Bildhauerinnen sind selten. Noch seltener aber ist wohl eine Künstlerin vietnamesischer Herkunft, die in Afrika ihre Zelte aufgeschlagen hat, wie Kaidin Monique Le Houelleur, Preisträgerin der Weltausstellung in Hannover.
In der Halle Nummer 11 erhob sich die Monumentalskulptur: ein Kegel, 15 Meter hoch. In dem Kegel eine afrikanische Frau, die eine gigantische Kugel - 10 Meter Durchmesser - auf dem Kopf trägt. Wasser fließt kaskadenartig aus der vegetabilischen Sphäre. Doch die Afrikanerin trägt nicht nur Wasser, dieses immer rarer werdende Element, sie ist die Zukunftsträgerin des gesamten Kontinents. »Ohne die Frauen läuft nichts in Afrika. Sie bestellen die Felder, bringen Kinder zur Welt, ernähren ihre Familie, tragen Wasser, treiben Ha
treiben Handel«, kommentiert die Preisträgerin des Wettbewerbs für die Afrikahalle das von ihr entworfene »Symbol des Lebens«. »Als meine Tochter sechs Jahre alt war, hat sie mich gefragt: »Mama, warum sind es nur immer die Mädchen und Frauen, die das Wasser tragen, warum nicht die Jungen? Das ist doch ungerecht.«Szenenwechsel. Wir befinden uns in dem Pariser Atelier der Künstlerin, nahe der Bastille. »Eigentlich ist das hier mehr ein Depot als eine Werkstatt«, bemerkt sie als Entschuldigung für das Sammelsurium von Objekten und Skulpturen, das sich da bunt durcheinander auf Regalen oder am Boden anhäuft. Die Bildhauerin ist nur auf Durchreise. Aus Hannover kommend, fliegt sie zurück nach Abidjan, ihrer Wahlheimat. Ihre Pariser Wohnung in der Nähe des Pantheon ist Durchgangsstation. Wirklich zu Hause aber fühlt sie sich in Afrika. »Die Vegetation, der Duft, die Farben, das alles erinnert mich wohl an meine vietnamesische Kindheit.«In ihrem Pass steht: Staatsbürgerin der Elfenbeinküste, geboren in Hué, der Stadt der Imperatoren, Vietnam. Die zierliche Frau mit dem sehnigen Körper symbolisiert mit ihrem Leben und ihrem Werk die Verquickung von Kulturen. Die olivgrüne Hose geht bis zu den Waden. An den nackten Armen blitzen schöne silberne Armreife. »Sie kommen aus der Wüste der Tuaregs«, erklärt sie. Mit den Kindern der Tuaregs hat sie Ausstellungen in Paris und Tokyo organisiert, hat sie malen und Wachs- und Bronzefiguren machen lassen. Der Ertrag der Ausstellungen ging an das Nomadenvolk, das seine Heimat in der Wüste verloren hat infolge der von Kolonialherren willkürlich gezogenen Grenzen. Denn die Sahara ist zwischen verschiedenen Staaten aufgeteilt, die bei Überschreiten ihrer Grenzen alle ein Visum verlangen. So werden aus den stolzen Nomaden nach und nach sesshafte Bauern - oder auch Bettler - die sich in der Nähe großer Städte wie Agadir oder Tumbuktu ansiedeln. In den Worten der Künstlerin schwingt Mit-Leidenschaft, Bedauern für das allmähliche Verschwinden dieser Kultur, deren Reste sie sammelt und künstlerisch umsetzt. Wie zum Beispiel jene riesige Zeltplane, eine alte, wieder und wieder zusammengeflickte Kamelhaut, die an der Wand des Ateliers aufgespannt ist. Fünfmal hat sie im Ranchrover die Wüste durchquert auf den Spuren dieses Volkes, das sie liebt. Insbesondere die Frauen, die Bewahrerinnen der Tradition, die ihre Kinder selbst unterrichten, sie im Sand die Schriftzeichen lehren und ihnen die Legenden ihres Volkes erzählen. »Die Tuaregs sind monogam. Eine Frau kann ihren Mann mit ihren Kindern verlassen. Auch Beschneidung kennen sie nicht«, sagt Kaidin, selbst Mutter von fünf Kindern von zwei verschiedenen Ehemännern und Großmutter von sechs Enkelkindern. Ein reiches Leben hat die künstlerische Spätstarterin schon hinter sich. Und noch ist die etwa Sechzigjährige in voller Entwicklung.Nur vier Jahre hat sie zusammen mit ihren Eltern, der vietnamesischen Mutter und dem französischen Vater, in der ursprünglichen Heimat Vietnam verbracht. 1945 zogen sie nach Frankreich. Doch der Vater wurde als Bauingenieur von seiner Firma nach Afrika geschickt. Die vierjährige Tochter ließen die Eltern bei der Großmutter in der französischen Provinz zurück. Mit siebzehn will sie auf die Kunsthochschule, doch der Vater erhebt Einspruch und holt seine Tochter zu sich in den Tschad. Inzwischen von der Mutter geschieden, lebt er allein in einem Dorf mitten im Urwald. Die Tochter aber verliebt sich kurz nach ihrer Ankunft, wird prompt schwanger und »muss« heiraten. Der Vater steht auf Konventionen. Mit 25 Jahren und drei Kindern - »in den sechziger Jahren war Kontrazeption noch ein Fremdwort« - ist sie bereits wieder geschieden und heiratet ihren zweiten Mann, einen französischen Ingenieur wie der Vater. Sie beginnt mit den wunderbaren afrikanischen Stoffen zu basteln, macht Puppen aus Stoffresten, dekoriert ihre Wohnung und die ihrer Freunde. Von den Stoffen wechselt sie zu Blech und Eisen, schweißt sie zusammen. 1977 realisiert sie ihre erste Monumentalskulptur aus Stahl, sieben Meter hoch, für das Finanzministerium in Abidjan. Arp und Brancusi sind ihre Vorbilder. Sie bekommt Aufträge für weitere Skulpturen im öffentlichen Raum der Hauptstadt Houphouet Boignys: eine sechs Meter hohe Figur steht vor der Sankt-Paulus-Kathedrale, eine andere vor der Marineoffiziersschule.Entscheidend aber wird für sie die Begegnung mit dem französischen Maler Gérard Fromanger 1985. »Brich endlich mit der Ästhetik! Mach etwas aus Dir. Du hast das Zeug, etwas Eigenes zu schaffen«, sagt er zu ihr. Er bringt ihr schlaflose Nächte, aber auch den Durchbruch. In der neuen Schaffensphase wendet sie sich dem Sakralen zu. Schon lange interessiert sie sich für Fetischismus und Totemismus, wagt aber als Fremde nicht, in die afrikanische Welt der geheiligten Vorfahren einzudringen. »Um meine eigene Abscheu vor dem Häßlichen zu überwinden, habe ich angefangen, mit Schlangenköpfen, ja sogar mit dem Kopf einer toten Hyäne zu arbeiten«, erinnert sie sich. »Ich hatte die Möglichkeit, mich einem Initiationsritus zu unterziehen, habe es aber letzten Endes nicht gewollt. Ich suchte ja nicht das völlige Eintauchen in die andere Kultur, sondern nur die größtmögliche Nähe zu ihr.«Auf afrikanischen Märkten stöbert sie nach Abfallprodukten, Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens. Daraus schafft sie ihre »Pforten«, die Zugang zur Welt des Unsichtbaren verschaffen, sowie ihre »Biloko«, eine Art Gepäck für den Durchreisenden dieser Welt, Fetische, die ihn vor Unheil schützen. »Verwertung von Abfällen ist typisch für Afrika wie für jedes arme Land, das von der Wiederverarbeitung des Weggeworfenen der reichen Länder lebt«, sagt sie. So werden ihre »Biloko« auch nicht von Afrikanern gekauft. »Sie fühlen sich angesprochen, aber sie können sie sich nicht leisten.« Einer dieser Biloko hängt an ihrer Haustür, »und jeder afrikanische Besucher weiß, was er bedeutet«.Durch ihre Freunde erfährt sie von den Dörfern Kaya und Kassena in Burkina-Faso, wo es der Brauch will, dass die Frauen die Dorfhütten bemalen. 1996 macht sie sich zusammen mit der Fotografin Francoise Huguier auf den Weg zu diesen Dörfern. Bei ihrer Ankunft sind die Frauen auf den Feldern, die Männer palavern im Schatten der Mangobäume. Zwei Stunden lang muss sie mit dem Dorfältesten verhandeln, bis er sich entschließt, eine der Frauen von der Arbeit auf dem Feld holen zu lassen, um mit der Künstlerin zusammen eine noch nicht bemalte Hütte zu verschönern. Traditionsgemäß sind Schwarz und Weiß die einzigen dafür verwendeten Farben. Die schwarzbraune Erdfarbe wird aus einem Gemüsesaft gewonnen, das naturfarbene Weiß aus zermahlenen Steinen. Holzstückchen oder Federn dienen als Pinsel.»Der Dorfältestse war von dem Resultat so begeistert, dass er mir anbot, mich zu seiner achten Frau zu machen«, erzählt die Künstlerin. »Und die Frauen waren entzückt, endlich mit richtigen Pinseln malen zu können.«Eines ihrer letzten Projekte hat sie vor laufenden Filmkameras im Tai-Dschungel der Elfenbeinküste realisiert. »Ich war wie niedergeschmettert von der Wucht dieser Bäume, dieser wuchernden Schlingpflanzen und Farne und stand wie gelähmt inmitten von Tsetse-Fliegen, Schlangen und Blutsaugern. Am ersten Tag habe ich dann eine winzige Figur geschaffen, so verzagt war ich angesichts dieser Naturkräfte. Am Tag darauf habe ich einen toten Baum mit einer Art Löwenmähne aus Lianen verwandelt, und dann war ich ganz in meinem Element, habe laufend improvisiert.« Ein 22-minütiger Film ist daraus entstanden, 2001 wird ein Buch folgen.Kaidin Monique Le Houelleur ist voller Ideen und Projekte. Schließlich muss sie sich mit sechzig erst noch einen Namen machen. Die elitären Pariser Kunstkreise haben sie bisher kaum wahrgenommen. Abidjan ist weit weg von dem typischen »Parisianismus« dieser in sich selbst verliebten Elite. Auch kann man sie schlecht einordnen: Wenn sie wenigstens afrikanischer Herkunft wäre. Aber ein französisch-vietnamesischer Mischling, die sich in die afrikanische Kultur verliebt hat, und noch dazu Autodidaktin? Da gerät man leicht zwischen alle Fronten - genau wie die Tuaregs, die keine Grenzen anerkennen und die Kaidin gerade deshalb ins Herz geschlossen hat.Informationen unter: www.moni-kaidin-lehouelleur.com
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