Mit fünfzehn wollte ich eine andere sein. Ich habe mich verkleidet. Ich war wie ein Harlekin in tausend Stücke zerschnitten. Heute bin ich ich selbst. Ich habe mich wiedergefunden." So kommentiert die senegalesische Schriftstellerin Ken Bugul, 53, ihr Leben. Und zugleich ihren neuen Roman "Riwan oder der Sandweg" ("Riwan ou le chemin de sable"*. Ein Roman über Polygamie, ein Buch der Selbsterfahrung, denn die Senegalesin gehörte selbst als 28. Frau zu dem Harem des Marabuts ihres Heimatdorfs.
Vor 17 Jahren machte sie mit ihrem Erstling "Die Nacht des Baobab"** international Furore. Darin erzählt sie ihre afrikanische Kindheit und ihre Odyssee ins Land der Weißen. Noch nie hatte eine Afrikanerin so viele überkommene Ideen über den Haufen geworfen. Die
rfen. Die westliche Kultur, zunächst als Erfüllung aller Sehnsüchte erträumt und dann als Desillusion zurückgewiesen, erschien schon hier in kritischem Licht.Thema des neuen Romans ist nun nach jahrelangem Herumirren in der westlichen Welt die Rückkehr zu den Wurzeln der afrikanischen Kultur. Wie konnte es geschehen, dass die gebildete, vom Okzident geprägte, emanzipierte Afrikanerin in der Polygamie ihr Seelenheil zu finden glaubt? "Ich wollte mit den Klischees aufräumen", erklärt Ken Bugul. "Frauen in einer polygamen Familie sind nicht unglücklicher als Frauen in einer monogamen Ehe. Eifersucht gibt es hier wie da. Ich beschreibe die erotischen Tänze, die Scherze und das Lachen dieser Frauen, mit denen ich gelebt habe. Das alles ist nicht gerade Ausdruck von Melancholie und Depression."Doch auf dem Weg zu sich selbst spielen auch die Wunden der Kindheit, das Trauma der Trennung von der Mutter eine wichtige Rolle. Ken Bugul, die eigentlich Marietou Biléoma Mbaye heißt, ist in einer polygamen Familie aufgewachsen, also unter Frauen und kleinen Mädchen. Unter Frauen fühlt sie sich heimisch. "Aber den Vater habe ich immer nur 'Großvater' genannt". Er war schon ein alter Mann, als sie als letztes Kind ihrer Mutter auf die Welt kam, ein Gelehrter, in seine Schriften und astrologischen Zeichen vertieft.Dann erklärt sie die Bedeutung ihres Pseudonyms: "Ken Bugul" heißt auf Wolof, der Sprache ihres Stammes, "Keiner will sie". "Diesen Vornamen gibt man Frauen, deren Kinder die Geburt nicht überleben oder tot geboren werden." "Keiner will sie" - so hat sie sich selbst gesehen, als sie mit sechs Jahren den entscheidenden Einschnitt in ihr Leben erfuhr: Die Mutter verlässt sie. Die Mutter, mit der sie das Bett teilte, bei der sie Zuflucht suchte, verlässt ohne Erklärung den Hof des Patriarchen, um zu ihrer eigenen Mutter in die Stadt zu ziehen. Schluchzend und heulend bleibt die Kleine auf dem Bahnsteig zurück, rennt hinter dem Zug her. Vergebens. Auch der Vater schließt sie nicht tröstend in die Arme. Die gelehrten Schriften sind wichtiger.Warum diese Tennung? Ken Bugul hat sie nie verstanden. Sie weiß, dass Frauen, wenn sie unfruchtbar werden, in ihre eigene Familie zurückkehren. Warum aber hat die Mutter die Tochter allein zurückgelassen? "Später hat sie mir erklärt, sie wollte mich nicht aus der Schule nehmen, bzw. das Schuljahr unterbrechen. Doch in der Stadt bei der Großmutter lebte schon der große Bruder, der dort auch zur Schule ging." Ken Bugul zuckt mit den Achseln und lässt die Frage nach der Eifersucht auf den Bruder offen.Nie hat sie der Mutter das Jahr der Trennung, der Tränen, des Verlassenseins verziehen. Sie wird zur Rebellin, zur Außenseiterin. Was sie bei den Ihren nicht findet - Identität und Anerkennung - sucht sie nun bei den Anderen, den Weißen. Mit ihnen, mit ihrer Kultur, ihrer Lebensweise will sie sich nun identifzieren. Sie wird zur Musterschülerin in der französischen Schule. Später zwängt sie sich in Stöckelschuhe, malträtiert ihre Haare, um sie zu glätten, und lässt sich von einem Studenten entjungfern. Damit überschreitet sie eines der stärksten Tabus der traditionellen Gesellschaft, aus der sie stammt.Mit einem Stipendium landet sie schließlich in Brüssel, wo sie statt Sprachen die Gepflogenheiten der weißen "besseren" Gesellschaft studiert. Sie schlägt sich durch als Photomodell, Bardame, Tänzerin, Freundin eines bekannten Malers. Sie trinkt, hascht, lebt wie eine Hippie, treibt Sex mit Männern und Frauen. Und doch bleibt das Gefühl tiefster Einsamkeit und Verlorenheit. Für die Weißen ist sie die exotische Schwarze aus einem entlegenen Dorf in einem fernen Land, aufgewachsen in einer muslimischen, polygamen Familie - ein Objekt der Neugier und Faszination. Für ihre Landsleute aber gilt sie als arrogant, weil sie in der westlichen Kultur schwelgt, eine Vorliebe für Opernmusik hat, sich in Käse- und Weinsorten auskennt. Wo aber ist sie zu Hause?Auf der Suche nach sich selbst, "nach einer klaren Identität", kehrt sie in ihr Heimatdorf zurück. Sie ist Mitte dreißig. Unverheiratet und ohne Kind. Mit leeren Händen kommt sie an den Ort ihrer Kindheit zurück. Sie hat keine Geschenke zu verteilen, kein Geld, keine seltenen Stoffe, keine schönen Kleider. Böse Zungen regen sich. Der Traum vom Land der Weißen, Land aller Verheißungen und Illusionen, ist ausgeträumt. Sie sucht nach Werten und Wurzeln - und findet sie in der Vatergestalt des Marabut, der moralischen und spirituellen Autorität weit über die Grenzen des Dorfes hinaus. Mit ihm spricht sie über Gott und die Welt.Auch er braucht diesen Austausch mit ihr, die in der Welt herumgekommen ist, die mit den Anderen gelebt hat, dort, im fernen Norden. Denn im Grunde ist dieser Mann, den alle für die Pforte zum Paradies halten, auf seine Weise ein einsamer Mann. Sie wird seine Vertraute, seine Freundin und schließlich seine 28. Frau. Eine Privilegierte, weil sie ihm nicht geschenkt oder übergeben wird wie die anderen Frauen, sondern sich aus freier Wahl in seinen Bannkreis begibt. Im Gegensatz zu den anderen, sieht sie in ihm nicht den Heiligen, sondern einen Mann aus Fleisch und Blut. "Er war sehr sanft. Ein fantastischer Mensch, mit dem ich in diesem verlorenen Dorf über alles sprechen konnte. Er hat mich mit mir selbst wieder in Einklang gebracht, mich rehabilitiert. Das werde ich ihm nie vergessen", schwärmt Ken Bugul.Bis zu seinem Tod zwei Jahre später bleibt sie seine Frau. Ihre Sonderstellung als Intellektuelle und Vertraute des Marabut wird von allen anerkannt. Als einzige seiner Frauen wohnt sie nicht auf dem Gelände des Patriarchen, sondern in der Hütte ihrer Mutter im Dorf. Dieses Dorf, das ihr jetzt zu Füßen lag. Denn die offizielle Bindung mit dem Heiligen Mann bedeutete auch die Rehabilitierung für sie und die Mutter.Nach dem Tod des Marabut begibt sie sich in die Hauptstadt Dakar, um nach Arbeit zu suchen. Drei Tage später findet sie eine Stellung in der öffentlichen Familienplanung. "Das war nur möglich, weil ich mich wieder wohl in meiner Haut fühlte, meine Wurzeln wieder gefunden hatte."Doch ganz so unkritisch ist der Blick der Autorin auf die Polygamie denn doch nicht. In ihrem Roman gibt es die Gestalt der jungen schönen Rama, die von ihrem Vater dem Marabut geschenkt wird. Rama ist eine Rebellin. Des ewigen Wartens auf die Befriedigung ihrer Sinnlichkeit überdrüssig, betrügt sie den Patriarchen mit einem jungen Mann und entflieht. Sie will nicht wie die anderen Frauen auf das Paradies als Belohnung ihrer Tugend warten. Sie will den Himmel auf Erden, und zwar gleich. "Rama, die Rebellin, das könnte auch ich sein", sagt die Autorin. "Ihre Legende wird als abschreckendes Beispiel erzählt, denn sie verbrennt in den Flammen ihres Elternhauses, in dem sie Zuflucht sucht. Schon als Kind hat mich diese Figur stark beeindruckt."Eine Rebellin bleibt Ken Bugul allemal. Auch passt sie nicht in vorgepägte Modelle. Ende dreißig heiratet sie einen Arzt aus Benin. Mit vierzig wird sie Mutter. Ihr Mann stirbt an Krebs. Heute lebt sie als Witwe mit der dreizehnjährigen Tochter in Porto Novo in Benin und hat in der ehemaligen Praxis ihres Mannes eine Kunstgalerie eingerichtet. Zudem schreibt sie an ihrem vierten Roman. Auch ein eigenes Verlagshaus will sie gründen. "Ich bin wie ein Baum mit den Wurzeln in Afrika und Blättern, die ins Universum reichen," sagt sie abschließend.* Verlag Présence africaine, Paris, 1999** Unionsverlag, Zürich. Dichtung und Wahrheit, Kritik und Zustimmung zur islamischen Polygamie
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