Noch mehr Schloss?

Berlin Mitte Beim Berliner Schlossbau droht ein finanzielles und architektonisches Desaster. Plädoyer für eine Kurskorrektur

Beim Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses bahnt sich ein Skandal an. Warum billigt der deutsche Souverän schweigend, dass mit der Ausschreibung zum Architektenwettbewerb, die demnächst veröffentlicht werden soll, wesentliche Festlegungen seines Beschlusses zu dem Bau auf der Spreeinsel von 2002 unterlaufen werden, ja, einfach nicht mehr gelten? Festlegungen sowohl für die Nutzung, für die Finanzierung als auch für die architektonische Gestaltung. Ist es nicht an der Zeit, dass er seine Verantwortung für diesen Ort als öffentliche Sache - als res publica - erneut wahrnimmt? Schließlich hat er den Bau selbst zur Staatsaktion gemacht. Ist der Deutsche Bundestag da nicht aufgefordert, die Ausschreibung für den Wettbewerb zum Berliner Humboldt-Forum zu prüfen und erst danach zu beschließen, was wirklich sinnvoll ist!

Rufen wir uns noch einmal die Vorgeschichte in Erinnerung: Am 13. Juli 2002 bekundete das deutsche Parlament - auf der Grundlage der von einer Internationalen Expertenkommission angeregten Empfehlung - seinen Wunsch zum Bau eines Humboldt-Forums am Standort des Palastes der Republik und im Erscheinungsbild des ehemaligen Berliner Schlosses. Diesen Beschluss übermittelte es an diese Adresse der Bundesregierung und forderte sie zugleich auf, die noch offenen Probleme der Nutzung und Finanzierung dieses Bauvorhabens zu lösen. Dies aber ist bis zum heutigen Tage noch immer nicht so weit geschehen, als dass der mehrfach - zuletzt für den 15. November dieses Jahres - angekündigte Start eines Internationalen Architektenwettbewerbs für das neue Gebäude ausgeschrieben werden könnte. Im Bundesbauministerium von Wolfgang Tiefensee (SPD) streitet man sich noch immer über einzelne Probleme der Nutzung und Finanzierung sowie der architektonischen Gestaltung des gewünschten Schlossgebäudes auf dem Weg vom Bild zum Bau.

Unter der symbolträchtigen Bezeichnung "Humboldt-Forum" gelten als Nutzer des neuen Gebäudes die Museen der außereuropäischen Kulturen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Zentral- und Landesbibliothek Berlin und die Humboldt-Universität zu Berlin mit ihren musealen Wissenschaftssammlungen. Ihnen stehen im gesamten Gebäude, das 40.000 Quadratmeter Hauptnutzfläche umfassen soll, je 24.000, 4.000 und 1.000 Quadratmeter zur Verfügung. Wie diese Institutionen funktionell, nämlich praktisch und ideell, untereinander und mit einer so genannten "Agora", für die 11.000 Quadratmeter vorgesehen sind, als Humboldt-Forum ein Ganzes bilden sollen, ist vollkommen unklar.

Unter Agora wurde in der öffentlichen Diskussion ein Ort kultureller Kommunikationen verstanden, an dem - zwar in Verbindung mit den Museen und mit der Bibliothek, aber über ihre spezifischen Angebote hinaus - aktuelle Anliegen und Interessen der Menschen unserer Zeit in der Dimension Deutschland, Europa und die Welt geschichtsbewusst und zukunftorientiert reflektiert werden können: im offenen Diskurs, künstlerisch und wissenschaftlich. Kein unbedeutender Ort, sollte man meinen. Aber über diese Agora als ein Ort der Selbstverständigung der Deutschen miteinander, in der Mitte ihrer neuen Hauptstadt Berlin, und mit ihren Gästen aus aller Welt, gibt es jedoch offiziell noch immer am wenigsten Klarheit. Ganz offensichtlich, weil sich in diesem Lande kein öffentlicher Träger findet beziehungsweise die Politik die ganze Grundidee nicht begriffen hat und deshalb keinen solchen Träger sucht oder konstituiert.

Bei den derzeitigen Planungen ist es zu befürchten, dass diese zentrale Agora zum bloßen Veranstaltungsteil des Humboldt-Forums degradiert wird, womöglich privat finanziert und betrieben. Während Wilhelm von Boddien mit seinen Vorschlägen zum Projekt Schlossneubau die Agora in eine Convention Hall nach US-amerikanischem Vorbild - als Ort repräsentativer Auftritte der Großen aus Politik, Wirtschaft und Kultur - verwandeln und in dem eigens dafür überdachten und klimatisierten Schlüterhof unterbringen wollte, verkündete das Bauministerium vor kurzem, dass der Schlüterhof nicht überdacht wird und wie in den Jahrhunderten zuvor unter freiem Himmel offen bleibt. Zugleich aber wird für den Architektenwettbewerb die Agora als ein merkwürdiges Sammelsurium verschiedenster Funktionen ausgewiesen, die den Hauptnutzern gewiss dienlich, für eine Agora jedoch keineswegs sinnstiftend sein können. Schließlich sind für die öffentliche kulturell-kommunikative Tätigkeit lediglich 15 Prozent der zur Verfügung stehenden Fläche reserviert, nämlich ein Multifunktionssaal mit 500 Plätzen und ein Auditorium mit 350 Plätzen samt Nebenflächen sowie vier kleinere Seminarräume. Der große Rest von 85 Prozent der für die Agora eingeplanten Fläche soll dagegen als Eingangshalle mit Garderobe, Ausstellungsräumen und Museumsshops sowie der Gastronomie dienen. Das wird die Besucher sicher sehr erfreuen. Aber was daran ist Agora?

Das ist nicht der einzige Vorgang, der symptomatisch für den ganzen Umgang mit dem Schlossbau ist. So setzten sich einige Politiker dafür ein, den inzwischen abgerissenen Saal der DDR-Volkskammer als Teil der Agora in den Schlossneubau einzubeziehen: als historischen Raum der Erinnerung für die im August 1990 in ihm erfolgte Zustimmung der frei gewählten Volkskammer zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Lassen wir einmal die Frage außen vor, ob der historische Saal mit oder ohne Staatswappen der DDR wieder aufgebaut wird. Brauchen die Politiker diesen Ort für ihre Identität? Oder wer noch braucht ihn? Die normale Bevölkerung der ehemaligen DDR, aber auch die der alten Bundesländer gewiss nicht. Vollends die Hände über dem Kopf schlägt man zusammen, wenn es - wie verlautet - den Teilnehmern des Wettbewerbs überlassen bleiben soll, wo und wie sie diesen Palast-Bauteil der DDR in das neue Schloss der Bundesrepublik einbeziehen. Womöglich dort, wo er nie war, nämlich an der Stelle des alten Schlosses, wo der Apothekenflügel einst stand. Eine Geschichtsklitterung erster Güte!

Was die Finanzierung betrifft, so scheint noch immer nicht geklärt zu sein, ob das neue Schlossgebäude öffentlich oder öffentlich-privat - und wenn privat: dann von wem für wen - finanziert werden soll. Wie zu hören ist, soll die Frage erst im Laufe des zweiphasigen Wettbewerbs geklärt werden. Immerhin ist die Frage wesentlich. Denn ein privater Teilinvestor oder Teilbetreiber - vor allem der Agora - realisiert natürlich ein anderes Programm als es öffentliche Betreiber tun würden.

Nicht zuletzt ist noch immer unklar, wer eigentlich die so sehr gewünschten Barockfassaden bezahlt. Nachdem berechtigte Zweifel aufgekommen sind, dass die Herstellung dieser Fassaden durch Spenden, wie sie der Förderverein Berliner Schloss hoch und heilig versprochen hat, allein nicht bezahlt werden kann, am Konzept des barocken Schloss-Bildes für das neue Gebäude jedoch unbedingt festgehalten werden soll, hat Minister Tiefensee angekündigt, dass der Bund das notwendige Geld vorschießen wird, in der Erwartung es später zurück zu erhalten. Was für ein Vorgang! Der Deutsche Bundestag spricht sich dafür aus, dem deutschen Volk ein Schloss zu schenken, im Vertrauen darauf, dass die Schlossfassaden durch Spenden finanziert werden. Nun billigt er, nachdem sich herausgestellt hat, dass die Spenden größtenteils ausbleiben, ohne Einspruch gegen das Ansinnen des Bauministers, dass erst einmal das deutsche Volk als Steuerzahler die Fassaden finanzieren soll.

Die Rekonstruktion der barocken Außenfassaden und im Schlüterhof des alten Schlosses gilt als non plus ultra. Zweifel daran werden immer wieder brüsk zurückgewiesen: mit geradezu bekenntnishaftem Eifer. Das ist nicht neu. Am 17. April 2002, bei der offiziellen Übergabe der Empfehlungen der Internationalen Expertenkommission an die Vertreter des Bundes und Landes Berlin sprachen sowohl der damalige Bauminister Kurt Bodewig (SPD) als auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zusammen mit ihrem Dank die Erwartung aus, man möge doch beim angekündigten Architektenwettbewerb den Teilnehmern auch moderne Fassadenvarianten erlauben. Kurz danach erhob sich ein Sturm der Empörung in der Presse, artikuliert von führenden Politikern, allen voran Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Das führte knapp drei Monate später am 7. Juli zu der mit großer Mehrheit des Bundestages ausgesprochenen Unterstützung der Experten-Empfehlung für das Fassaden-Schlossbild des Humboldt-Forums. Ebenso erging es Engelbert Lüdtke-Daldrup, Staatssekretär im Bauministerium, als er kürzlich äußerte, man könne sich das Humboldt-Forum auch in modernen Fassaden vorstellen. Sofort gab es scharfen Protest und ein nachfolgendes Dementi. Natürlich: es bleibt bei barocken Fassaden! Der Retro-Virus ist der Planung offenbar nicht mehr auszutreiben.

Andererseits sind einige von der Expertenkommission empfohlene und vom Bundestag unterstützte Festlegungen zur architektonischen Gestaltung des neuen Schlossgebäudes nicht mehr gültig. Das hat in erster Linie Wilhelm von Boddien bewirkt, der in seinem Berliner Extrablatt seit 2002 fortlaufend Vorschläge zum Wiederaufbau des Schlosses mit Bildern des ganzen Gebäudes - innen mit den Prunkgemächern, Sälen und den Treppenhäusern der Preußischen Könige, außen mit der erst Mitte des 19. Jahrhunderts gebauten Kuppel über dem Portal III - propagierte und damit Bundestag und Bundesregierung zu "mehr Schloss" drängen wollte, wogegen es von keiner Seite Einspruch, sondern immer nur wohlwollendes Stillschweigen gab. Die Folgen kann man jetzt sehen: Inzwischen wird bei der Vorbereitung des Architektenwettbewerbs durch das Bauministerium ernsthaft der Wiederaufbau der Kuppel erwogen und auch an die Einbeziehung historischer Innenräume gedacht - nicht ohne negativen Einfluss auf das bislang entwickelte Raumprogramm für das Humboldt-Forum. War es anfangs als funktionelle Legitimation für die Rekonstruktion des Schloss-Neubaus gebraucht, wird es nun selbst den Zwängen der Schlossrekonstruktion immer weiter untergeordnet.

Wahrlich: Was sich derzeit in Berlins Mitte abzeichnet, ist keine Garantie, dass in der Bundeshauptstadt eine historisch anstehende Aufgabe gelöst würde, dass hier gar ein kulturelles "Grand Projet" entstünde. Nutzung und Ästhetik des geplanten Neubaus für ein Humboldt-Forum drohen vielmehr zu scheitern. Die in Aussicht genommene Errichtung eines "Freiheits- und Einheits-Denkmals" auf der Plattform des ehemaligen Wilhelminischen Nationaldenkmals kann dieses Dilemma wohl nur noch vollenden.

Bruno Flierl, geboren 1927, arbeitet als Bauhistoriker und Architekturkritiker in Berlin.


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