Statt Verbände wechseln Verbände gründen

PORTRÄT Françoise David, Initiatorin des Weltmarsches der Frauen

Sie ist eher unauffällig. Einfacher Ponyschnitt, schlichtes Outfit, ungeschminkt. Françoise David, die Vorsitzende der Fédération des Femmes du Québec (FFQ) ist keine international berühmte Frau und scheint auch keine werden zu wollen. Und doch hat sie mit ihren Mitstreiterinnen etwas Unglaubliches geleistet: die Organisation des Weltfrauenmarsches 2000 gegen Armut und Gewalt mit 5600 Organisationen, Gewerkschaften und feministischen Gruppen aus 159 Ländern. Höhepunkte des Marsches waren Paris (vgl. Freitag 26 /2000) Brüssel und New York.

Am 17. Oktober in New York haben die Repräsentantinnen der am Weltmarsch teilnehmenden Frauenorganisationen ihre Petition in Form eines Forderungskatalogs sowie Millionen Unterschriften den Verantwortlichen von UNO, Weltbank und Weltwährungsfond übergeben. "Dass sich die Verantwortlichen dieser Institutionen zu einem Treffen mit den Vertreterinnen der "andern" Hälfte der Menschheit bequemt haben, ist eine Weltpremiere. Wir haben ihnen klar gemacht, was wir von ihrer Politik halten", erklärt Françoise David: "Ich weiß nicht, ob auf unsere Forderungen Taten folgen. Aber ich weiß, dass wir nicht nachgeben werden. Das war erst ein Anfang. Der Kampf geht weiter! Und diese Herrn wissen nun, dass wir fortan ihre Politik im Auge behalten und die Diskriminierung der Frauen nicht mehr einfach hinnehmen werden. Wir machen Druck von unten." Genau darum geht es: Mobilisierung von Basisgruppen als Druckmittel auf die Mächtigen und Sichtbarmachung der Benachteiligung der Frauen im Trend der Globalisierung. Prominenz, international bekannte Frauen als Aushängeschild, hat der Weltmarsch nicht zu bieten. Das gehört nicht zur Strategie der Initiatorinnen von der Fédération des Femmes du Québec, zu deren Präsidentin Françoise David 1994 gewählt wurde. Aber ihre Aktionen stehen unter der alten Devise: "Brot und Rosen." Brot zum Leben. Und Rosen, damit sich das Leben lohnt. Unter diesem Slogan hatten die Frauen der FFQ ihren Marsch auf Quebec am 8. März 1995 organisiert.

Übrigens hat der erfolgreiche "Marsch auf Québec" von 1995 Tradition. Die Begründerin der Fédération des Femmes du Québec und Vorgängerin von Françoise David im Vorsitz dieser Frauenorganisation war die bekannte Suffragette Thérèse Casgrain. Seit den zwanziger Jahren hatte sie für das Wahlrecht der Frauen gekämpft, unter anderem mit Frauenmärschen vor das Parlament. 1940 schließlich erreichte sie endlich das Stimmrecht für die Quebequerinnen - zwanzig Jahre nach den Kanadierinnen, aber immerhin vier Jahre vor den Französinnen.

Wenn wir in unserem kleinen Land zweimal mit unseren Füßen - und Köpfen - ans Ziel gelangt sind, warum sollten wir die Frauenmärsche als Druckmittel und Erfolgsrezept nicht auf die übrigen Länder ausdehnen, sagte sich Françoise David. Ihr Vorschlag fiel auf der Weltfrauenkonferenz in Peking im Sommer 1995 auf fruchtbaren Boden, und sie wurde mit ihren Kolleginnen von der FFQ zur Initiatorin der ersten weltumspannenden (mit Ausnahme Chinas) Aktion in der Geschichte der Frauen.

Woher kommt das feministische Engagement der 52-jährigen, die mit ruhiger Gelassenheit Zahlen und Fakten zitiert und so gar nicht nach einer streitbaren Alice Schwarzer aussieht? Aggressivität und Provokation sind nicht ihre Sache, dafür aber Organisationstalent und Durchsetzungsvermögen. "Mit Mai '68 fing alles an. Das war für mich der Durchbruch," erinnert sie sich und erzählt von der Besetzung ihres Gymnasiums, ihrer Sympathie für marxistisch-leninistische Gruppen, Basisdemokratie und freie Selbstbestimmung durch die Pille - eine wahre Kulturrevolution in diesem vom Katholizismus geprägten Land. Sie verlässt das bürgerliche Elternhaus - der Vater ist Arzt, die Mutter in Wohltätigkeitsvereinen beschäftigt - und zieht in ein Viertel von Quebec, dessen Bewohner am Rande der Armutsgrenze leben. Statt wie vorgesehen Medizin zu studieren wie der Vater, lernt sie statt Verbände zu wechseln Verbände zu gründen. Als soziale Fürsorgerin hat sie Einblick in die ärmlichsten Familienverhältnisse. Der Prozentsatz alleinerziehender Mütter entspricht in Quebec einer überdurchschnittlich hohen Scheidungsrate.

Aus ihrer Erfahrung in den Armenvierteln Quebecs zieht sie den Schluss: Jeder Pfennig, der für die Unterstützung von Frauen ausgegeben wird, macht sich bezahlt. Frauen sorgen für die Ernährung, Kleidung und Erziehung ihrer Kinder. Verantwortungsbewusstsein sowie die Kunst, aus wenig viel zu machen, brauchen sie nicht erst zu lernen. Sie ist sicher: Würde man in den Entwicklungsländern die Unterstützungsgelder endlich den Frauen zukommen lassen, wäre es besser um diese Länder bestellt.

Ein weltweites Netzwerk von Aktivistinnen ist geschaffen. In Paris, Brüssel, New York, aber auch in Burkina Faso, Brasilien, Jordanien, Palästina, im Libanon, Tunesien oder Algerien haben sich die Frauen in Bewegung gesetzt und den Regierungen ihre Forderungen überreicht. "Jetzt muss Bilanz gezogen werden. Weitere Aktionen werden folgen", versichert Françoise David. "Auch wenn die Organisation neuer Initiativen nicht mehr von Quebec ausgeht. Frauen anderer Länder werden sie in die Hand nehmen."

Informationen unter: www.ffq.qc.ca

E-Mail: ejoris@freesurf.ch

Eben erschienen: Olympe 13: Marche mondiale des femmes: Exploration - ein Mosaik.

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