Die 15 Jahre alte Debatte um Universitäten ausschließlich für Frauen trägt Früchte. Parallel zur »Expo 2000« wird die »Internationale Frauenuniversität Technik und Kultur« (ifu) beweisen, daß Frauen »alles ganz anders denken« und einer »Virginia-Woolf-Universität« und einer »Technischen Universität für die Frauen Europas« den Boden bereiten, in der sich Frauen als »Gestalterinnen einer künftigen, womöglich sozial verträglicheren Zivilisation« zeigen.
Frauen haben anscheinend überzeugt. Daß sie als Studentinnen neuerdings so gefragt sind, ist allerdings blanke Not: Es mangelt an männlichen Studienanfängern. An allen Hochschultypen ist die Zahl der E
Zahl der Erstsemester in den Ingenieurwissenschaften drastisch gesunken. Besonders dramatisch war der Rückgang in Maschinenbau, Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen - den Fächern also, in denen Frauen bisher am seltensten anzutreffen waren (drei bis vier Prozent).Fachhochschulen erhalten ihre Finanzmittel nach der Zahl der Studierenden - einen Rückgang von bis zu 60 Prozent in einem Jahrgang spüren sie deutlich. Da muß man nicht Marketingspezialist sein wie der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen an der Fachhochschule Wilhelmshaven, Manfred Siegle, um das »Reserve-Heer« Frauen zu entdecken. Aber: Ist die materielle Not der Technischen Hochschulen wirklich die Chance der Frauen?1997 wurde der Frauenstudiengang Wirtschaftsingenieurin in Wilhelmshaven eingerichtet. Die Idee hatte die ehemalige Frauenbeauftragte und Leiterin der Studienberatung, Helga Urban. Stationen auf dem Weg dorthin waren: 1993 der erste »Mädchen-Technik-Tag« an einer niedersächsischen Hochschule, 1993 bis 1996 das Modellvorhaben »Motivation von Frauen und Mädchen für ein Ingenieurstudium«, 1996 die Einrichtung eines »Instituts für Frauenforschung« durch einen Kooperationsvertrag der Fachhochschulen Ostfriesland, Oldenburg und Wilhelmshaven. Helga Urban lehnte sich an das Darmstädter Modell eines Frauenbereichs Informatik an, das von Ulrike Teubner, Professorin im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften an der FH Darmstadt, konzipiert worden war.Besagtes Modell basierte auf Teubners Forschungen in Frankreich und den USA. Ihr Motto: »Die Trennung der Geschlechter ermöglicht den Frauen das Beste - und das Beste ist nicht das Frauenspezifische«. Trennung sei für Frauen deshalb das Beste, weil sie damit Raum erhielten, Verhaltensweisen auszuprobieren. Sie könnten Ungewohntes, Neues nicht entwickeln, wenn jede Bewegung unwillkürlich als unterschieden vom Männlichen oder im Hinblick auf das Männliche gedeutet werde. Durchsetzungsvermögen zum Beispiel, das deutsche Ingenieurstudentinnen oft nur in der direkten Auseinandersetzung mit Männern glauben erwerben zu können, beweisen in den USA gerade die Absolventinnen der Women's Colleges. »Offensichtlich führt gerade die Abwesenheit der Männer dazu, daß die Studentinnen lernen, Interessen eigenständig und selbstbewußt zu vertreten.«Ulrike Teubner glaubte nicht an einen weiblichen Denkstil oder einen spezifisch weiblichen Zugang zu Technik. Sie verankerte Technik- und feministische Wissenschaftskritik aus wissenschaftlicher Notwendigkeit im Curriculum. Ein Studiengang, der »das Beste« verwirklicht, bringt den bestehenden (und bleibenden) Studiengang für Männer und wenige Frauen in Zugzwang. Insofern ist er tatsächlich modellhaft und auch so gemeint - nur nicht so, wie der Dekan im Fachbereich Maschinenbau der Fachhochschule Wilhelmshaven, Manfred Siegle, ihn versteht. Er blickt nach einem Jahr begeistert auf die Erfolge des Frauenstudiums zurück, weil er sich Ausstrahlung auf die gesamte Hochschule verspricht: »Das Ziel ist also nicht, getrennt ausbilden zu wollen, sondern eine moderne, gute Koedukation zu haben, wo beide - Männer und Frauen - Möglichkeiten erhalten, Handlungskompetenz zu erreichen.«Auch die Fachhochschule Bielefeld will ihren Studiengang Elektrotechnik-Energietechnik nach fünf Semestern wieder allen Interessenten und Interessentinnen öffnen. So schnell wird den Frauen der eigene (Innovations)Raum wieder verschlossen. Haben die Demoskopen vorausgesagt, daß die männliche Nachfrage nach Ingenieurstudienplätzen wieder steigen wird? Die Fachhochschule Darmstadt registriert im September 1998 einen Bewerberzuwachs von 30 Prozent in der Elektrotechnik und 11,5 Prozent im Maschinenbau, was nicht heißt, daß diese Schulabgänger wirklich alle kommen, aber immerhin: neue Männer am Horizont.Professor Peter-Henning Gerloff von der Fachhochschule Aalen will ebenfalls nicht eine Feinwerktechnik ausschließlich für Frauen. »Nach derzeitiger Recherche ist ein derart inhaltlich für Frauen modifizierter Studiengang durchaus auch für Männer geeignet.« Schon die frühen Koedukationsstudien der Frauenforschung haben gezeigt, was Mädchen gut tut, tut auch Jungen gut, einfach deshalb, weil jede und jeder in seiner Einzigartigkeit Entfaltungsraum braucht. Das weibliche Bedürfnis, am Konkreten anzusetzen - Mädchen finden zuerst den Regenbogen spannend, danach die physikalische Formel - und die Technik im Zusammenhang mit den Menschen zu sehen, ist nichts weiter als ein menschliches Maß.Die Fachhochschule Aalen aber vermutet noch immer ein Defizit hinter dem Verhalten von jungen Frauen und meint, sie auf Männerniveau hinauffördern zu müssen, Gerloff: »Abiturientinnen schrecken vor dem Studium technischer Fächer zurück, auch wenn durchaus ein Interesse für Technik vorhanden ist. Unsere Idee ist nun, einen technischen Studiengang speziell für Frauen zu realisieren. Hier bietet sich das Fachgebiet Feinwerktechnik an, da es vermutlich eher Frauen anspricht als zum Beispiel Energie-Elektronik oder Maschinenbau. Feinwerktechnik ist das Zusammenwirken der Fachgebiete Mechanik, Elektronik, Optik, Informatik und Regelungstechnik, und dieses meist in kleineren Dimensionen.«Lange war der technische Normalstudent männlich, ein Tüftler, der noch - in der Nähe der Fachhochschule - bei den Eltern wohnte, der erste Bildungsaufsteiger der Familie. Er kam mit abgeschlossener Lehre an die Hochschule. Inzwischen fehlt auch 16 Prozent der Männer Praxiserfahrung - bei den Frauen sind es 37 Prozent. Wie lockt man sie trotzdem in die Fachhochschulen? Bielefeld wirbt beispielsweise mit der »verläßlich kurzen Studiendauer«. Wer mit 22 oder 23 Jahren ins Berufsleben einsteige, halte sich noch viele Wege für die weitere Lebens- und Familienplanung offen. »Der Wiedereinstieg in das Berufsleben ist in diesem Sektor nach einer Kinderpause wenig problematisch. Denn die in der Energiewirtschaft getätigten Investitionen werden oft auf 20 und mehr Jahre Betriebsdauer ausgerichtet. Das ist ein Garant für Kontinuität.« Welche Energieberaterinnen sind wohl in 20 Jahren gefragt?So räumt die Fachhochschule Bielefeld »Frauen gezielt Chancen auf einem sich rasant entwickelnden Markt ein, an dem sie bisher nur mit unter drei Prozent beteiligt waren.« Gleiche Chance am Start heißt allerdings noch nicht gleiches Eintreffen am Ziel. In diesem Jahr meldeten sich 65.000 IngenieurInnen arbeitslos. 20 Prozent von ihnen waren Frauen, obwohl ihr Anteil an den Studierenden weit unter zehn Prozent liegt. »Ingenieurinnen sind erheblich stärker von Arbeitslosigkeit bedroht als Ingenieure«, so die Bielefelder Soziologin und Studienberaterin Barbara Schwarze, »die Befürchtungen von Ingenieurstudentinnen, unter Qualifikationsniveau eingestuft zu werden, in der Arbeitsleistung geringer bewertet zu werden und als Mitarbeiterin weniger gefragt zu sein als ein männlicher Mitarbeiter, werden von bereits berufstätigen Ingenieurinnen geteilt.« Manfred Siegle sieht diese Gefahr nicht: Es sei die Industrie, die nach Frauen frage, erklärt der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen der FH Wilhelmshaven, insbesondere VW und Telekom - Unternehmen mit besonders engagierten Gleichstellungsbeauftragten.»Wir haben auch bemerken müssen«, schiebt Siegle nach, »daß wir diese Nachfrage nicht befriedigen konnten, weil unser Frauenanteil nur fünf Prozent betrug und haben dann gesagt: Wir wollen unseren erfolgreichen Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen den Frauen zugänglicher machen.« Wenn die Industrie es will, verbessert sich die Akzeptanz des Frauenstudiums. - Es läßt sich dann auch besser als Männerwerk darstellen.Daß sich Produktionsweisen verändern, fördert die Öffnung der Studiengänge für Frauen. Die Elektroindustrie etwa entfernt sich immer mehr von der klassischen industriellen Produktion und konzentriert sich auf dienstleistungsorientierte Angebote: Von der Finanzierung bis zum schlüsselfertigen Produkt. Für Ingenieure heißt das, mit Fachleuten aus anderen Disziplinen zusammenarbeiten zu können. Frauen, die »in besonderem Maß über Sensibilität, Verhandlungsgeschick, Teamfähigkeit« verfügen, sind daher besonders gefragt. Die Ingenieure der Zukunft müssen ein Produkt nicht nur entwerfen, sondern verkaufen können. Gesucht sind deshalb Studentinnen mit Sinn gleichermaßen für Mathematik, nicht-technische und nicht-naturwissenschaftliche Fächer, wie Marketing und Controlling, Betriebswirtschaft, Wirtschafts- und Sozialpsychologie, Sprachen und Moderne Energiepolitik.»Frauen wie du sind die besseren Manager«, gibt anbiedernd die Fachhochschule Wilhelmshaven zu. Frauen verfügen über die geforderte soziale und kommunikative Kompetenz und denken auch eher an die Umwelt. »Fast ein Viertel der mit diesen Qualifikationen gesegneten Ingenieurinnen arbeitet nicht in Führungspositionen, sondern woanders, etwa als angelernte Bürokraft«, berichtete die taz im August 1998. Barbara Schwarze von der Koordinierungsstelle Frauen geben Technik Impulse an der Universität Bielefeld meint dazu: »Frauen wählen einfach die falschen Fächer.«Frauen mögen die Bindestrich-Studiengänge, die schon im Namen die Verbindung mit Marketing, Umwelt oder Fremdsprachen andeuten. Absolventinnen solcher Fächer will die Industrie aber nicht. Nach den Worten von Gernot Dorn, Hochschulkoordinator der Siemens AG in Frankfurt, wünscht sein Unternehmen gestandene Elektrotechniker. Wer eine Disziplin von der Pieke auf gelernt habe, der könne neuen Fragestellungen ausgesetzt werden und auch mit anderen Disziplinen erfolgreich kommunizieren. Wer aber von vornherein Technik, Wirtschaft, Gesellschaftswissenschaften und Sprachen gleichzeitig studiert habe, besitze in allem doch nur ein Schmalspurwissen. Widerspricht sich die Industrie, wenn sie ewig fehlende Schlüsselqualifikationen bemängelt, oder betrügen die Fachhochschulen die Frauen letztlich gerade durch den neuen Zuschnitt von Studiengängen?Im Vergleich dazu die geplanten Frauen-universitäten: Die ifu, die als EXPO-Projekt vom 15. Juli bis zum 30. Oktober 2000 tagen wird, tritt nicht mit einer neuen Kombination von Fächern auf. Sie wendet sich Problemen zu, formuliert eine Frage und versucht, sie interdisziplinär zu beantworten. Das Projekt eines neuen Wasserbauwerks - eines Kanals zum Beispiel - begänne dann damit, daß sich Studentinnen (post graduate) und Dozentinnen (international) die Kulturgeschichte des Wassers wachrufen: Brunnentempel, Opfer, magische Praktiken - undenkbar in der Universität der Tüftler und Techniker, »die immer nur ihr Fach sehen.« Die 1.000 Studentinnen aus aller Welt werden sich ihrer Aufgabe - am Ende steht ein Produkt - nicht nur mit klassisch akademischen Methoden nähern, sondern auch künstlerische Zugänge suchen. In sieben Projektbereichen gilt Multiperspektivität. Die Themenfelder aus den Fächern der Naturwissenschaft, Technik und Medizin sind so komplex, daß sie nicht von einer Einzelwissenschaft bewältigt werden können. Unter den Stichworten »Arbeit«, »Migration«, »Körper«, »Intelligenz«, »Information«, »Wasser«, »Stadt« aber lassen sich brennende Zukunftsfragen angehen. Das Jahr 2000 wird zeigen, ob das, was »anders gedacht« ist, auch andere Ergebnisse hat.
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