Kwasniewski blockt Miller

Polen Der sozialdemokratische Präsident droht mit einem Veto gegen das Pressegesetz des sozialdemokratischen Premiers, der eine Liberalisierung des ...

Der sozialdemokratische Präsident droht mit einem Veto gegen das Pressegesetz des sozialdemokratischen Premiers, der eine Liberalisierung des Fernsehmarktes begrenzen will
Wer das tägliche Zeitungsangebot in Polens Hauptstadt genauer betrachtet, kann keine akuten Gefahren für die Meinungsvielfalt des Landes ausmachen wie es die hitzige Debatte um das neues Mediengesetz der Mitte-Links-Regierung von Leszek Miller zuweilen suggeriert. Für achtbaren Qualitätsjournalismus bürgt unangefochten Platzhirsch Gazeta Wyborcza mit einer halben Million verkaufter Zeitungen täglich, gefolgt von der ebenfalls als seriös und liberal-konservativ geltenden Rzeczpospolita mit gut 250.000 Exemplaren. Blätter, die sich dank ihrer Reputation, wie sie im Übrigen auch sämtliche Wochenzeitungen reklamieren, gern als Kontrollinstanz des Staates und unabhängige Informationsquelle im Dienste des Lesers empfehlen.
Weniger in diesem Anspruch, wohl aber in der Auflage werden die beiden Großen landesweit klar von den Regionalblättern der Gruppe Polskapresse übertroffen (s. Übersicht). Mit 15 Zeitschriften und Regionalblättern sowie 44 Lokaleinlagen verkauft dieses Unternehmen, hinter dem niemand anders als die deutsche Verlagsgruppe Passau steht, täglich über eine Million Zeitungen. In Deutschland besaßen die Mittelständler aus Bayern vor zehn Jahren nicht viel mehr als das im Volksmund "Katholen-Prawda" genannte orthodoxe Provinzblatt Passauer Neue Presse. Nun aber, zunächst fast unbemerkt von der polnischen Öffentlichkeit, ist mit dem Engagement in Polen der Einstieg in einen der dynamischsten Pressemärkte Osteuropas gelungen, nachdem Geschäftsführer Franz Xaver Hirtreiter 1994 die polnischen Blätter der in Turbulenzen geratenen französischen Hersant-Gruppe erworben hatte.
Befürchtete Proteste gegen einen deutschen Mehrheitsaktionär in den einstigen deutschen Ostgebieten blieben trotz galoppierender Expansion der Passauer aus. Allein beim Kauf der legendären Gazeta Olsztynska vor vier Jahren regte sich Unmut. Als Instinktlosigkeit wertete es damals die integre Polityka, dass ausgerechnet ein deutscher Verlag, dem eine "gewisse Nähe" zur CSU und zu den Vertriebenenverbänden attestiert werde, ein "nationales Symbol" übernommen habe. Die bereits 1882 gegründete Gazeta Olsztynska galt von ihrer ersten Ausgabe an als Blatt der polnischen Bevölkerungsgruppe im ostpreußischen Ermland - einige ihrer Redakteure wurden nach 1939 in deutsche Konzentrationslager verschleppt und ermordet.
Doch konnten die Passauer Verleger alle Skeptiker bald beschwichtigen, indem sie zu erkennen gaben, dass es ihnen keineswegs darum ging, Einfluss auf die regionale Politik zu nehmen - allein der regionale Anzeigenmarkt galt als Objekt der Begierde. Gazeta Olszynska mutierte zur Buntpostille mit heiter-biederem Grundton und ohne investigativen Journalismus, um die Werbekunden nicht zu schrecken.
Zwischenzeitlich teilen drei Verlagsgruppen den polnischen Regionalmarkt unter sich auf, wobei die Passauer mit einem Marktanteil von 42,1 Prozent unangefochten vorn liegen. Als Nummer zwei behauptet sich die Gruppe Agora mit ihrem Flaggschiff Gazeta Wyborcza, Rang drei belegt die Medientochter des norwegischen Mischkonzerns Orkla, dem Mehrheitsgesellschafter bei Rzeczpospolita. Damit schließt sich der Kreis, und die Frage nach dem neuen Pressegesetz, nach Liberalität und Pluralität des polnischen Medienmarktes, erfährt eine etwas andere Akzentuierung, wenn auch keine überraschende für ein Transformationsland in Osteuropa.
Das Bild rundet sich, wird nach Giganten des deutschen Medienmarktes wie Gruner Jahr, Heinrich Bauer und Axel Springer gefragt. Die tummeln sich bisher ausschließlich auf dem Boulevardmarkt, dem sie Millionenauflagen bei Frauen-, Jugend- und Fernsehzeitungen (Marktanteil 2001: 40 Prozent) bescheren. Im Herbst vergangenen Jahres ging schließlich Axel Springer Polska mit einer polnischen Ausgabe von Newsweek einen weiteren Schritt in Richtung Osteuropa. Eine Kampfansage an respektable Wochenblätter wie Polityka, die dem Focus ähnliche Nachwendegründung Wpost und den linksliberalen Pzeglad. Newsweek debütierte mit einer Startauflage um die 100.000 - man wolle den Markt "langsam aufrollen", hieß es.
Diese forcierte Konzentration gab jedoch nicht den Anstoß für den Entwurf des umstrittenen Pressegesetzes, das die Regierung von Leszek Millers gern vor der parlamentarischen Sommerpause durch den Sejm bringen würde. Die Novellierung zielt auf Zeitungsverlage mit überregionalen Blättern, denen es künftig verwehrt werden soll, zusätzlich Rundfunk- oder Fernsehsender zu unterhalten. Die Opposition von der liberalkonservativen Bürgerunion (PO) bis zur nationalklerikalen Liga Polnischer Familien (LRP) wirft dem Premier daraufhin - nicht ganz zu Unrecht - vor, damit keineswegs die mediale Pluralität retten zu wollen, sondern einzig und allein nach mehr Medienkontrolle im Interesse des Staates zu streben. In seltener Einmütigkeit gingen die ansonsten erbitterten Rivalen Rzeczpospolita und Gazeta Wyborcza auf Konfrontationskurs zur Koalition aus Linksunion (SLD), Bauernpartei (PSL) und Arbeitsunion (UP), um den Gesetzesvorstoß als Angriff auf die Pressefreiheit zu verwerfen. Ein so schweres Geschütz, dass prompt drei Rzeczpospolita-Geschäftsführern die staatliche Steuerfahndung ins Haus schneite, was die Betroffenen sofort als Versuch einer feindlichen Übernahme durch den Minderheitseigner Staat missdeuteten. Adam Michnick, Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, wetterte, es gehe Miller keineswegs um Meinungsvielfalt. Der Premier wolle lediglich den Status Quo auf dem nationalen Fernsehmarkt konservieren, den bekanntlich noch immer die beiden landesweit ausstrahlenden Staatskanäle mit ihren lokalen Dependancen (s. Übersicht) beherrschten. Dem hatten die Eigentümer der Gazeta Wyborcza ein eigenes Angebot mit dem Label "Ereignisfernsehen" entgegensetzen wollen. Der Agora-Trust besitzt bereits ein kleines Netz regionaler Hörfunkanbieter, die er nach dem neuen Gesetz einbüßen dürfte.
Wie ließe sich "selbstlose Regierungsarbeit im Dienste Polens" vorteilhafter in Szene setzen und das Image eines Politikers eindrucksvoller kolportieren als über das eigene Fernsehen, ärgerte sich Michnick öffentlich und sparte nicht mit Manipulationsvorwürfen an die Regierung. Wieder einmal geisterte das alte Gespenst von den postsozialistischen Seilschaften, die Polen angeblich noch immer umklammert halten, durch Bäuche und Köpfe. Die Kontroverse zeigte Wirkung, Präsident Kwasniewski - Sozialdemokrat wie der Premier, wenn auch für die Dauer seiner Amtszeit mit ruhender Parteimitgliedschaft - ließ wissen, er werde gegen die Gesetzesvorlage in dieser Form sein Veto einlegen.

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