, wenn die Steuerung von nur einer Person übernommen werden soll: Angenommen, jemand steuert zehn Roboter gleichzeitig, er wäre bei der Fülle an Informationen, die sie ihm liefern, überfordert. Karen Petersen von der Technischen Universität Darmstadt erforscht deshalb eine Methodik, die Roboterautonomie und menschliche Steuerung aufeinander abstimmen. „Es geht mir um die Frage, welche Aufgaben der Mensch und die Roboter erfüllen müssen, damit ein Einsatz optimal funktioniert“, sagt Petersen. Dabei schaut auch sie sich einiges von der menschlichen Teamarbeit ab, etwa von Katastropheneinsätzen. „Die Einsatzkräfte kommunizieren dem Einsatzleiter nicht jedes Detail ihrer Aktivitäten, sondern nur was für letzteren wichtig ist.“ Die Herausforderung besteht in der Robotik nun darin, ein System zu finden, das allgemeingültig ist, das bei einem Rettungseinsatz genauso funktioniert wie bei der Koordination eines Roboter-Fußballteams.

„Maschinen können zuverlässig Routine- und Rechenaufgaben durchführen und große Mengen an Informationen verwalten, während die Stärke des Menschen in den Bereichen Wahrnehmung, Interpretation und Flexibilität liegen“, sagt Petersen. So hat die Forscherin drei Arten von Informationen ausgemacht, die für die Steuerung sinnvoll sind: Erstens wichtige ­Arbeits­etappen, etwa wenn ein Raum komplett untersucht wird. Zweitens War­nungen, etwa wenn der Roboter wegen eines Hindernisses nicht weiterfahren kann. Und drittens Fehlermeldungen, etwa wenn ein Sensor keine Daten mehr liefert.

Letzten Endes muss das System auch an die Vorlieben des Steuernden angepasst werden. Vertraut dieser dem Roboterteam, handeln die Roboter eigenständiger, treffen aber wichtige Entscheidungen erst nach einer gewissen Zeit – so kann der Steuernde ein Veto einlegen. Mehr Kontrolle ist gegeben, wenn der Roboter die Entscheidung dem Steuernden überlässt, aber einen Vorschlag macht. Schließlich kann der Roboter ohne Vorschläge nur Alternativen aufzeigen – sozusagen für die Alphatiere unter den Steuerleuten. Ein bisschen Führung muss auch mit den intelligentesten Roboterschwärmen noch möglich sein.

Boris Hänßler ist Literaturwissenschaftler und lebt in Bonn

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