An dem langen Tisch ihres großräumigen Büros sieht sie ein bisschen verloren aus, als wäre sie nicht am richtigen Platz. Langer Rock, gestreifter Pullover, blondes Haar à la Jean Seberg, das Kinn auf die Hände gestützt - so schaut sie einem offen in die Augen. Die frischgebackene Stadträtin, Beigeordente des Pariser Bürgermeisters Bertrand Delanoë, ist seit einem Jahr für die Jugendlichen der Metropole verantwortlich. Kein Zweifel, Clémentine Autain ist mit ihren 28 Jahren eine Ausnahme im französischen Politspektrum. Eine Quotenfrau, noch dazu Feministin, raunen ein paar Neider hinter ihrem Rücken. Doch eigentlich gewinnt sie mit ihrer offenen Umgangsart mehr Freunde als Feinde. "Das Paritätsgesetz ist mir sicher z
r zugute gekommen", räumt sie ein. Zwar verficht sie als "Universalistin" das republikanische Gleichheitsprinzip, doch ist sie pragmatisch genug, um in der Quotenregelung eine nützliche Strategie zu sehen, dem Aufholbedarf der Frauen in der Politik nachzuhelfen. "Wir leben nun einmal nicht in einer idealen Welt, da heißt es, sich anpassen, um voranzukommen", meint sie. "Das gilt auch für Lippenstift und Wimperntusche." Die junge Akteurin des Neofeminismus ist keine Dogmatikerin, eher auf der Suche nach wirksamen Strategien. Wenn die jungen Französinnen sich nicht vorstellen können, ungeschminkt auf die Straße zu gehen, sei´s drum. Sollen sie sich doch zurechtmachen, wenn sie sich dadurch wohler in ihrer Haut fühlen, ohne gleich zu denken, sie seien Opfer von Werbung und Kommerz. Zu viele Frauen sind schon in den siebziger Jahren von den doktrinären "Viragos" unter den Frauenrechtlerinnen verscheucht worden. Clémentine Autain fühlt sich berufen, das schlechte Image des MLF (Mouvement de libération des femmes) aufzubessern. Vielleicht kann sie das umso besser, als sie selbst zu denen gehörte, für die der Feminismus ein alter Hut war. "Ich sagte wie die meisten meiner Generation : Ich bin keine Feministin, aber... Und dann folgte eine Aufzählung all dessen, was verbesserungswürdig wäre." Mit 22 hat sie ihr einschneidendes Erlebnis. Als Aktivistin in linken Studentengruppen liefert sie sich ein Wortduell mit einer Feministin der MLF-Generation, die sie als "veraltet" abkanzelt. "Ich bin mit der Pille aufgewachsen und zusammen mit Jungs in die Schule gegangen. Für mich gibt es keine Probleme zwischen den Geschlechtern" erklärt sie. Es folgt ein stundenlanges Tête-à-Tête mit der "Emanze", ein Schlagabtausch von Argumenten, bei dem sie verliert. Die MLF-Aktivistinüberzeugt sie, dass die Dinge nicht so einfach sind, wie sie scheinen. Darauf wird Autain zur Leseratte in Sachen Feminismus. Fünf Jahre später schreibt sie ihr eigenes Pamphlet Alter égaux. "Einladung zum Feminismus" heißt es im Untertitel des Buchs, das gespickt ist mit Zitaten ihrer Vorstreiterinnen. "Im Alltag wimmelt es nur so von Indizien für die Diskriminierung des Zweiten Geschlechts. Die Frage ist, warum können die einen sie sehen, die anderen nicht", fragt Autain sich. Wen stört es schon, dass 99 Prozent aller Sekretariatsposten von Frauen besetzt sind? Dass die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen bei gleicher Qualifikation immer noch bei 27 Prozent liegen, dass nur sechs Prozent Frauen leitende Funktionen in den französischen Betrieben einnehmen, dass 77 Prozent der Mindestgehaltempfänger Frauen sind? Die Fabrik der Ungleichheiten - vom Werbetext bis zum Ausschluss der Frauen aus der Politik - ist so gut geölt, dass selbst die Diskriminierten sich ihrer Diskriminierung nicht bewusst werden. Die Passionaria des Neofeminismus hat Pierre Bourdieu gelesen. Sie weiß, auf die Bewusstmachung kommt es an. Alles ist in allem enthalten: von der Intimsphäre bis zur politischen Sphäre sind die Ungleichheiten systematisch organisiert. Anstelle des "Patriarchats", der Herrschaft der Väter, verwendet Autain den weiter gefassten Begriff "Viriarcat", für die Dominanz aller Männer: der Partner, der Ehemänner, der Büder. Schwierig ist nur, dies den jungen Frauen bewusst zu machen, wenn sie sich gar nicht als Opfer sehen, sondern den dominierenden Diskurs - "heutzutage haben die Frauen doch alles erreicht" - verinnerlicht haben. "Die Ungleichheiten werden einfach geleugnet. Dann bekommt man zu hören: Ich bin froh, einen Teilzeitjob zu haben, schließlich will ich mich doch um mein Kind kümmern. Die Rollenverteilung läuft wie geschnürt zugunsten der Karriere des Mannes. Da hat sich trotz Women´s Lib und MLF nichts geändert." Hinter der sanften Fassade verbirgt sich die Aktivistin. Das Thema von Autains Geschichts-Diplomarbeit war der MLF und seine Auswirkung auf die französische Gesetzgebung. "Natürlich ist es subversiv, wenn man die Ordnung der Geschlechter in Frage stellt. Das hat etwas mit Revolution zu tun", sagt Autain. Die Radikalität der Rhetorik kommt ziemlich unerwartet aus dem Munde einer eher fragil wirkenden jungen Frau. Aber sie weiß, was sie will. Als Studentin hat sie in Selbstbedienungsrestaurants gejobbt, im Senat als Assistentin gedient, schließlich im Ministerium von Martine Aubry am Dossier der "Diskriminierungen" mitgearbeitet. Die Vereinsarbeit im Studentenmilieu war ihre Schule, bis sie 1997 ihren eigenen Verein gründete, Mix-Cité. "Wir waren fünf Mädchen und zwei Jungs", erzählt sie. "Das war gerade nach einem Kolloquium für die Rechte der Frauen mit 2000 Teilnehmern - darunter kein Mann. Gerade das wollten wir ändern." Wenn Feminismus ein politisches Projekt zur Verwirklichung universeller Werte wie Freiheit, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit ist, haben auch die Männer ihren Platz darin. Ihr Freund und Mitbegründer von Mix-Cité, Thomas Lancelot, antwortete damals den perplexen Journalisten : "Sie fragen doch einen Weißen auch nicht, warum er gegen den Rassismus kämpft." Die Medien wussten sie sich zu nutze zu machen. Und die wurden stutzig, weil sie plötzlich eine in Vergessenheit und Misskredit geratene Bewegung wieder auferstehen sahen, noch dazu mit jungen, undogmatischen Leuten. Das brachte die gängigen Klischees ins Wanken. Feministinnen hatten nach Ansicht der Meinungsmacher hässlich, alt, sexuell frustriert, männerfeindlich und prüde zu sein. "Die Klischees von Männlichkeit und Weiblichkeit haben sich mittlerweile verwischt. Ein Mann, der dem Baby die Flasche gibt, und eine Frau, die Fußball spielt, sind keine Seltenheit mehr", sagt Autain erleichtert. Über das Wort "Feminismus" wurde bei der Begründung von Mix-Cité lange debattiert. Sollte man sich mit diesem Wort belasten, an dem so viele negative Vorurteile hingen? Doch wollten sie nicht gerade mit den Klischees aufräumen? Das war die Herausforderung : den Feminismus neu legitimieren und ihn als positive Bewegung in die Gesellschaft einbringen. Sie bekannten sich zu ihm und hatten ihren ersten wirklich medienwirksamen Auftritt in der Öffentlichkeit mit den lebenden Mannequins in den Schaufenstern des Pariser Großkaufhauses Galéries Lafayette. Gegen diese Vermarktung der Frau zu Werbezwecken mit Anspielung auf die Prostituierten in den Amsterdamer Vitrinen zogen sie zusammen mit Florence Montreynaud und ihren "Wachhündinnen" zu Felde. Auf ihrem Riesentransparent stand: "Der Feminismus ist nicht tot". Unglaublicher Medienrummel war die Folge. Die bunte Truppe wurde bekannt. Sie bekamen Zulauf. Männer, die sich via Presse und Fernsehen zur Sache der Frauen bekannten, das sorgte für Aufmerksamkeit. Seit einem Jahr lebt der Verein ohne die jetzige Stadträtin, doch er lebt weiter. Vor Weihnachten spielten sie vor einem großen Kaufhaus Kasperletheater, um auf die sexistische Rollenverteilung durch Spielzeug aufmerksam zu machen. Clémentine Autain erscheint weiter in den Medien, und nicht allein aufgrund ihres Buches. Dort agitiert sie für die Teilung der Hausarbeit oder die Entfernung sexistischer Klischees aus den Schulbüchern. Verdutzt fragenden Journalisten, ob denn die Frauen nicht alles erreicht hätten, erklärt sie, dass noch immer 80 Prozent aller häuslichen Arbeit von den Frauen verrichtet werde und dass die Männerherrschaft in neuen Kleidern daherkäme: Teilzeitarbeit, prekäre Jobs und Arbeitslosigkeit. Die Prozentwerte kennt sie auswendig. Sie liegen immer ein gutes Drittel über denen der Männer. Über ihre neuen Erfahrungen auf dem Terrain der Politik, diesem Männerrevier par excellence, ist sie eher diskret. Das Übliche: "Ich spreche über den Mangel an Krippenplätzen, und als Antwort bekomme ich eine Einladung zum Abendessen. Frauen werden einfach nicht für voll genommen, schon gar nicht, wenn sie jung sind." Dafür aber haben sie den längeren Atem. Davon ist Clémentine Autain überzeugt. Clémentine Autain, Robert Laffont: Alter égaux. Invitation au féminisme, Paris, 2001
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.