Ihre geblümten Kleider und flachen Schuhe, die grau gewellten Haare, hohe Sopranstimme und Höflichkeit - alles an Florence Montreynaud, 52, erweckt den Eindruck einer "Bourgeoise". Das ist das spöttische Etikett, das ihre Gegner der Schriftstellerin anheften, die seit einem Jahr als "Rudelführerin" der "Wachhündinnen", ihres Verbands gegen sexistische Beleidigungen, in den französischen Medien von sich reden macht. "Wenn Âbourgeois bedeutet, höflich zu sein und andere zu respektieren, dann bin ich eben eine Bourgeoise. Die das nicht ausstehen können, sind Rassisten. Ich sehe keinen Grund, meine Herkunft zu verleugnen," erklärt Florence Montreynaud mit ihrem entwaffnenden Lächeln, wobei der Schalk ihr aus den braunen A
Die "Rudelführerin"
AUTORINNENPORTRÄT Wie Florence Montreynaud, die Autorin des "20. Jahrhunderts der Frauen", zur Gründerin der zähnefletschenden Wachhündinnen wurde
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n Augen blitzt.Sie ist tatsächlich in einer gutbürgerlichen französischen Familie aus dem Elsaß aufgewachsen. Die Mutter war Malerin und "eine Frau, die auf gewählte Ausdrucksweise Wert legte". Der Vater, ein bekannter Mathematiker und Absolvent der Elitehochschule ÂPolytechniqueÂ, vertrat die Meinung, Mathematik sei nichts für Mädchen. So studierte Florence Montreynaud Sprachen und Politikwissenschaft. Und da war die Großmutter, die in den zwanziger und dreißiger Jahren an einer Mädchenschule unterrichtete. Sie erzählte der Enkelin, wie sich der Hausmeister dieser Schule, "ein dummer, ungebildeter Kerl" vor den Mädchen damit brüstete, als einziger an der Schule wählen zu dürfen, weil er eben ein Mann war. Die Großmutter war empört, dass damals nicht einmal die zweifache Nobelpreisträgerin Marie Curie das Wahlrecht hatte.1972 gebiert Florence Montreynaud ihre erste Tochter - zwei weitere Töchter und ein Sohn werden folgen. Sie fragt sich: "Was werde ich meiner Tochter über die Frauen in der Geschichte erzählen?" Außer der Heiligen Johanna auf dem Scheiterhaufen fielen ihr gar nicht so viele ein. "Welche Vorbilder kann ich ihr vermitteln in dieser aus Männersicht und von Männern geschriebenen Geschichte?" So kam ihr die Idee zu einem "20. Jahrhundert der Frauen" - zunächst in Form von Geschichten, die sie der Tochter erzählen wollte. 1972 war auch das Jahr, in dem eine Frau die beste Absolventin der polytechnischen Eliteschule wurde. Es war noch nicht lange her, dass Mädchen hier überhaupt aufgenommen wurden. Damit war die These des Vaters von der Unbegabtheit der Frauen für Mathematik widerlegt. Montreynaud fragte sich, welche andere Richtung ihr Leben genommen hätte, wenn der Vater die Tochter so wie die Söhne zum naturwissenschaftlichen Studium ermutigt hätte. "Ich betrachtete das Kind und dachte an all die Möglichkeiten, die offen vor ihm lagen, und daran, was der Menschheit entgangen ist, indem sie die weiblichen Talente beiseite schob oder verleugnete".Sie beschloss, Vorurteilen zu Leibe zu rücken, stöberte in den Bibliotheken, durchflog Nachschlagewerke, Bücher und Zeitschriften, sprach mit Zeitzeuginnen. Kistenweise häuften sich die Dokumente in ihrer Wohnung. Bis sie eines Tages zur Feder griff, um das Leben dieser Frauen und ihren Beitrag zu den Umwälzungen des 20. Jahrhunderts aus der Sicht einer Feministin zu erzählen. Die turbulenten siebziger Jahre mit den Frauen der feministischen Befreiungsbewegung (MLF) waren vorüber. Anfang der achtziger Jahre hatte sich die Gegenoffensive der Machisten durchgesetzt. Verleger wollten nichts mehr von Frauenbewegung oder Frauenbefreiung wissen. Vier oder fünf lehnten ihr Projekt ab, bis der sechste es schließlich akzeptierte.Wie aber schreibt man die Enzyklopädie eines Jahrhunderts als Mutter von vier Kindern? Die präzisen Gesten, das immer wohlwollende Lächeln, die eiligen, zielstrebigen Schritte von Florence Montreynaud verraten Selbstbeherrschung, Disziplin und Energie. Und die braucht es, um ein solches Werk zu schaffen, das unter der Devise entsteht: "Et liberi et libri", sowohl Kinder als Bücher, ihr Gegenargument zu: "aut liberi aut libri", entweder Kinder oder Bücher, womit man früher die Mädchen vom Studieren abhalten wollte. "Ich habe im Rhythmus der Schulzeit gelebt mit genauer Zeiteinteilung", erzählt sie. Wenn die Kinder in der Schule waren, hat auch sie gearbeitet. Vormittags von halb neun bis zwölf. Das Mittagessen wurde gemeinsam eingenommen. Zwischen 14 und 16 Uhr ging es zurück an die Arbeit. Wenn die Kinder aus Schule bzw. Kindergarten kamen, wurde die Hausarbeit gemeinschaftlich verrichtet: aufräumen, abwaschen, kochen, nähen - jeder musste mit anpacken. Nach dem Abendessen machte sie sich nochmals für etwa zwei Stunden ans Werk. "In acht Stunden pro Tag, fünf Tage in der Woche kann man schon ein gutes Stück Arbeit leisten", rechnet sie vor, ohne die nötige Ausdauer zu erwähnen. Die Geschichte der Frauen der ganzen Welt, Jahr für Jahr, von 1900 bis zum Jahr 2000 - samt historischem Kontext - zu schreiben, das ist eine Herausforderung.Sie ist umso bedeutender, als es um die Geschichte des 20. Jahrhunderts geht, in dem es zu den entscheidendsten Umwälzungen im Leben der Frauen kommt: zur Befreiung der Köpfe durch die Aufnahme der Frauen in Universitäten und männliche Eliteschulen; zur Befreiung der Hände dank technischer Errungenschaften wie Waschmaschine oder Mikrowellenherd; zur Befreiung der Bäuche durch Empfängnisverhütung.Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Frauen, die das 20. Jahrhundert prägten? "Sie wurden meistens von dem aufmerksamen, bewundernden Blick des Vaters auf ihrem Weg begleitet. Darum ist es so wichtig, dass die Väter zu ihren Töchtern sagen: ÂDu bist begabt und wirst im Leben Erfolg haben. Das sind Worte, die wirken das ganze Leben hindurch."Diese Aufmerksamkeit und Ermutigung durch den Vater hat wohl auch die deutsche Mathematikerin Emmy Noether, Tochter von Max Noether, erfahren, um nur ein Beispiel aus dem "20. Jahrhundert der Frauen" herauszugreifen. Wer kennt schon die Erfinderin der modernen Algebra, die im Jahr 1900 zur Universität zugelassen wurde - allerdings nur als freie Zuhörerin - und 1915 Professorin wurde - allerdings ohne Gehalt. Wer weiß schon, dass die "Noetherschen Knoten" auf der Relativitätstheorie einer Frau beruhen, die sich trotz aller Hindernisse durchgesetzt und eine eigene Mathematikschule gegründet hat?Manchmal, wenn die Autorin den Bogen vom Anfang bis zum Ende des Jahrhunderts spannt, stellt sie fest, dass Utopien nicht immer umsonst geträumt werden. So wollte schon 1917 die brillante sowjetische Intellektuelle Alexandra Kollontai die Frauen vom "Joch der Hausarbeit" befreien. Diese zeitverschlingenden Aufgaben sollten gemeinschaftlich bewältigt werden. Im Jahr 2000 hat die Finnin Liisa Joronen den Traum der sowjetischen Politikerin in die Tat umgesetzt - wenn auch nur auf Unternehmens- statt auf Landesebene. Unter den 2700 Angestellten ihrer Firma gibt es weder Sekretärinnen noch Putzfrauen. Diese undankbaren Arbeiten werden von allen geteilt. Auf Familienebene hat die Autorin die Idee der Hausarbeitsteilung verwirklicht.Träume sind nötig, schreibt sie am Schluss ihres Werks. Wer hätte 1900 gedacht, die Frauen könnten den Zyklus ihrer Fruchtbarkeit und damit ihr Leben bestimmen? Warum sollte man also nicht von einer Welt ohne Prostitution und ohne Gewalt gegen Frauen träumen dürfen, ja, solch eine Welt auch einfordern, wie es die Organisatorinnen vom Weltmarsch der Frauen 2000/2001 tun? Nur wer seine eigene Geschichte kennt, kann sich auch in die Zukunft projizieren. Zu diesem Zukunftsprojekt soll ihr Werk, das auf 20 Jahren feministischer Forschung beruht, beitragen.Die Kinder der Schriftstellerin sind mit den Geschichten der Frauen, deren Leben sie erforschte, aufgewachsen, so auch ihr Sohn Laurent. Der aber seufzte: "Mutti, wann wirst du mir endlich Männergeschichten erzählen?" So hat sich die Autorin nach zehnjähriger Frauengeschichtsforschung und dem Erscheinen der ersten Ausgabe des "XXe siècle des femmes"* 1989 den Männern zugewandt, um ihre Beziehung zu Frauen zu erforschen. Daraus ist fünf Jahre später eine weitere Enzyklopädie entstanden: "LOVE. Ein Jahrhundert der Liebe und Leidenschaft"**: fast 100 Liebesgeschichten aus der Zeit von 1900 bis 1998, aus allen Kontinenten und 26 Ländern. Von den Curies, den Klarsfelds, den Christos über Virginia und Leonard Woolf, Kurt Weill und Lotte Lenya, Marilyn Monroe und Arthur Miller, Louis Aragon und Elsa Triolet, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir bis Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta, Tony Blair und Cherie Booth, Petra Kelly und Gert Bastian, Boris Becker und Barbara Feltus. "Love" erzählt die Geschichte dieser Paare, wie sie ihr privates Glück suchten und dabei oft völlig neue Beziehungsmodelle entdeckten - wie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, die immer in getrennten Wohnungen lebten und nie miteinander gefrühstückt haben.Als Auswahlkriterium galt, jeder Partner allein oder beide zusammen mussten ein bedeutendes Werk geschaffen oder das Paar musste vorbildlich auf die Gesellschaft gewirkt haben. Durch die Einbindung der Paare in ihren historischen Kontext - die Entdeckung der Psychoanalyse oder die Enthüllungen des Kinsey-Reports - schreibt das Buch wieder ein Stück Geschichte des Jahrhunderts. Im "ausgewogenen Paar" des 20. Jahrhunderts sieht Florence Montreynaud einen der großen Fortschritte in der Beziehung zwischen Männern und Frauen. Basis dieses Erfolgs ist die allmähliche Gleichstellung der Frauen im Abendland. Aber auch diese Paare können auseinanderbrechen, wenn es dem Ehemann schwerfällt, den Erfolg seiner Ehefrau anzunehmen. Montreynauds Beispiel: Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta.Nach dem fünfjährigen Ausflug ins Reich der Männer und Paare kehrte die Schriftstellerin zum "20. Jahrhundert der Frauen" zurück und ergänzte es um zehn weitere Jahre bis zum Ende des Jahrtausends.Die Arbeit war noch nicht abgeschlossen, da hörte sie in den abendlichen Fernsehnachrichten, wie die grüne Umweltministerin Dominique Voynet beim Besuch der Landwirtschaftsmesse von französischen Bauern angepöbelt wird: "Zieh deinen Schlüpfer aus, du Schlampe!" schrien sie und: "Wir werden dein Fell schon noch kriegen!"Zuviel ist zuviel, findet Montreynaud und erinnert sich an jenen Tag im Jahre 1978, als sie selbst einer solchen Anpöbelung wegen die Flinte ins Korn warf. Damals stand sie ganz oben auf der Liste der Bewegung "Choisir" und hatte beste Chancen, bei den Kommunalwahlen in den Gemeinderat gewählt zu werden. Da sah sie eines Morgens quer über ihr Wahlplakat das Wort "PUTE" (Hure) geschmiert. Sie zog sich aus dem Wahlkampf und aus der Politik zurück. Zwanzig Jahre später reagierte sie so, wie sie damals hätte reagieren sollen: mit einer öffentlichen Gegenoffensive. Sie verfasste das Gründungsmanifest der "Chiennes de garde"***, der Wachhündinnen oder watchdogs: "Wer eine Politikerin mit sexistischen Ausfällen beschimpft, beleidigt alle Frauen. Jede Frau, die eine öffentliche Rolle übernimmt, wird nach ihrem Äußeren beurteilt und etikettiert, als Mutter, Kumpel, Putzfrau, Lesbe, Hure. Das reicht! Wir, die Wachhündinnen, fletschen die Zähne." Auf Anhieb kamen 627 Unterschriften zusammen. Heute sind es mehrere Tausend. Ein Viertel kommen von Männern, darunter so bekannte wie der Schriftsteller Regis Debray, der Politologe Olivier Duhamel, der Soziologe Alain Touraine. Auch ihr Vater gehört dazu. Die Aktionen der Meute mit ihrer "Rudelführerin", wie sie sich fortan nennt, haben die Chauvinisten der Nationalversammlung ganz schön eingeschüchtert. Unter der Aufsicht der Wachhündinnen bleiben sexistische Äußerungen fortan Tabu.Eine der medienträchtigsten Aktionen der Hüter der weiblichen Würde hat sich im berühmten Restaurant Fouquet's auf den Champs-Elysées abgespielt: In diesem altehrwürdigen Lokal, Treffpunkt der Prominenz, wollten zwei junge Frauen, Nadine Diatta aus Afrika und die Französin Elisabeth Lubinsky, eines Sonntagsnachmittags Tee trinken. Sie wurden abgewiesen, weil sie ohne männliche Begleitung erschienen. Über dem Tresen des über hundertjährigen Etablissements hängt nämlich ein Schild mit der Inschrift: "Damen ohne Begleitung ist der Zutritt verboten". Man starrte sie an, als wären sie Straßenhuren. Flugs wandten sie sich an die Wachhündinnen, und die Meute hat gleich zweierlei durchgesetzt. Nicht nur trägt das Schild jetzt den Zusatz: "Historische Erinnerung, heutzutage ohne Gültigkeit. Geschenk der Wachhündinnen." Auch wurde der Organisation die Entschuldigung der Chefin des Fouquet's präsentiert, und das Rudel wurde zum Weltfrauentag zu Champagner und freiem Buffet eingeladen.Der Medienerfolg der Wachhündinnen ist immens. Überall wird von ihnen gesprochen: in Radio und Fernsehen wie in den Salons und Cafés. Mit Humor und ohne Agressivität - bei Demonstrationen werden Hundemasken aufgesetzt und selbstgedichtete Lieder gesungen -will Florence Montreynaud gegen den zähen Chauvinismus im Land der Galanterie ankämpfen. Nein, nicht kämpfen, sagt sie, vielmehr etwas in Bewegung setzen. Sie ist keine Virago. "Wir bellen, aber wir beißen nicht." Sie will den Männern die Hand reichen. Ihr Ziel ist die Harmonie zwischen den Geschlechtern. Auf den Vorwurf ihrer Gegner, sie kümmere sich als bourgeoise Intellektuelle nur um verbale Gewalt, nicht um die wirkliche, antwortet sie: "Worte können tödlich verletzen. Ich kenne Frauen, die sich das Leben genommen haben, weil sie der Vater als 'Hure' verschrie." Sexistische Beleidigungen sind für sie nur die Spitze des Eisbergs, in dem sich machistisches Denken verbirgt, und gerade das will sie ändern. Jeden Tag bekommt sie Zuschriften von Kassiererinnen, Verkäuferinnen, Praktikantinnen, von Frauen, die sich durch ihre Aktion bestärkt fühlen. "Wenn schon prominente Frauen angepöbelt werden, wie muss es da erst um die namenlosen Frauen in der Arbeitswelt stehen?" fragt sie sich.Sie freut sich über den unerwarteten Erfolg ihrer Aktion. Es sei auch ein Sieg über sich selbst. Sie denkt daran, wie schüchtern sie mit zwanzig war, unfähig vor einem größeren Publikum zu sprechen. "Darum bin ich nicht Lehrerin geworden, sondern habe mich fürs Schreiben und Forschen entschieden." Später nahm sie Kurse im freien Sprechen, heute verdient sie ihr Geld u.a. mit Vorträgen. Ihren größten Erfolg aber hat sie gerade erfahren: Das Manifest der Wachhündinnen wird in ein französisches Schulbuch aufgenommen! Das ist für die Historikerin des Feminismus ein historisches Ereignis.* Le XXe siècle des femmes Florence Montreynaud, Nathan-Verlag, Paris 1999, 830 S.** Florence Montreynaud, LOVE. Ein Jahrhundert der Liebe und Leidenschaft, Bendikt Taschen Verlag, Köln 1998, 463 S., 49,95 DM.*** chiennesdegarde@altern.org
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